Von Get Back zu Let It Be. Friedhelm Rathjen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedhelm Rathjen
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Музыка, балет
Год издания: 0
isbn: 9783862871131
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herum.

      Und noch ein neues, diesmal rein instrumentales Stück hat Paul in petto, das er nun in einer langen Improvisation an der Orgel auswalzt: THE CASTLE OF THE KING OF THE BIRDS (13:05), ein Stück, das er Jahre später für den Soundtrack des Zeichentrickfilms Rupert the Bear verwenden wird. Ringo am Schlagzeug und dann auch John und George an den Gitarren machen nach einiger Zeit mit, und es wird eine veritable (wenn auch zeitweise mangels Abwechslung etwas stumpfsinnige) Jam-Session daraus. Kaum ist sie beendet, initiiert Ringo am Schlagzeug eine neue Gruppenimprovisation (8:46+), die zunächst von Pauls Orgelriffs getragen wird, ehe John und George sich an den Gitarren nicht sonderlich einfallsreich in den Vordergrund spielen. Nach dem zähen Auslaufen der Improvisation beginnt John, ein Lied zu spielen und zu singen, das die anderen bestens kennen, weswegen sie gleich mitspielen: ACROSS THE UNIVERSE (2:34). Von diesem Song existieren eine Demoversion aus dem März 1967 sowie mehrere komplette Takes aus dem Februar 1968, darunter eine fertig abgemischte ‚endgültige’ Aufnahme. George will wissen, was aus der eigentlich geworden sei, doch John entgegnet, sie könnten eine bessere hinkriegen. Der gerade beendete Versuch allerdings klang eher stümperhaft, weshalb sich George mit einer flotten Version von Dylans I WANT YOU (3:15) zerstreut, an der sich alle drei Kollegen beteiligen, die aber in jeder Hinsicht völlig daneben geht. George fängt an, von Dylans erstem Auftritt mit elektrischer Gitarre 1965 zu erzählen, und kommt dann auf Bluesgitarristen zu sprechen. Paul fällt auch einer ein: „Wie heißt der noch gleich, der hier schon seit Jahren zugange ist? Ein Bluessänger, ein Amerikaner, der seit Jahren in Großbritannien tourt?“ Die Umstehenden nennen zahlreiche Namen, aber alle sind falsch, und endlich fällt es Paul selbst ein: „John Lee Hooker!“ Also improvisieren George und Paul (jetzt wieder am Bass) ein paar Bluesschnörkel (0:29), die ein bisschen nach Georges For You Blue klingen, aber ganz bestimmt nicht nach Hooker.

      Aus dem Blues entwickelt sich eine kurze, riffbetonte Improvisation (1:05+), an der sich alle beteiligen, doch klingt das Ganze recht zäh. Aus der Lethargie reißt Paul die Kollegen mit einem flotten Bassrhythmus und einem sehr schnellen, boogieartigen Stück, dessen Text sich weitgehend auf die Zeile „You wear your women out“ (6:42) beschränkt; unklar ist, ob es sich dabei um ein Songfragment oder um einen reinen Augenblickseinfall handelt. Kurz vor Schluss der gemeinsamen Improvisation streut einer der Gitarristen ein paar Akkorde aus I’ve Got A Feeling ein, und dieser Appell an den Gemeinschaftsgeist hat Erfolg – es folgt eine vollständige Version von I’VE GOT A FEELING (4:08), die text- und struktursicher ausfällt, allerdings absolut schauderhaft klingt. Paul leiert kurz die Parodie einer angeblichen Analyse des Stücks durch William Mann, den Musikkritiker von The Times, herunter. Keiner der Beatles scheint in ernsthafter Probenstimmung zu sein, also nudeln sie ein bisschen auf ihren Instrumenten herum, bis Paul unvermittelt mit einem zappeligen Bassriff die übrigen Beatles animiert, zu einem von ihm herausgequäkten Ad-hoc-Text mit der Schlüsselformulierung „My imagination“ (4:04) zu improvisieren. Spielweise und Stimmung sind aufgekratzt und auf Krawall gebürstet, von Wohlklang keine Spur.

      Aus dem folgenden Stimmen der Instrumente und Saitengefummel baut sich gleich die nächste Gruppenimprovisation (5:53) auf, diesmal in langsamerem Rhythmus und nicht gar so schrill, aber immer noch eher schroff als entspannt klingend. Die Beatles, hat es fast den Anschein, würden gern auch einmal wie die gerade aufgelösten Cream klingen – und entwickeln sogleich eine weitere Improvisation, nun mit einem um eine Spur schnelleren, auf Lässigkeit angelegten Rhythmus, über dem Paul recht unverständliche Zeilen um ein wiederholtes „I’m gonna pay for his ride“ (3:43) singt. Als die mit einem gekonnten Bluesschnörkel glücklich beendet ist, möchte zur Abwechslung nun John zur Probenarbeit zurückkehren und bringt sein einziges dafür taugliches neues Stück ins Gespräch.

