Kommissar Gerold sah ihn groß an. »Arno wer?«
»Arno Schmidt«, sagte Patz. »Der hat auch in der Lüneburger Heide gewohnt. Aber nicht, daß Sie den jetzt auch noch verdächtigen. Arno Schmidt ist schon 1979 gestorben.«
Kommissarin Fischer empfing einen Anruf und sagte dann: »Chef? Ich meine, Gerold?«
»Ja?«
»Neuigkeiten. Wir haben Breddelohs Wagen. Leider ausgebrannt. Auf einem Acker zwischen Becklingen und Bostelwiebeck.«
»Zwischen wo?«
»Zwischen Becklingen und Bostelwiebeck.«
»Sie sehen mich so an, als ob Sie sich vorstellen könnten, daß ich einen Schimmer davon hätte, wo das ist, meine liebe Frau Fischerin, aber da irren Sie sich! Ich bin selbst erst vor drei Jahren in diese entlegene Gegend gezogen …«
Bevor sie losfuhren, um Alwin Peters zu verhören, drückte Kommissarin Fischer ihrem Chef im Auto Armin Breddelohs Roman »Heidefieber« in die Hände. Auf Seite 204 stand:
Mit einem Schuhlöffel klaubte Lamborghini-Uwe dem Posaunisten das rechte Auge heraus.
»Haben Sie doch Erbarmen«, wimmerte der Musiker. »Ich bin ein Vater von drei Kindern!«
»Nein, von drei Halbwaisen«, sagte Lamborghini-Uwe und riß ihm auch das andere Auge heraus. Dann setzte er ihm mit einer Spezialzange zwei Glasaugen ein und schnitt ihm die Kehle durch. Weil er das cool fand. Und weil er die Bullen damit schocken wollte.
»Adieu, Monsieur«, sagte er und warf den Toten in den Nixengrund.
Es stiegen drei, vier Wasserblasen auf, und dann versank die Leiche im Morast.
»Das ist ja grauenhaft schlecht geschrieben«, sagte Gerold. »Und was soll das für eine Zange gewesen sein?«
Kommissarin Fischer meinte, daß Herr Breddeloh da wohl zu faul zum Googeln gewesen sei. »Wohingegen unser Täter genau gewußt hat, wie man in so einem Fall vorgehen muß. Er hat das getan, wovon Breddeloh nur phantasiert hat.«
»Na, wenn das Schule machen sollte, sehe ich schwarz für unsere Krimischreiber«, sagte Gerold. »Dann können sie einpacken!«
Unterwegs trommelte er mit den Fingern aufs Lenkrad und singsangte: »Pampa dammtamm, pada tamm, pampa dammtamm, pada tamm …«
Im Profil sieht er noch ganz passabel aus, dachte Kommissarin Fischer. Kein schöner Mann, aber einer mit einem markanten Kinn, und er hatte sich gut rasiert, im Gegensatz zu den meisten Jünglingen, die ihr nachstellten. In den letzten zwei, drei Jahren waren mehr als genug Verehrer mit Grätenhals um sie herumscharwenzelt. Mit ihren Männerbekanntschaften hatte sie bislang nicht viel Glück gehabt. Zwei Pharmaziestudenten, ein italienischer Jungkoch und ein freischaffender Künstler trauerten ihr nach. Sie selbst hatte beschlossen, sich nach oben zu orientieren und sich nicht noch einmal mit einem beruflich ungefestigten Mann einzulassen.
Links und rechts sausten die Maisfelder und die Birken vorbei.
»Pampa dammtamm, pada tamm«, sang Kommissar Gerold vor sich hin.
»Ist das irgendein Geheimcode?« fragte Kommissarin Fischer.
»Quatsch. Ich brüte nur gerade die Melodie für einen Song aus. Ich hab da so ’ne Garagenband. Schon seit Jahren …«
»Und wie heißt die?«
»Das wollen Sie nicht wissen.«
»Doch.«
Er warf ihr einen Seitenblick zu. Eine Liaison mit dieser jungen Kollegin kam nicht in Frage. Erstens würden sich alle darüber das Maul zerreißen, zweitens gab es da den Altersunterschied, und drittens …
»Reden Sie sich’s von der Seele, Chef. Sie wissen doch, wie sehr einen Geständnisse erleichtern.«
»Sie sollten Gerold zu mir sagen.«
»Gut. Ich merk’s mir. Und wie heißt nun Ihre Band?«
»Gerold Gerold and the Middle Agers.«
Es entging ihm nicht, daß sie sich auf die Unterlippe biß.
