Katholisch...oder?. Oliver Grudke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oliver Grudke
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Killer Tal Krimi Reihe
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783347029583
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im Nachbardorf. Dort verbrachte er auch seinen Feierabend.

      Nur am Wochenende klappte dies natürlich nicht und seine Frau verlangte vollen Einsatz bei der Betreuung von vier Kindern. Sex gab es keinen mehr, was Dr. Kanst eher erfreute, wie schnell waren ohne Kondom aus vier sechs geworden. Die Frau von Frank war seine erste und einzige und vermutlich letzte Freundin und Frau!

      Also lag Alex Kanst wohl bei zwei zu vier richtig!

      „Na, so schlimm kann es ja nicht gewesen sein!“, sagte der Arzt und dachte dabei an sein schlimmes und Sex loses Wochenende.

      „Doch doch, es hat ja fast immer nur geregnet und deshalb musste ich das ganze Wochenende mit Bauklötzen und blöden Puppen auf dem Boden liegen!“

      „Gut, das Wetter macht uns allen einmal einen Strich durch die Rechnung. Aber gab es nicht auch Momente, die sie berührt haben. Lachende Kinderaugen, ein dankbarer Blick?“

      „Ja, ja schon! Aber meine Frau, glauben Sie mir, die stinkt! Ich denke, die wäscht sich nicht mehr, ganz bestimmt!“

      Solche ekligen Details mochte Dr. Kanst nicht und heute schon gar nicht.

      „Sehen Sie, ein lachendes Kinderauge gibt einem doch sehr viel zurück. Nun liegt ja eine entspannte Woche vor Ihnen und das nächste Wochenende soll noch einmal sehr sonnig werden. Dann können Sie hinaus auf Ihren Spielplatz und die Meute rennen lassen!“, log Dr. Kanst und war bereits aufgestanden, um Herrn Müller zu verabschieden.

      „Gut, wenn Sie meinen. Ich fühle mich auch schon besser. Jetzt hatte ich ja fast den ganzen Morgen Zeit für mich: Übrigens, Sie haben tolle Magazine in Ihrem Wartebereich!“ Frank Müller drückte sehr innig die Hand von Alex Kanst. Eine Verspätung war wohl die beste Therapie für den jungen Familienvater.

      Alex Kanst desinfizierte seine Hände, schließlich möchte ja keiner die Keime der unteren Bevölkerungsschicht an den Händen oder sonst wo haben. Als er in den Flur schaute, ob bereits der nächste Patient wartete, bemerkte er erneut die brennenden Kerzen auf dem Tresen. Eigentlich waren diese ihm ja schon beim Hereinkommen aufgefallen. Doch erst jetzt weckten diese blauen Kerzen seine Neugierde.

      Natürlich war nächste Woche der erste Advent, doch selbst im Advent brannten nie Kerzen auf dem Tresen von Tina.

      Tina saß mit dem Rücken zum Tresen und war in den Tiefen des Webs gedanklich verschwunden. Alex Kanst sah nun drei blaue Kerzen auf seinem Tresen. Nun, der Advent benötigte vier und man nahm ja auch eher die roten oder goldene. Natürlich wusste er nichts über den aktuellen Modetrend in Sachen Weihnachten. Er erinnerte sich, als seine Cousine ihm einmal grüne Christbaumkugeln geschenkt hatte. Grüne Kugeln an einem grünen Baum. Ein Trend, der sich nicht durchsetzte. Alex lachte.

      „Na, ist Blau der Trend in diesem Jahr für die weihnachtliche Dekoration überall?“

      Tina blickte verdutzt auf, erst dann sah sie ihren Chef auf die Kerzen zeigen. Lächelnd stand sie auf.

      „Aber nein! Sieh mal, Chef!“ Voller Stolz zeigte Tina auf eine 30 cm hohe Statue aus Gips, welche sich neben dem Faxgerät befand. Links und rechts der Statue ebenfalls zwei blaue Kerzen. Die Statue trug eine schwarze Kutte, welche fast alles überdeckte, sodass man kein Gesicht sehen konnte.

      „Ha, was ist das, Darth Vader?“

      „Aber nein, das ist die heilige Arsi, Chef. Dass du das nicht weißt?“

      „Die heilige … was?“

      „Arsi!“

      Dr. Kanst war katholisch und in seiner Kindheit natürlich auch Messdiener. Später unterstützte er noch die Katholische Gemeinde in seinem Heimatort als ehrenamtlicher Pfarrgemeinderat.

      In seinem alten Leben, in einer anderen Zeit.

      Dennoch hatte er noch nie etwas von einer heiligen Arsi gehört.

      „Komm, du verkaufst mich für dumm!“ Dr. Kanst lachte und bemerkte plötzlich, wie sich das Gesicht von Tina verfinsterte.

