Liebe fragt nicht. Bernd Urlaub. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Urlaub
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347092143
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ging sie, um ihre Mutter zu suchen. Die hatte bestimmt irgendeine Arbeit für sie. Ihr Vater und Rene hatten ja Recht. ln ein paar Wochen würde Werner ja wieder zurück sein. Viel schlimmer war, dass, wenn er zurückkam, die Wehrmacht auf ihn wartete oder noch Schlimmeres.

      Am 26. September 1944 erließ Adolf Hitler einen Erlass, in dem die Bildung des deutschen Volkssturms angekündigt wurde. Darin hieß es unter anderem:

       Führererlass, 25. September 1944

      Bildung des deutschen Volkssturms.

      „Nach schwerem fünfjährigen Kampf steht in Folge des Versagens aller unser europäischen Verbündeten der Feind an einigen Fronten in der Nähe oder an den deutschen Grenzen. Er strengt seine Kräfte an, um unser Reich zu zerschlagen, das deutsche Volk und seine soziale Ordnung zu vernichten. Sein letztes Ziel ist die Ausrottung des deutschen Menschen. Wie im Herbst 1939 stehen wir nun wieder ganz allein der Front unserer Feinde gegenüber. ln wenigen Jahren war es uns damals gelungen, durch den ersten Großeinsatz unserer deutschen Volkskraft die wichtigsten militärischen Probleme zu lösen, den Bestand des Reiches und damit Europas zu sichern. Während nun der Gegner glaubt, zum letzten Schlag ausholen zu können, sind wir entschlossen, den zweiten Großeinsatz unseres Volkes zu vollziehen. Es muss und es wird gelingen, wie in den Jahren 1939 – 1941 ausschließlich auf unsere eigene Kraft bauend nicht nur den Vernichtungswillen der Feinde zu brechen, sondern ihn wieder zurückzuwerfen und so lange vom Reich abzuhalten, bis ein die Zukunft Deutschlands, seiner Verbündeten und damit Europas Friede gewährleistet ist."

      Dem uns bekannten totalen Vernichtungswillen unserer jüdisch-internationalen Feinde setzen wir den totalen Einsatz aller deutschen Menschen entgegen. Zur Verstärkung der aktiven Kräfte unserer Wehrmacht und insbesondere zur Führung eines unerbittlichen Kampfes überall dort, wo der Feind den deutschen Boden betreten will, rufe ich daher alle waffenfähigen deutschen Männer zum Kampfeinsatz auf.

      Ich befehle:

      1. Es ist in den Gauen des Großdeutschen Reiches aus allen waffenfähigen Männern im Alter von 16 bis 60 Jahren der deutsche Volkssturm zu bilden. Er wird den Heimatboden mit allen Waffen und Mitteln verteidigen, soweit sie dafür geeignet erscheinen.

      2. Die Aufstellung und Führung des deutschen Volkssturms übernehmen in ihren Gauen die Gauleiter. Sie bedienen sich dabei vor allem der fähigsten Organisatoren und Führer der bewährten Einrichtungen der Partei, SA, SS, der NSKK und der HJ.

      Es folgten weitere sieben Punkte, die Gauleiter Hellmuth seinen Kreisleitern und Ortsgruppenleitern vorlesen ließ. Fridolin Schell hörte nur noch mit einem Ohr hin. Er würde den Erlass sowieso noch in schriftlicher Form ausgehändigt bekommen. Viel wichtiger war für ihn die Frage, was dieser Erlass für ihn persönlich für Konsequenzen haben könnte. Den anderen Hoheitsträgern der Partei, die hier versammelt waren erging es wahrscheinlich nicht viel anders. Organisieren würden sie das alles schon. Aber es galt abzuwägen, wie viel persönlicher Einsatz vonnöten war. Schell war keinesfalls gewillt, jetzt noch sein Leben aufs Spiel zu setzen. Nachdem der offizielle Teil abgehakt war, ließ der Gauleiter Getränke und Häppchen bringen. Hier war von Knappheit nichts zu merken. Dr. Hellmuth war schon immer der Meinung, dass er als Repräsentant der Partei einen entsprechenden Lebenswandel zu führen hatte. Er kam mit einem Sektglas in der Hand auf Schell zu.

      „Na, Schell. Der Führer hat wie immer die richtige Entscheidung gefällt. Unsere Feinde werden sich wundern, wenn sich das ganze deutsche Volk erheben und zur Waffe greifen wird. Wir werden sie von unseren Grenzen verjagen. Im Zusammenwirken mit der Wehrmacht und der Waffen- SS und den neuen Waffen wird es nicht lange dauern und Deutschland wird wieder die Initiative ergreifen."

      Schell pflichtete dem Gauleiter bei. Doch im Stillen fragte er sich, mit was die Volkssturmbataillone kämpfen sollten. Mit Beutewaffen wahrscheinlich. Und es würde einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die ersten Einheiten so weit waren, um eingesetzt zu werden. Wahrscheinlich würden sie ohnehin nichts anderes als Kanonenfutter sein. Doch er ließ sich seine Zweifel nicht anmerken. Selbst einem Parteifunktionär saß in diesen Zeiten der Kopf locker auf der Schulter, wenn er Kritik äußerte. Gegen Mitternacht löste sich die Versammlung auf. Mit einem „Sieg Heil" auf den Führer ging man auseinander. Auf Fridolin Schell wartete viel Arbeit.

      Die Weinlese war in vollem Gange. Das Wetter meinte es bisher gut und selbst die amerikanischen und britischen Tiefflieger schienen ein Einsehen zu haben und hatten ihre Aktivitäten eingestellt oder flogen woanders ihre Einsätze.

      Franzi blühte richtig auf. Sie war mit ganzem Herzen dabei und vergaß zum ersten Mal ihren Kummer. Sie schnitt mit Rene zusammen die Trauben von den Rebstöcken. Sie bildeten ein sogenanntes Lesepaar. Was so viel bedeutete, dass Rene sich auf der anderen Seite der „Zeile" befand und Franzi ihm gegenüber. Dabei kam man sich manches Mal gewollt oder ungewollt näher und die Gesichter waren dann nur durch das Blattwerk oder den Trauben voneinander getrennt. Franzi stellte sich dann öfter vor, wie es wäre, wenn sie Rene jetzt küssen würde.

      Birgit Schmadtke hatte ebenfalls ihre Hilfe angeboten, die gerne angenommen wurde. Für sie war es das erste Mal, dass sie an einer Weinlese teilnahm. Zusammen mit Hans bildete sie ein Lesepaar. Am Anfang hatte Birgit noch mitgehalten. Doch dann konnte sie das Tempo, dass die anderen vorlegten nicht mitgehen, was zur Folge hatte das Rene ihr öfter half. Birgit bedachte den Franzosen mit dankbaren Blicken, was Franziska nicht gerne sah. Die beiden Polen waren dafür zuständig die Trauben mit den sog. Butten in die Kuffe zu schütten, die auf dem Wagen stand, der am Rand des Weinberges abgestellt war. Das war eine reine Knochenarbeit. Als es Mittag war, ließ man sich auf einer großen Decke vor der Weinberghütte nieder, um die Brotzeit einzunehmen. Alle waren guter Laune. Für einen Moment vergaß man den Krieg und ließ sich das selbstgebackene Brot und die Hausmacher Wurst, sowie den angemachten Käse schmecken. Dazu wurde mit Wasser verdünnter Wein getrunken.

      „Na, Frau Schmadtke, wie gefällt ihnen die Weinlese?" Hans war sich im Klaren, dass die Dortmunderin am nächsten Morgen sehr wahrscheinlich mit einem gewaltigen Muskelkater aufwachen würde. Die Arbeit in dem steilen Gelände war anstrengend. „Spaß macht es schon. Aber ich spüre jetzt schon jeden Knochen. Wie wird das erst morgen früh sein?" „Wenn sie eine Massage brauchen. Ich stehe gerne zur Verfügung." Rene musste mal wieder seinen Kommentar abgeben. „Das kann er recht gut. Er hat mir auch schon einmal den Nacken massiert." Emma hatte gemerkt, dass Rene mit seinem Angebot unbeabsichtigt für eine gewisse Spannung gesorgt hatte. Franzi lieferte dann auch sofort die Bestätigung dieser Annahme.

      „So verwöhnte Stadtfratzen wie sie sollten halt die Finger von so einer Arbeit lassen. Wenn Rene ihnen nicht geholfen hätte, würden sie jetzt immer noch Trauben abschneiden, während wir wahrscheinlich schon mit der Brotzeit fertig wären."

      Sie sagte das in einem, wie sie meinte spaßhaften Ton. Doch ihre Mutter spürte sofort die Gehässigkeit, die dahintersteckte. Auch Birgit war über die Heftigkeit dieser Bemerkung erstaunt. Doch dann wurde es ihr mit einem Male klar, dass die Winzertochter in Rene verliebt war. Das war allerhand. Erst verdrehte der Fratz ihrem Sohn den Kopf. Und, kaum, dass der weg war, kam der Nächste an die Reihe. Das musste verhindert werden. Schon um ihres Sohnes Willen. Sie beschloss, sich zu opfern und all ihre Verführungskünste anzuwenden, um den Elsässer von Franzi abzulenken. Das wäre ja noch schöner, wenn eine gestandene, erfahrene Frau, sich von einem Backfisch einen Mann wegschnappen ließ.

      „ln Dortmund gibt es halt so gut wie keine Weinberge. Aber die Menschen arbeiten dort auch hart. ln den Kohlegruben zum Beispiel. Und die vielen und schweren Luftangriffe haben das Leben auch nicht gerade einfach gemacht. Doch das kannst du ja nicht wissen. ln deine zarten Alter."

      Franzi bekam einen roten Kopf. Sie wollte etwas erwidern. Aber ihr fiel nichts Gescheites ein. Sie wusste, dass sie einen Fehler begangen hatte. Rene sah die beiden Frauen mit merkwürdigen Blicken an. Er beschloss in Zukunft noch vorsichtiger zu sein, mit dem was er sagte. Hans Geiger klatschte in die Hände. „So genug getratscht und gefaulenzt. Ist jeder satt? Dann kann es ja weitergehen." Auch ihm war die Spannung nicht entgangen, die plötzlich herrschte. Da half am besten die Arbeit. So war es dann auch. Es wurde zwar nicht mehr so viel geredet und gescherzt. Doch am späten Nachmittag war der Weinberg fertiggelesen. Mit dem