Die Idee mit dem Kunsthandel war daraus geboren worden, dass er sich eine Beschäftigung suchen wollte, die ihm mehr Antrieb gab. Die Nachfrage nach bestimmten Arbeiten von Künstlern, die er nun schon seit zwei Jahren vertrat, ermunterte ihn und gab ihm Ansporn, sich für die Maler und Bildhauer einzusetzen und natürlich auch selbst davon zu profitieren. Nun war er aber noch ein Nobody und Onlineshops für Kunsthandel gab es wie Sand am Meer, aber immerhin, durch seine aufgeschlossene Art war es ihm gelungen, einen stetigen Abverkauf, wenn auch im bescheidenen Maße, hinzubekommen. Er setzte zweit- bis dreitausend Euro pro Monat um, davon blieb ihm die Hälfte.
Die Künstler, die er anbot, waren allesamt am Anfang ihrer Laufbahn. Sie hatten keine Möglichkeit irgendwo auszustellen, wenn es nicht gerade in einer Stadtbücherei sein sollte. Sein bescheidener Erfolg begründete sich darauf, dass es ihm immer wieder gelang, deren Exponate als besonders vielversprechend für junge und neue Sammler darzustellen, denn egal, wer in Kunst investierte: Sobald man ein Zertifikat der Arbeit in Händen hielt, ging es nur noch um den Wertzuwachs. Das tat er, indem er die Namen und Biografien seiner Künstler auf seiner Internetseite mit Erfolgen verband, die vorsichtig ausgedrückt recht gedehnt waren. So vergab er Kunstpreise, die er sich selbst ausdachte, und beschrieb Ausstellungen, die es nie gegeben hatte. Nicht alle Künstler machten das mit, sodass er neue Klienten zunächst vorsichtig fragte, ob sie damit einverstanden wären. Blieb aber jeglicher Erfolg aus, kamen die meisten sowieso irgendwann und baten um diese spezielle Unterstützung. Ihm war klar, dass das auf Dauer nicht gut gehen würde, aber bis dahin konnte er ja so arbeiten. Danach würde ihm schon etwas Neues einfallen. Immerhin hatte er es auf zwanzig junge Künstler gebracht, die er vertrat.
An einem Sonntag stand er normalerweise nicht vor elf Uhr auf, heute aber musste er um zehn an der Messe sein und das war in zwei Stunden. Er war sehr überrascht gewesen, als ihn Margarethe anrief. Sie sagte sogar etwas Freundliches, nämlich dass sie sich sehr freuen würde, wenn er sie begleitete. Nur abholen sollte er sie nicht. Für Serge stand fest, dass Menschen sich nur dann verabredeten, wenn sie gewisse Interessen hatten. – Er musste sich beeilen.
Kapitel 2
Margarethe und Serge trafen sich wie verabredet an einem Eingang der Kunstmesse. Sie grüßte Serge trocken, der sie eigentlich nach französischer Art zur Begrüßung hatte küssen wollen, den Gedanken aber verwarf, als er Margarethes abwehrende Miene wahrnahm.
Während sie auf den Eingang zugingen, musterte Margarethe sein Äußeres. Serge trug eine Jeans und seine Lederjacke. Er hatte eine Umhängetasche aus Stoff dabei, die nach unten hing und beim Gehen störte, was er aber nicht weiter zu beachten schien. Außerdem trug er dieselben abgewetzten Schuhe, die er auch schon vor zwei Tagen getragen hatte. – Margarethe trug eine weiße Bluse und einen blauen Blazer. Beides gehörte zu ihrer immer gleichen Kollektion Arbeitskleidung. Dazu hatte sie eine etwas ältlich aussehende Jeanshose angezogen, die aus einer Kommode aufgetaucht war. Sie trug schwarze Schuhe mit etwas höheren Absätzen. Eine Handtasche oder einen Rucksack hatte sie nie dabei. Sie steckte ihr Portemonnaie in eine Hosentasche und den Schlüsselbund in die andere.
Ohne ein weiteres Wort an Serge zu richten, ging Margarethe in das Gebäude hinein und kaufte eine Eintrittskarte für sich. Serge folgt ihr mit etwas Abstand nach. Da Margarethe beharrlich schwieg, wurde Serge beklommen zumute.
Sie betraten die erste Halle. Serge bekam Zweifel, dass Margarethes Grund, die Messe besuchen, der war, mit ihm zusammen sein zu wollen. Dass er überhaupt daran gedacht hatte, dass Margarethe ein Interesse an ihm haben könnten, war wohl tatsächlich ziemlich töricht.
Die einzelnen Ausstellungsstände waren in verschiedenen Größen zugeschnitten. Die meisten Stände waren eher klein und boten Platz für drei oder vier Exponate an den Wänden. Die Aufbauten der Stände bestanden aus einfach verbundenen weißen Wänden. Insgesamt war alles weit und offen und man hatte nicht das Gefühl, überhaupt einen bestimmten Stand zu betreten, so verwoben schienen sie miteinander zu sein.