      Also stimmen die Beatles nochmals ihre Instrumente und spielen dann einmal DON’T LET ME DOWN (1:38+) – jenes Stück, das am Freitag zuvor so schön kompakt geklungen hatte, nun aber ziemlich zerfasert. Ein Versuch Johns, DON’T LET ME DOWN (0:56) vom Refrain her nochmals zu beginnen und improvisierte Varianten zuzugeben, wird zwar von Paul aufgenommen, scheitert aber an den Missklängen. John flüchtet sich in eine sofort von allen aufgenommene Interpretation von ONE AFTER 909 (2:49), die deutlich langsamer als am Freitag ausfällt, im Klang einigermaßen zäh – aller Schwung ist aus der Nummer raus. Aus Detailprökeleien von Paul am Bass und George an der Gitarre entsteht eine weitere Teilprobe von ONE AFTER 909 (1:40) im gleichen Tempo, die immerhin ein paar nette Ideen für Pedaleffekte von George abwirft. Über bluesige Phrasen von George improvisiert Paul passende Vokalkreischer mit der Motivzeile „They call me fuzz face“ (0:36), und damit haben sie sich in Stimmung gebracht für eine am Ende abbrechende Hardrockversion von ONE AFTER 909 (1:36); nun wollen sie offenbar nicht mehr wie Cream klingen, sondern wie die Rolling Stones. George verlangt ein anderes Wah-Wah-Pedal, improvisiert dann diverse Riffs und einen flinken Teildurchlauf von THAT’S ALL RIGHT (0:40) von Elvis Presley. Die harte Rock ’n’ Roll-Stimmung hat inzwischen auch John gepackt, der sich an Chuck Berrys THIRTY DAYS versucht (0:18), aber aufhört, als George beim Drehen an seinem Verstärker quietschende Rückkopplungen auslöst. Als George schließlich den Wah-Wah-Klang hinbekommt, den er sich vorgestellt hat, geht John auf seine Riffs ein, und das Spiel mit den Klangeffekten steigert sich zu einem improvisierten Gitarrenduett (1:56+).

      Aber George hat mit seinen Wah-Wah-Effekten etwas anderes vor – er will den Song, den er am Wochenende geschrieben hat, ausprobieren, und so kommt es zu zwei immer wieder abbrechenden Durchläufen von HEAR ME LORD (3:03/2:20), anfangs von George solo bestritten, ehe John und Ringo zaghaft einsteigen. Zwischendurch fragt Paul George, ob er sich vorstellen könne, das beabsichtigte Konzert vor Ort in Twickenham abzuhalten. George kann sich das zwar vorstellen, findet aber nicht viel Gefallen an der Akustik und schlägt als Alternative die Räumlichkeiten der EMI vor, was wiederum Paul nicht sonderlich gefällt, der lieber eine Umgebung hätte, die ihnen schon vertraut ist. Also bringt er doch wieder Twickenham ins Gespräch und meint, hier gebe es ein kleines Studio mit einer Atmosphäre wie seinerzeit im Cavern Club. Von George Martin und Glyn Johns will er wissen, ob man vor Ort die nötige Aufnahmetechnik installieren könne. Könne man, meinen die Experten und fangen an, die Details zu diskutieren. Eine so große Nähe zwischen den Beatles und ihrem Publikum, wie sie Paul vorschwebt, schreckt George allerdings ab, was George Martin mit dem ironischen Vorschlag kommentiert, da könne doch Stacheldraht eine Hilfe sein. Vielleicht sollte man das Publikum erhöht platzieren – Ringo erkennt gleich, dass das schöne Effekte für die Kameras ergäbe. Paul: „Wir könnten das Publikum rundherum sitzen haben wie in so einem Gladiatorenring, erst herrscht Leere in der Mitte, und dann kommen wir mit Löwen und den Gitarren rein.“ Bei diesen Spinnereien fällt allen etwas ein, nur John schweigt lange, und als er nach seiner Meinung gefragt wird, spielt er ein Rock ’n’ Roll-Riff (0:25) auf der Gitarre und singt dazu seinen Kommentar: Ein intimes Setting finde er aus Gründen der Akustik besser als eine große Halle.

      Wenn John mit der Gitarre zur Diskussion beitragen kann, dann kann George sich mit der Gitarre aus der Diskussion ausklinken – er vergnügt sich, indem er wieder einige Takte von HEAR ME LORD (0:15) spielt. Er und John dudeln ein paar Improvisationen auf ihren Gitarren, vielleicht haben sie beide die Nase voll von der Diskussion. Da die anderen aber immer noch weiterquatschen, unterbricht George sie schließlich und fragt Paul, ob er denn auch einen bestimmten alten Musichall-Song singen wolle. Als Antwort stimmt Paul das Lied gleich an, und zwar mit Schmackes: LEANING ON A LAMP POST (1:31). George und John unterstützen ihn an den Gitarren; jetzt ist wieder Musik angesagt, und John singt kurz ein eigenes Stück im Musichall-Stil, ANNIE (0:26), nicht ohne zu erwähnen, es sei für Ringo. Da will George nicht zurückstehen und stimmt (unterstützt von John an einer zweiten Gitarre) ein Lied auf eine „Maureen“ (2:08) an, von dem er behauptet, es stamme von Bob Dylan – äußerst unwahrscheinlich, aber Ringo gefällt es, denn seine Frau heißt Maureen. Es folgt Georges Soloversion von Chuck Berrys I’M TALKING ABOUT YOU (0:46), einem Song, den die Beatles 1963 bei einem ihrer BBC-Auftritte spielten. Damit zieht er zugleich den Schlussstrich unter einen von viel talking und wenig Proben gekennzeichneten Vormittag; auf Pauls Betreiben ziehen sie zur (letztlich fruchtlosen) Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für das Livekonzert los – Zeit für die Mittagspause.

      Nach der Mittagspause geht das Gerede um Ort und Rahmen des geplanten Livekonzerts erst einmal weiter. Hauptkontrahenten in der Diskussion sind Yoko Ono, die für etwas möglichst