      „Nein, bestimmt nicht! Das ist die hl. Arsi aus Slepvice. Das ist ein Ort in Bosnien. Dort erscheint die Heilige jeden Monat einem emeritierten Priester in einer Höhle. Sie beschützt uns und hält die bösen Mächte von uns fern! Du musst ja nicht daran glauben, aber so lange fünf blaue Kerzen brennen, ist sie in demselben Raum zugegen!“ Tina stöckelte an dem verdutzten Dr. Kanst vorbei und rief den nächsten Patienten auf.

      Eine Mitarbeiterin des Landratsamtes hatte einen Burn-out. Ein Routinefall, doch Dr. Kanst konnte sich nicht konzentrieren.

      „Die hl. Arsi!???“, ging dem Psychologen nicht aus dem Kopf. Tina arbeitete nun schon fast acht Jahre bei ihm. Man konnte alles mit ihr durchstehen, doch gläubig war sie nie und auch bestimmt kein Kirchgänger. Er beschloss, alles über diese Figur aus Gips herauszufinden, denn in seinem Magen machte sich ein mulmiges Gefühl breit.

      „11.03 Uhr!“ Tina hatte kurz die Tür aufgestoßen und schon eher schnippisch Alex Kanst an seinen so wichtigen Termin erinnert!

      „Ich habe doch recht, oder? Herr Doktor?“, sagte die leicht übergewichtige kurzhaarige Mittfünfzigerin, welche auf dem schwarzen Ledersofa im Behandlungszimmer von Alex Kanst saß.

      „Ja, natürlich! Das sehe ich genauso!“, bestätigte Dr. Kanst. Doch um was es eigentlich ging, konnte er nicht sagen, da er überhaupt nicht zugehört hatte. Auf seinem Block stand: Magarete Blümle, 54, fühlt sich gemobbt. Sachbearbeiterin im Umweltamt Referat 21 des Zollernalbkreises. Also alles in allem ein Routinefall für den Psychologen. Alex Kanst gingen immer noch die blauen Kerzen auf seinem Tresen im Kopf herum. Er lächelte Frau Blümle an.

      „Deshalb sehe ich schon bald eine Lösung in Ihrem Problem!“ Dr. Kanst stand auf und streckte Frau Blümle seine Hand entgegen. Doch Frau Blümle war verdutzt und blieb sitzen.

      „Ja, … aber, ich meine … sind wir schon fertig?“

      „Für heute, wir werden natürlich noch die eine oder andere Sitzung benötigen. Lassen Sie sich am besten gleich einen neuen Termin geben. Frau Flammer ist am Empfang!“ Dr. Kanst hatte bereits die Tür zu seinem Sprechzimmer geöffnet und die immer noch verdutzte, aber mittlerweile aufgestandene Frau Blüm sachte in den Korridor geschoben. Dann griff er nach seiner grauen Fließjacke. Eine neue Anschaffung aus dem Forstfachkatalog. Noch immer könnte er eigentlich alles aus diesem Katalog brauchen, und doch benötigte er eigentlich nichts mehr in seinem neuen Beruf. Er versuchte, sich seine Eile nicht anmerken zu lassen und ging betont und ruhig am Tresen vorbei, wo gerade Tina Frau Blümle einen neuen Termin im neuen Jahr schmackhaft zu machen versuchte. Tina sah nicht auf.

      „11.18 Uhr!“, zischte es schadenfreudig hinter dem Tresen hervor.

      Alex Kanst nahm die Treppe, nicht den Aufzug. Er war sich sicher, wenn er zwei Stufen auf einmal nehmen würde, dann würde er schneller als der hochmoderne Aufzug sein. Als er über den Kirchplatz rennen wollte, kam gleich eine ganze Kolonne von Autos und keines hielt an, obwohl dies eine Fußgängerzone war und eigentlich nur Anlieger durchfahren dürfen. Kurz dachte er an die so nette Frau vom Ordnungsamt, ob diese sich auch den so netten Autofahrern widmete oder nur einigen Falschparkern.

      Jetzt schlug die Glocke der Hechinger Stiftskirche 11.30 Uhr. Dr. Kanst rannte, doch bremste noch einmal kurz vor der Tür des Büros der Seelsorgeeinheit ab. Noch einmal wollte er sich nicht den Kopf anschlagen.

      Er hatte Glück, denn es war noch geöffnet. Als er den Raum betrat, fiel ihm als Erstes der modrige Geruch nach abgestandener Luft auf.

      „Also, eigentlich haben wir schon geschlossen!“, krächzte eine Stimme aus der dunklen hinteren Ecke. Diese gehörte zu einer blassen dürren Frau um die 60, welche mit einem unheimlichen Aufwand an schwarzer Farbe und Lockenwicklern versucht hatte sich eine Frisur anzueignen.

      „Zuerst einmal grüß Gott! Was können wir denn für sie tun?“, sagte nun eine Stimme direkt vor ihm hinter einem billigen Tresen aus weißem Pressspanholz. Sowas wäre ja gänzlich unter seiner Würde. Sein Tresen am Empfang war natürlich aus 300-jährigem Eichenholz gezimmert.