Moderne Kunst kannte keine eigenen Merkmale. Bunt mit glatten glänzenden Oberflächen ließ sich eine Zeit lang gut verkaufen, im Übrigen bestand die Kunst nicht in den Werken selbst, sondern darin, sie mit gelenkigen Worten einem höheren Etwas zuzuführen, einem höheren ideellen Zweck oder Appell. Das konnte Protest oder Lob sein, Übersinnliches oder etwas die Psyche des Menschen Ansprechendes. Diese Worte sich auszudenken war eine hohe, war die wahre Kunst, denn praktisch alles, was gezeigt wurde, hatte keinen Sinn aus sich heraus. Es war meistens naiv, was gut in die Zeit passte, oder hatte irgendwelche Formen, bei deren Betrachtung man das Gefühl bekam, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben.
Der Umsatz im weltweiten Kunsthandel betrug in den letzten Jahren fast siebzig Milliarden Dollar. Auf dieser Messe ging es sowohl um kleine bedeutungslose Beträge als auch um viele Millionen für ein einziges Exponat, das auch von einem zeitgenössischen Künstler sein konnte. Es gab wohl im Wirtschaftsleben kein anderes Gebiet, bei dem Angebot und Nachfrage so freischwebend und ohne Fundament waren beziehungsweise irgendeine Substanz zu erkennen war. Der Kunsthandel hatte eine Art von Ehrlichkeit, wie man sie woanders kaum finden würde. Die Preise richteten sich genau nach dem, was man vor sich hatte. Natürlich gab es Fälschungen und Nachahmer, was bisweilen ärgerlich sein konnte, doch focht das die meisten nicht an. Eine Fälschung musste man stillschweigend weiterverkaufen, was man mit der Hilfe eines wohlgesinnten Gutachters auch hinbekam, und die Nachahmer sah man auf den ersten Blick, jedenfalls wenn man Sachverstand hatte, was die meisten Besucher für sich in Anspruch nahmen.
Die Größe der Exponate spielte insofern eine Rolle, dass sehr groß automatisch für teurer stand. Es gab Exponate, die hatten einen hohen Materialwert. So hatte sich ein Künstler, der sich Dmitri Wolkow nannte, darauf spezialisiert, aus Holz Tiere zu fertigen beziehungsweise diese mit Sägen und allerlei Schnitzwerkzeug zu formen, um sie dann mit Blattgold zu überziehen. Da die Tiere sehr groß waren – eines maß mindestens zwei Meter in der Länge oder Höhe, gleich welcher Gattung es war –, kamen schnell einige Gramm Blattgold zusammen. Man hatte Dmitri Wolkow eine Legende gegeben, nämlich dass er aus einem kleinen russischen Dorf nahe der finnischen Grenze stamme, dort das erste Gold selbst gefunden habe und ihm dabei die Idee gekommen sei, es nicht zu verkaufen, sondern künstlerisch zu verarbeiten. Für eine Messe und schon gar nicht für eine so noble, wie die in Frankfurt, war das Werk nicht bestimmt. Der Künstler wollte es bescheiden im Kreishaus seiner Gemeinde ausstellen und so seine Verbundenheit mit seiner Heimat zeigen. Der Zufall wollte es, dass ein westlicher Holzaufkäufer gerade an dem Tag in dem Kraushaus zu tun hatte, als es dort unter viel Beifall installiert wurde. Er bot einen Preis, dem weder der Kreissekretär noch der Künstler selbst widerstehen konnten. Der Holzaufkäufer verbrachte es zu einem sehr vornehmen Kunsthändler nach Frankfurt. – Diese Geschichte ließ nicht mehr als ein müdes Lächeln auf den Gesichtern der Zuhörer erscheinen, aber immerhin enthielt die Anekdote eine altruistische Komponente und maß so dem Werk einen gewissen ideellen Wert bei. Dmitri Wolkow wohnte allerdings nicht an der finnischen Grenze, sondern in Frankfurt-Niederrad und hieß Kurt-Georg Krause. Herr Krause hatte immerhin Kunst studiert und beherrschte leidlich die notwendige geschnörkelte Sprache, die in der Branche gesprochen werden musste. Der Erfolg initiierte eine größere Produktion recht ähnlicher Exponate, die allesamt für viel Geld verkauft wurden. Man produzierte vor allem für den Export nach Asien, da man in Europa bedauerlicherweise mit einer häufigen Vervielfältigung gleichgesetzt wurde. – Das war nicht ganz falsch. Man hatte die Herstellung mit einer CNC-Fräsmaschine automatisiert, um Produktionskosten einzusparen und mindestens fünf Exponate an einem Tag herstellen zu können.
Margarethe fiel der Stand sofort auf und sie ging zielgerichtet auf ihn zu. Serge folgte ihr etwas mürrisch werdend mit einigem Abstand. Eigentlich hätte er sich lieber mit Margarethe in eine stille Ecke gesetzt, um nach ihrer Hand zu greifen. Er wusste nicht, was Margarethe vorhatte oder was sie interessieren könnte. Tatsächlich jedoch weckten Luxus und teure Dingen bei ihr sofort Assoziationen mit Steuerfragen.
An dem Stand befanden sich zwei Personen zur Betreuung der Kunden: eine Dame mittleren Alters, die einen schwarzen Pullover mit einer Kette aus dicken hölzernen Kugeln und einen irgendwie nicht zu dem Anlass passenden ökologisch anmutenden wollenen Rock trug, sowie einen Herrn, etwa Mitte fünfzig,