»Und wovon handelt der Song?« fragte Kommissarin Fischer.
»Von einem Computerspiel. Fortnite.«
»Nie gehört.«
»Kombiniere, kombiniere: Sie haben keine Kinder.«
»Richtig.«
»Ich schon. Und mein fünfzehnjähriger Sohn spielt Tag und Nacht Fortnite. So’n Killerspiel. Da murksen sich einhundert Gamer gegenseitig ab, bis nur noch einer von ihnen lebt.«
»Und das halten Sie für bedenklich?«
»Sagen wir’s mal so: Es kotzt mich an. Und der Refrain ist schon fast fertig: ›Fort mit Fortnite, weg damit! Spiel nicht diesen Killefit!‹«
»Killefit?«
»Kennen Sie das Wort nicht?«
»Nein.«
Kommissar Gerold kratzte sich am Kiefer und fragte sich, ob diese Frau überhaupt von irgendwas eine Ahnung hatte.
Alwin Peters lachte lange und herzlich, nachdem er begriffen hatte, daß er verdächtigt wurde, Armin Breddelohs Mörder zu sein. »Entschuldigen Sie bitte meine Heiterkeit«, sagte er und hielt sich seinen dicken, vor Vergnügen bebenden Bauch. »Aber da sind Sie auf dem Holzweg! Ich habe Herrn Breddeloh immer für einen Dünnbrettbohrer gehalten, aber ich habe ihm nie nach dem Leben getrachtet.«
»Sie haben die Buchhandlung Patz um kurz vor zehn verlassen«, sagte Kommissarin Fischer. »Wo sind Sie dann hingegangen?«
»Zum Bahnhof. Und um zehn nach zehn bin ich in den Metronom gestiegen. Die Fahrkarte müßte hier noch irgendwo rumliegen. Ich kann Ihnen sogar zwei Zeugen für mein Alibi nennen, denn der Schaffner, der meine Fahrkarte kontrolliert hat, ist ein Vetter von mir, und der Taxifahrer, der mich heimgefahren hat, ist ein Schwager meiner Nachbarin.«
»Gibt es einen tieferen Grund dafür, daß Sie Herrn Breddeloh vor versammelter Mannschaft angegriffen haben?« fragte Kommissar Gerold.
Peters räusperte sich. »Ich bin Literaturkritiker«, sagte er. »Ich habe Herrn Breddeloh wegen seiner Schlamperei zur Rede gestellt. Das wird ja wohl noch erlaubt sein. Wenn ich jeden Autor ermorden wollte, dessen Romane ich schlecht finde, hätte ich mehr zu tun als ein einarmiger Akkordeonspieler …«
Kommissar Gerolds Blick schweifte über die Rücken der Bücher in den Regalen. »Haben Sie die alle gelesen?« fragte er.
»Chef, ich meine, Gerold«, sagte Kommissarin Fischer, als sie wieder im Wagen saßen, »jetzt mal ernsthaft: Was wollten Sie mit dieser bescheuerten Frage bezwecken?«
»Das hat mich halt interessiert«, sagte er. »Wenn einer seine Bude dermaßen mit Büchern vollstopft, kann man das doch fragen …«
»Aber uns ist hoffentlich beiden klar, daß Alwin Peters als Verdächtiger ausscheidet.«
»Ja. Leider. Und jetzt sollten wir uns mal diesen Waldemar König vornehmen.«
»Den fragen Sie dann aber bitte nicht, ob er die Bücher, die ihm gehören, alle gelesen hat.«
»Und wieso nicht?«
»Weil das nur Idioten fragen.«
Er sah sie an, doch sie blickte geradeaus, und er musterte ihre Adlernase. Andere Frauen hätten sich einen solchen Höcker wegoperieren lassen, dachte er. Aber dafür mußte man wohl ein klein wenig mehr verdienen. Und bei Licht betrachtet sah sie gar nicht so verkehrt aus, diese Nase. Irgendwie indianisch. Oder persisch. Doch man hieß nicht mit Nachnamen Fischer, wenn man indianische oder persische Gene hatte. Es sei denn, daß sich irgendwann eine Indianerin oder eine Perserin in den Stammbaum verlaufen hatte