Beschützerin des Hauses (Neuauflage). Marlene Klaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlene Klaus
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827565
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Schritten bog er rechts zum Dorfgrabenweg ab. Auch diese Gasse machte eine Biegung. Hier standen die Häuser nicht so eng beieinander. Zwischen manchen lagen freie Grundstücke, strauchbewachsen und dunkel. Gäßler blieb stehen und ließ seinen Ruf ertönen. Diesmal mit dem Zusatz:

      »Die Nacht erlischt, heraus zur Tages Pflicht!«

      Der Dorfgrabenweg ging in die Gemeindegasse über, rechter Hand, gegenüber vom Herwartschen Steinhaus, ragten auf dem Hausplatz der halben Hube die Grundpfeiler eines Neubaus in die Nacht. Hofmann, der Eigner, ließ ein Haus errichten. Gäßler durchschritt die Gasse. Bevor sie in den Heidelberger Weg mündete, säumte sie linkerhand den Dorfplatz. Er blieb stehen und auch hier vernahmen die erwachenden Bürger und Bauern, die Handwerker und Tagelöhner den Weckruf des Nachtwächters. Dann bog er rechts ab in den Heidelberger Weg, der am Zollhaus vorbei aus dem Dorf hinaus führte, schnurgerade nach Osten.

      Gäßler hielt am Durchgang des brusthohen Dorfzaunes inne und äugte in die Nacht. Dort draußen lagen die Fluren und die Allmende, die in der Ferne begrenzt wurden vom Saum des Hardtwaldes. Da stockte ihm der Atem erneut. Es kam eine Gestalt herangeschritten. Scham und Angst durchfuhren ihn: Saß er wieder einer Täuschung auf, die ihm Gestalten vorgaukelte, wo es keine gab? Er beugte sich nach vorn, hielt die Laterne am ausgestreckten Arm auf Augenhöhe vor sich und spähte in die Nacht. Die Hellebarde umklammerte er mit festem Griff. Er kniff die Augen zusammen, das Kerzenlicht blendete. Er stellte die Laterne ab, um nach dem Augspross zu fassen, kippte hernach in gewohnter Weise den Leib mit großer Gebärde nach hinten und machte ihn auf gespreizten Beinen standfest. Dergestalt seiner Erscheinung den nötigen Respekt und obrigkeitliche Würde verleihend, sowie sich selbst den erforderlichen Mut durch das Berühren des Talismans, rüstete er sich für den Ruf »Wer da? Gebt Antwort, Kerl!«, als er die näherkommende Gestalt am Gang erkannte.

      So wie sie ging keine. Sie schritt gemächlich einher, setzte mit Bedacht einen Fuß vor den anderen. Bei jedem Schritt wogte ihr der Arsch, dass sich Gäßler erinnert fühlte an das Schaukeln eines Kahns auf einem ruhigen See. Auch wenn man das Weib, wie jetzt, von vorne sah, wies das Pendeln auf das Prachtstück hin, zum Henker aber auch. »Die Heilmännin, die Krauthex«, murmelte er halblaut.

      Und er sah sie im Geiste vor sich, sah die Rundungen ihres Leibs, das schmale Gesicht, noch immer schön, obwohl sie nicht mehr jung war. Weich, man mochte sich in sie betten – zum Henker, was ging ihm da durchs Hirn!

      »Barbara Heilmann«, brummte er leise und machte kehrt. Als er an ihrem Haus vorüberkam, dem letzten am Heidelberger Weg vor dem Dorfzaun, schoss ihm ein Gedanke ins Hirn: Er hatte sie nicht hinaus gehen sehen. Wo ihm doch nichts auskam in der Nacht! Wahrscheinlich ist sie grad zum Schornstein raus wie all die Teufelsbuhlen, dachte er. Der Kiefer klappte ihm herunter. Er suchte zu fassen, was er da eben gedacht hatte. Holla! Anders konnte das gar nicht sein. Er hätte sie sonst doch sehen müssen. Und wer bleibt schon draußen in der Nacht, wo all das Gelichter vorkriecht, das Teufelszeug umgeht? Nur die, denen das nichts anhaben kann!

      Überrascht vom eigenen Scharfsinn und verdutzt darüber, dass er das noch nicht früher erkannt hatte, fühlte er Stolz in sich aufkeimen. Was, wenn er recht hätte? Was, wenn sie wirklich mit dem Leibhaftigen im Bund war?

      Als drücke ihm jemand die Spitze seiner Hellebarde ins Hinterteil, hastete Gäßler los und suchte seinen Rundgang eilends zu beenden. Er haspelte in der Dorfstraß nach Mannheim seine Sprüche nur noch nachlässig herunter. Rauschte zurück gen Ortsmitte, dass sich sein dunkler Wollumhang hinter ihm blähte wie die Schwingen eines dicken, fremdartigen Vogels.

      Erhitzt und außer Atem in die Stube im Rathaus zurück. Er würde die Sache im Auge behalten. Mehr als das. Er würde sie dem Zentgrafen melden. Nicht vorstellbar, dass der dem keine Beachtung schenkte.

      2

      Barbara Heilmann schlüpfte durch die Tannen, die ihren Garten auf der Nordseite begrenzten. Der Garten besaß keinen eigenen Zugang, war nur vom Haus aus zu betreten, doch zuweilen zwängte sie sich aus Faulheit oder weil sie Lust hatte, einen anderen Weg zu nehmen, durch die Tannenzweige. Gerade eben war jedoch Gäßler der Grund. Sie hatte seine Leuchte am Durchgang des Dorfzaunes gesehen, war vom Weg abgeschwenkt und hintenherum durch den Garten heimgekehrt. Sie mochte es nicht, jemandem zu begegnen, wenn sie im Morgengrauen nach Hause kam. Erst recht nicht Gäßler.

      Sie war die halbe Nacht im Wald gewesen. Sie fror, der Umhang war klamm. Durch die Hintertür betrat sie die Küche, warf die Leinenbeutel mit der nächtlichen Ausbeute auf den Tisch und entzündete ein Talglicht. Nachdem sie Feuer entfacht und einen Topf mit Wasser auf den Herd gestellt hatte, leerte sie die Beutel. Ein Häuflein Bibernellenwurzeln. Sie blies sich einen kastanienbraunen Haarstrang aus dem Gesicht und fuhr prüfend mit dem Daumen über die wurmschmalen Dinger. Das waren zu wenige und sie waren zu klein. Zudem waren sie von Wurzelfäule befallen.

      »Na! Du machst ein Gesicht als hättest du Spinnen gefressen!« Die knarzige Stimme ihrer Mutter durchbrach die morgendliche Stille. Sie stand in der Tür der Schlafkammer, im Nachtgewand, barfuß und mit zerwühltem Haar.

      »Erschrick mich nicht so!«, murrte Barbara.

      Katharina Großhans räusperte sich die Morgentrockenheit aus dem Hals und schlurfte zum Küchentisch heran. »Du lieber Gott, das sieht aber net gut aus!«, stellte sie nach einem Blick auf die Bibernellenwurzeln fest. Barbara erwiderte nichts und griff nach dem Messer, um die Ausbeute der Nacht zu bearbeiten.

      Das Feuer begann zu prasseln und vertrieb die feuchte Kälte aus der Küche. Ihre Mutter neigte sich über die Holzbank an der Wand hinter dem Küchentisch, gab Schreihals einen Schubs und ließ sich auf die Bank plumpsen, dass diese knackte. Wohlig setzte sie sich auf dem von der Katze vorgewärmten Platz zurecht. Auf ihrem Gesicht lag ein Grinsen. Sie zog die Backen hoch und das weiße Haar, das rechts von ihrer Oberlippe waagrecht in die Luft stach wie ein einzelnes Spinnenbein, bewegte sich auf und ab. Schreihals warf ihr einen empörten Blick zu, schüttelte den Kopf und leckte dann zweimal mit festem Kopfnicken den Hals hinunter. Sie drehte der Alten den Rücken zu, dann rollte sie sich neben ihr zusammen, ein rotweiß-schmutzgraues Fellknäuel.

      »Na«, machte Katharina und hob den Blick.

      Barbara schmunzelte. Das Gerangel um diesen Platz war ein altes Spiel zwischen ihrer Mutter und Schreihals. War ihre Mutter in Laune, ihren Platz zu behaupten, verlor die Katze. War sie süßlich gestimmt oder stolz auf eine erfolgreiche Mäusejagd Schreihals’, war sie gewillt, auf die zweite Bank unter dem Fenster auszuweichen.

      Barbara wies mit dem Messer auf die dunklen Verfärbungen an den Wurzeln. »Wurzelfäule. Muss ich alles wegschneiden! Der Mond ist so gut wie voll, ich hatte mehr erhofft.«

      »Wo warsch?«

      »Hardtwald. Richtung Haustücker, Unterfeld.«

      Katharina gähnte, zog die Schultern hoch und schüttelte sich wie zuvor Schreihals.

      »Machst jetzt Aufguss statt Tinktur?«

      »Was bleibt mir übrig? Für die Tinktur hätte ich mehr gebraucht.«

      Im Alkohol hätten sich die heilsamen Kräfte der Wurzel besser gelöst. Auch sorgte der für gute Haltbarkeit. Jetzt musste sie einen Aufguss ansetzen. Und jenen, die Husten hatten und Brustreißen, morgen noch einmal einen Kaltwasserauszug bringen. Was hieß, sich deren Gejammer ein zweites Mal anhören und sich ermutigende Worte abpressen. Sie hasste es. Dass sie nämlich einerseits für Heilung sorgte – soweit es in der Kräuter Macht stand –, andererseits jedoch nicht wirklich Teilnahme am Schicksal der Menschen aufbringen konnte. Nicht mehr.

      »Dem Senfkorn und der Fitterling bringe ich einen Aufguss«, zählte sie ihrer Mutter vor, die sie noch immer erwartungsvoll ansah. »Der Offenloch aber hustet Schleim, dem werd ich noch Thymian beigeben. Vielleicht finde ich kommende Nacht weiter östlich einigermaßen trockene Wiesen mit Bibernelle. Aber bei dem Dauerregen …«

      »Regnet’s?«, fragte Katharina, drehte den Kopf und sah zum hinteren Fenster hinaus. Im grauen Morgenlicht konnte man am Gewirr der fast noch kahlen Äste den Ansatz hellgrüner Blättchen erkennen, wie ein von Riesen gefertigtes Netz, in dem kleine