Die nächste Generation. Jule Beatsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jule Beatsch
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Die nächste Generation
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783347140486
Скачать книгу
konnte, ansonsten war es ziemlich komfortabel. Das Auto gab ein leises zischendes Geräusch von sich, als der Fahrer den Schlüssel drehte und der Motor ansprang.

      Clementine fragte sich, wie hochmodern dieses Gefährt wohl sein mochte, denn sie spürte gar nicht, dass sie über unebenen Asphalt fuhren; es fühlte sich viel eher so an, als würden sie über eine große weiche Wolke gleiten. Sie warf einen Blick aus dem Seitenfenster und sah, wie Häuser, Casinos und viele andere Menschen an ihr vorbeizogen. Auf Wiedersehen, Los Angeles, dachte Clementine traurig und stützte ihren Kopf ab.

      „Na, wie geht´s dahinten so?", fragte die Männerstimme noch einmal und der Fahrer warf einen Blick in den Rückspiegel, um seine Gesprächspartnerin besser begutachten zu können.

      „Wie man sich halt so fühlt, nachdem man seinen Ex umgelegt hat", gab sie schnippisch zur Antwort und sah beleidigt weg.

      „Wow, ganz ruhig, ich habe dir doch nur eine simple Frage gestellt", sagte der Mann freundlich und drehte etwas Musik auf. Irgendetwas Klassisches. Clementine wagte einen kurzen Blick nach vorne. Der Chauffeur sah schon etwas älter aus, das erkannte sie an dem weißgrau gesträhnten kurzen Haar, welches akkurat nach hinten gekämmt war. Seine Haut war sonnengebräunt, offenbar kam er irgendwo aus dem Süden. Außerdem trug er eine schwarze Sonnenbrille, die seine Augen verdeckte, sodass Clementine nicht sehen konnte, was er wohl gerade dachte.

      „Wie hat es sich denn angefühlt, jemanden zu töten? Hat´s dir wenigstens Spaß gemacht?", fragte der Man erneut, wodurch Clementine einfach nur rasend wurde. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und merkte, wie die Wut wieder die Oberhand nahm; sie spürte, wie ihr Flügel aus dem Rücken wuchsen, was in dem kleinen Jeep etwas beengend wurde. Die gedrehten schwarzen Hörner kamen zum Vorschein, ihre Augen färbten sich komplett rabenschwarz, ihre Eckzähne verlängerten sich und ihre Hände wurden zu langen Klauen. Mit einem wütenden Schrei wollte sie sich nach vorne stürzen und dem Fahrer den Hals durchbeißen, doch stattdessen prallte sie gegen eine Polycarbonatscheibe und fiel benommen zurück auf ihren Ledersitz. Sternchen tanzten um sie herum und ihr war schwindelig. Wie auf Kommando verschwanden alle Teufelsanzeichen und sie sah wieder aus wie ein ganz normales Mädchen. Verwundert beugte sie sich vor und berührte die Scheibe. Komisch, die hatte sie beim Einsteigen gar nicht bemerkt. Normalerweise fiel ihr so etwas doch sofort auf. Der Mann fuhr unbeirrt weiter. Während ihrer Verwandlung hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt; es schien fast so, als hätte er damit gerechnet. Lächelnd sah er in den Rückspiegel:

      „Beim nächsten Mal würde ich etwas genauer schauen, junge Dame. Vorsicht ist in deinem jetzigen Zustand alles", sagte er provokant und schob seine Sonnenbrille ein kleines Stück zurück. Clementine wich seinem Blick aus und schaute stur in eine andere Richtung. Der Fahrer lachte kurz und rief dann wie ein Lokführer: „Nächster Halt: Kanada.“

      Justice For All

      (Metallica, 1988)

      Entsetzt starrte Tariks Mutter ihn an und Tränen liefen ihr über die Wange: „Sag so etwas nicht“, flehte sie und schnäuzte sich in ein Taschentuch, auf dem eine lachende Sonne abgebildet war. Nur blöd, dass die Situation gar nicht zum Lachen war. Zumindest nicht für Tariks Mutter.

      „Das war doch nur Spaß, Mum", beruhigte der schwarzhaarige Junge die Frau und nahm ihre Hand.

      „Es tut mir so leid, Tarik", schniefte sie und schien sich innerlich riesengroße Vorwürfe zu machen.

      „Was tut dir leid, Mum? Du kannst doch nichts dafür!", versuchte er sie zu trösten, doch er merkte, dass seine Mutter ihm offenbar etwas verschwieg. Zögerlich zog er seine Hand weg und zwang sie mit einem plötzlich eisernen Blick dazu ihn anzusehen: „Wer bin ich?", fragte er voller Ernst und ließ Mrs. North keinen einzigen Augenblick aus den Augen.

      „Es tut mir so leid, mein Junge… Hätte ich das nur gewusst… Wenn ich das doch nur gewusst hätte!", schluchzte sie aufgebracht weiter und vergrub ihr Gesicht in den zitternden Händen. Tarik riss fast der Geduldsfaden:

      „Mum! Sag es mir doch einfach! Wer, oder besser gesagt, WAS bin ich?", fragte er forsch; man konnte die knisternde Spannung im Raum bestimmt noch Kilometer weit spüren. Tarik starrte seine Mutter so aufmerksam an wie ein Löwe auf der Jagd eine Antilope fixierte.

      „Sag es mir einfach", bat er und versuchte seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben, obwohl er vor Neugier fast am Rande des Wahnsinns stand. Dann hob seine Mutter mit einem sehr schuldbewussten Blick ihren Kopf und sah ihren Sohn lange an: „Ich hätte es wissen müssen, Tarik. Dein Vater und ich kannten das Risiko. Ich könnte mich ohrfeigen!", weinte sie wieder und schnäuzte sich noch einmal in ihr mittlerweile völlig zerknittertes Sonnen-Taschentuch. Tarik ging auf die Knie und sah seiner Mutter eindringlich in die tränennassen Augen:

      „Bitte sage es mir", bat er und setzte seinen Hundeblick auf, den er ehrlich gesagt ziemlich gut beherrschte. Sie sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der sagte, wie leid es ihr tat, was nun folgen würde. Aber dann raffte sie sich auf und sagte immer noch mit wackeliger Stimme: „Dein Vater….dein Vater ist der Erzengel Samuel."

      Tarik starrte sie lange an, dann gab er ein trockenes, fast schon hysterisches Lachen ohne jegliche Freude von sich.

      „Das ist ein Witz, oder? Du hast mich reingelegt! Mein Vater ist doch kein Erzengel", lachte er, doch es lag auch eine kleine Spur Unsicherheit darin. "Ist doch nicht so, oder?", fragte er nervös nach und ließ seine Finger knacksen. Das war eine Angewohnheit von ihm, die er einfach nicht mehr wegbekam. Ms. North sah ihn aus ihren tieftraurigen Augen an und wollte nach seiner Hand greifen, aber Tarik zog sie schnell und reflexartig von ihr weg. Sie hatte also nicht gelogen. Ihr Schweigen bedeutete, dass jedes Wort wahr sein musste.

      „Tarik… es", hob sie verzweifelt an, aber der 16-jährige Junge sprang auf und rannte nach oben, während er noch schrie:

      „Das ist eine Lüge! Ich bin ein normaler Mensch, ein ganz normaler Junge! Ich kann nicht der Sohn eines Engels sein! Das ist unmöglich!", rief er verletzt und hetzte die Treppe hinauf, als wäre eine Horde wild gewordener Dämonen hinter ihm her. Seine Mutter rief ihm noch irgendetwas hinterher, aber Tarik hörte es nicht mehr, weil er die Holztür seines Zimmers fest hinter sich zuknallte. Er wollte nichts davon hören. Ein Engel, Pffft. Die existierten doch nur im Märchen, nichts weiter, sie waren einfach nur erfundene Wesen in Geschichten und Mythen. Grollend warf er sich auf sein Bett und starrte verwirrt die hellgrün gestrichene Wand an. Grün war seine Lieblingsfarbe. Er dachte angestrengt über die Worte seiner Mutter nach. Er hatte Zweifel, aber die hätte vermutlich jeder, dem seine Mutter sagen würde, dass der Vater ein Engel sei. Jedenfalls wusste er, dass sie die Wahrheit gesagt hatte, aber er wollte es irgendwie nicht wahrhaben.

      Ein leises Klopfen war an seiner Tür zu vernehmen und Ms. North fragte zögerlich:

      „Tarik? Kann ich vielleicht kurz reinkommen? Bitte…. bitte hör mir doch zu. Danach kannst du mich hassen, aber lass mich dir die ganze Geschichte erzählen, bevor du dein Urteil über mich fällst", bat sie traurig und seufzte tief. Tarik nuschelte in sein Kissen: „Okay."

      Dankbar und sichtlich erleichtert drückte seine Mutter die Metallklinke herunter und zog die Tür so vorsichtig hinter sich zu als wäre sie aus Porzellan oder Glas. Dann setzte sie sich neben ihren Sohn aufs Bett, rückte aber nicht zu dicht an ihn heran, denn sie schien zu spüren, dass er gerade nicht so gut auf sie zu sprechen war.

      „Hör mir bitte zu, Tarik. Du musst mich nicht verstehen, du sollst nur wissen, dass ich dich immer lieben werde, egal was oder wer du bist oder sein wirst.", versprach sie und der Junge nickte nur stumm.

      „Also es war so…“ begann sie wehmütig: „Es ist bestimmt schon zwanzig Jahre her, dass ich deinen Vater kennenlernte. Sofort war klar, dass da mehr als nur Freundschaft war, wir hatten uns auf Anhieb sehr gut verstanden und ergänzten uns gegenseitig in unseren Interessen, genauso wie auch in unserem Verhalten. Vier Jahre war ich mit Samuel zusammen und wir waren glücklich, nichts konnte uns trennen."

      Sie stockte kurz und wischte sich eine Träne aus den Augen, bevor sie fortfuhr. „Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dein Vater ein Erzengel war.