Beruflich war ich damals mitten drin, mitten drin im Hamsterrad. Und da sah ich sie tagein tagaus:
Die finsteren Mienen, die morgens mit der U - Bahn zur Arbeit fuhren. Mienen, die so blass, müde, nervös und frustriert schienen, dass man denken konnte, dass die Leute nicht auf dem Weg zur Arbeit, sondern vielmehr auf dem Weg zu ihrer eigenen Hinrichtung gewesen sind.
Ab und an gab es natürlich ein paar Lichtblicke, ein paar fröhliche Gesichter, aus denen noch Zuversicht und Lebensfreude strahlte.
Genau da wollte ich wieder hin und zwar dauerhaft.
Ups Endstation! Bitte aussteigen und hinein ins Hamsterrad: Termine, Termine, Termine, und einer war „wichtiger“ wie der andere…
Nachts konnte ich dann kaum noch schlafen, meine Beziehungen wurden immer verrückter, und die Leere in mir wurde zunehmend unerträglich. Normalerweise müsste ich, wie es in vielen Büchern, die sich mit dieser Thematik befassen, der Fall ist, an dieser Stelle noch schreiben, dass ich pleite war, nicht mehr wusste, wie es finanziell weitergehen sollte und deshalb sicherheitshalber jeden Morgen den Frühstückstisch mit einer zusätzlichen Kaffeetasse für den Gerichtsvollzieher eingedeckt habe.
Das stimmt aber in meinem Fall so nicht. Im Gegenteil: Ich verdiente zwar gut, lebte aber im Großen und Ganzen so weiter wie zu meinen studentischen Zeiten. Dadurch baute ich mir schnell eine gute Reserve auf, um dazu in der Lage zu sein, mich möglichst rasch wieder aus dem ganzen Kreislauf zu befreien und Zeit zum Durchatmen und Neuausrichten zu gewinnen. Freizeit erschien mir schon damals unendlich kostbar.
Irgendetwas in mir hat meine scheinbar bereits in Vergessenheit geratene Lebensvision wohl doch noch voll auf dem Schirm gehabt und meine Entscheidungen entsprechend zielführend beeinflusst.
Gut so, wie sich später herausstellen sollte…
Ein kleiner Zusammenbruch als Botschaft des Lebens
Dieses „Irgendetwas“, dem ich noch ein ganzes Kapitel in diesem Buch widmen werde, pochte in mir. Es ließ mich nicht mehr schlafen, nicht mehr zur Ruhe finden, und eines Morgens zeigte es mir in unmissverständlicher Form, dass es so nicht weitergehen konnte:
Wiedereinmal klingelte morgens um sechs Uhr der Wecker. Ich stand auf, ging duschen, trank schnell meinen Kaffee und stand, nach einem kurzen Frühstück, abfahrbereit in Richtung Hamsterrad mitsamt Anzug und Krawatte im Flur meiner damaligen Wohnung in Berlin - Zehlendorf.
Ich nahm den Schlüssel und… Plötzlich wankte der Boden unter mir. Mein Herz raste los, als wäre der Teufel höchst persönlich hinter mir her, mein Magen drehte sich um.
Der Schweiß stand mir auf der Stirn, während mein eigentlich weißer Flur vor meinen Augen in allen möglichen Farben zu schimmern begann, und ich langsam zusammensackte. Eh ich mich versah, lag ich am Boden. Mein Kreislauf wurde immer schwächer. „Jetzt ist es durch!“, dachte ich.
So hatte ich meinen Körper, der mich stets sicher durchs Leben getragen hat, noch nie erlebt.
„Was ist das?“
Sicherlich könnte man jetzt auf die Idee kommen, dass ich am Abend zuvor so richtig Party gemacht habe, und mein Körper sich nun rächen wollte.
Doch Fehlanzeige! Alkohol und berauschte Nächte gab es bei mir nicht, sonst wäre die ganze Geschichte wohl völlig anders ausgegangen, und ich würde jetzt wohl nicht dieses Buch schreiben, sondern vielmehr mit anderen Problemstellungen beschäftigt sein.
Auf allen Vieren krabbelte ich auf den Boden in Richtung Küche, öffnete kaum noch etwas sehen könnend den Getränkeschrank und entnahm mit letzten Kräften eine bereits vor Wochen angefangene Flasche Cola. Ich öffnete sie, trank, und - „Puh!“ mein Kreislauf schien, wieder hoch zu fahren.
War das ein Schreck!
Ich ganz alleine in der Wohnung, und dann passiert so etwas. Ich löste mir die Krawatte, knöpfte mein Hemd auf, legte mich auf den Boden meiner Küche und schaute durchs Balkonfenster. Die Sonne schien hell hindurch, die Vögel zwitscherten, so als wäre nichts geschehen, und ich war glücklich, dass es mir wieder besser ging und überhaupt noch am Leben war.
Plötzlich, ganz plötzlich, als ich gerade wieder einigermaßen klar denken konnte und langsam wieder Kraft in meine geschwächten Glieder einströmte, schoss mir dann die eine, im Nachhinein für meinen weiteren Lebensweg ausschlaggebende Frage in den Sinn:
Wie viele Leben hast Du noch?
Subjektiv empfunden, wäre es beinahe „rum“ gewesen. Medizinisch gesehen, hat mir wohl lediglich mein Kreislauf einen gehörigen Streich gespielt. Ich hatte mich einfach heftig erschrocken, und das war auch gut so. Wie hätte ich mich geärgert, kaum so richtig gelebt und so viel wertvolle Zeit einfach so verschwendet zu haben.
Vor lauter Wut wäre ich dann wohl auf meiner eigenen Beerdigung aus der Kiste gesprungen und so richtig durchgedreht. Dieses Trauma wollte ich jedoch keiner Trauergemeinde zumuten.
„Man steckt schneller drin, als man denkt - in diesem verdammten Hamsterrad!“, stellte ich damals fest. Und das Leben ist schneller vorbei, als man sich denken kann.
Zurzeit meines Zivildienstes habe ich viele Sterbende gesehen: Einige schliefen zufrieden ein, andere fanden es schade, dass es schon vorbei ist, akzeptierten aber das Unvermeidbare und ließen schließlich los. Am betroffensten machten mich aber diejenigen, die sterbend festgestellt haben, dass sie nie wirklich gelebt haben und dann krampfhaft versuchten, sich am absterbenden Ast ihres Lebens noch weiter festzuhalten.
Das sollte nicht mein Schicksal sein, bitte nicht!
Die Aufregung wich, und ich beschloss nun, dieses, mein einziges Leben, in die Hand zu nehmen und es so zu gestalten, wie ich es wollte.
Ausbruch aus dem Hamsterrad
Fortan ließ ich es nicht mehr in meinem Körper rebellieren. Vielmehr rebellierte ich nach außen, sprach, wenn auch in sorgsam gewählten Worten, direkt aus, was ich dachte, und nahm mir die Zeit, meine eigene Lebensvision zu gestalten und diese zu Papier zu bringen.
Egal ob bei Regen, Schnee oder Sonnenschein:
Ich trieb wieder Sport und ließ meinen Körper Schritt für Schritt wieder in eine für mich zufriedenstellende Verfassung zurückfinden. Klar und deutlich formulierte ich, was ich wollte, und wohin meine Reise - privat und beruflich - führen sollte. Was mir zuwider war, ließ ich abprallen. Ich zog mein Ding durch, so dass ich mich langsam wieder zu dem Menschen entwickelte, der ich wirklich sein wollte.
Schließlich sollte die gewünschte Veränderung nicht lange auf sich warten lassen: Man versetzte mich quasi von einem Tag auf den anderen in einen neuen Bereich. Ich hatte plötzlich einen Vorgesetzten, der meine Talente erkannte, und mit dem ich ganz hervorragend harmonierte.
Plötzlich war ich der „Mitarbeiter für besondere Aufgaben“, dem man freie Hand ließ und auf dessen Fach- und Sozialkompetenz man absolut vertraute. „Machen Sie es einfach mit Ihrer Art, Herr Semrau“, lautete mein Arbeitsauftrag. „Nichts leichter als das“, erwiderte ich, und begann damit, zunehmend mehr Mitarbeiter zu coachen, optimierte interne Strukturen, kurbelte das Geschäft an und hielt unzählige Vertriebs-, Fach-, und Kommunikationsseminare ab.
Mir gelang es immer besser, den Menschen so mitten im Alltag wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und die Sonne wieder bis ins letzte Eckchen der dunkelsten Hinterstube scheinen zu lassen.
Eine Zeit, von der ich bis heute profitiere, und an die ich gerne zurückdenke. Eine Zeit, in der mich endlich wieder das Gefühl erlangte, in die richtige Richtung zu gehen. Ich lernte unheimlich viel dazu, las oftmals bis tief in die Nacht hinein unzählige für meine Zwecke geeignete Bücher und begegnete vielen wertvollen Menschen, an die ich noch heute gerne und in Freundschaft zurückdenke.
Ich war damals bei einem wirklich guten ebenso wie zukunftssicheren Unternehmen beschäftigt, das seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern