Tannenruh. Willi Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Willi Keller
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839266007
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      Willi Keller

      Tannenruh

      Schwarzwaldkrimi

      Zum Buch

      Abgründig Kriminalhauptkommissar Berger kehrt nach langer Krankheit in den Dienst zurück. Das Management der Wiedereingliederung sieht vor, dass er zunächst einen leichten Fall übernimmt. Er muss den Unfalltod eines Argentiniers untersuchen, der im Weißtannenhotel »Schatzhauser« am Rand des Nationalparks gewohnt hat. Bei seinen Ermittlungen stößt Berger auf eine dunkle Geschichte der Region: Der Argentinier hat sich für einen bis heute ungeklärten zehnfachen Mord am Ende des Zweiten Weltkriegs interessiert. Als Berger in der Hotelbibliothek eine alte Elberfelder Bibel mit fehlenden Seiten entdeckt und kurz darauf Tote mit einer Bibelseite im Mund gefunden werden, sind er und seine Kollegin Tammy voll gefordert. Die Fälle erinnern an die Taten der christlichen Terrorgruppe, nach der noch immer gesucht wird. Berger und Tammy stoßen auf Verbindungen zwischen den Fällen und dem Hotel »Schatzhauser« – und auf Gegner, mit denen niemand gerechnet hat.

      Willi Keller – Autor und ehemaliger Nachrichtenredakteur des SWR – sammelt Sagen, die er seit den 1980er-Jahren in mehreren Büchern veröffentlicht hat. Er liebt das Erzählen, die Fantasie und die Ortenau. Mit »Tannenruh« legt er seinen zweiten Kriminalroman vor.

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      Alle Rechte vorbehalten

      2. Auflage 2020

      Lektorat: Christine Braun

      Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

      Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

      unter Verwendung eines Fotos von: © pip / photocase.de

      ISBN 978-3-8392-6600-7

      Haftungsausschluss

      Personen und Handlung sind frei erfunden.

      Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

      sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

      Kapitel 1

      »Sehnsucht nach der Waldgegend« war es nicht, was ihn trieb. Dieser Wald mit seinen Geheimnissen, seinen bedrohlichen Bäumen, seiner tiefen Dunkelheit wühlte ihn jedes Mal auf, wenn er in ihn drang.

      Er schaute nach oben. Am trüben Himmel kreiste in regelmäßigen Bahnen ein Raubvogel. Er hatte ihn schon häufiger beobachtet. Die Brust des Tieres zierte ein helles Band. Manchmal blieb er stehen, um dem Raubvogel mit seinen breiten Flügeln zuzuschauen. Dessen ruhige, ästhetische Bewegungen, die einem entspannenden Tanz mit ausgebreiteten Armen glichen, beeindruckten ihn. Die Natur schuf die besten und schönsten Choreografien. Nur bei ein paar wenigen Tänzen hatte er sich von der Tierwelt inspirieren lassen. Warum hatte er nicht intensiver Vögel und andere Tiere studiert, ihre Art, sich zu bewegen? Diese späte Erkenntnis setzte ihm zu, weil sie ihm bewusst machte, dass sein Zeitkonto immer kleiner wurde. Er hatte sich zu sehr der Tradition verbunden gefühlt, obwohl er neuen Stilrichtungen und Ideen gegenüber aufgeschlossen war. Zu Hause musste er sich unbedingt mit dem Thema Choreografie der Natur auseinandersetzen. Zu Hause? Seit seiner Ankunft hier fragte er sich jeden Tag: Wo war eigentlich sein Zuhause? Dort über dem großen Meer oder hier in diesem dunklen Wald? Er konnte diese Frage bis heute nicht beantworten.

      Der Raubvogel drehte weiter seine Runden. War es sein Schutzvogel, der seine Schritte überwachte? Hoch über den Bäumen stieß er plötzlich einen Schrei aus. Er ähnelte dem Miauen einer Katze. Ein weiterer Schrei folgte, der wie eine Warnung klang. Vor was wollte ihn der Vogel warnen? Der Schrei hatte ihn aufgeschreckt. Als mahne ihn das Tier, schnell umzukehren. Er wunderte sich, dass ihn die Schreie bisher nicht beeindruckt hatten. Er hatte sie doch nicht zum ersten Mal gehört. Meistens versank er bei seinen Waldläufen so sehr in Gedanken, dass sich alles nach innen richtete und das Außen verschwamm.

      Er schaute auf seine Armbanduhr. Die Zeit drängte zur Rückkehr. Rund fünf Kilometer musste er gehen. Als er aufblickte, war nichts mehr von dem Vogel zu sehen. Einzelne Schneeflocken sanken langsam vom Himmel herab. An der Rezeption im Hotel hatte man ihm gesagt, am späten Nachmittag oder frühen Abend werde es schneien. Im April sei das hier oben nicht ungewöhnlich. Er sah sich noch einmal um. Hier hatte er gelebt bis zu jener Aprilnacht 1945. Er konnte sich an nichts mehr erinnern. In dieser kleinen Siedlung war er zur Welt gekommen. Vergeblich hatte er gehofft, beim Anblick der vier Häuser werde die Vergangenheit wieder wach. Nichts geschah in seinem Kopf. Kein Bild tauchte auf, kein Mensch, keine Mutter, kein Vater, keine Geschwister, keine Tanten, keine Onkel, keine Nachbarn. Keine Innenansichten seines Elternhauses. Keine Rückblende. Keine Gefühle. Eine Begegnung, die nichts auslöste.

      Sie hatten ihm alles weggeschossen in jener Nacht: die Familie, die Erinnerung, das Lächeln. Das Lächeln? Hatte er jemals gelächelt? Oder gelacht? Hatte er mit seinen Geschwistern gespielt, mit den Nachbarkindern? Wie viele Menschen hatten in dieser Siedlung gelebt? Wie waren sie miteinander umgegangen? Hatten sie sich gut verstanden? Wer hatte in jener Nacht geschossen? Und warum?

      Fragen eines verstörten Rückkehrers, wie er sich sah, die niemand beantwortete. Auch nicht der junge Historiker. Wobei er sich korrigieren musste. Der junge Historiker wusste sicher mehr als andere über diese Gegend und jene Nacht. Denn er hatte angedeutet, dass er ihm möglicherweise weitere Einzelheiten mitteilen könne. Die Einschränkung »möglicherweise« gefiel ihm nicht. Er brauchte Gewissheit. Wenn der Heimatforscher ihm nichts Entscheidendes sagen konnte, wozu sollte dann ein weiteres Treffen gut sein? Aber er war es, der den Historiker zu diesem erneuten Treffen gedrängt hatte, nicht umgekehrt. Einen Termin hatten sie bereits vereinbart. Vielleicht kam er doch noch zu neuen Erkenntnissen.

      Der junge Historiker hatte sich geweigert, sich beim ersten Treffen im Hotel Schatzhauser zusammenzusetzen. Einen Grund hatte er nicht genannt. Aber er hatte versprochen, ihn zu unterstützen. Und er hatte Wort gehalten. Der junge Mann hatte ihn mit seinem Wagen abgeholt und war mit ihm zu einem Hotel am Mummelsee gefahren. Die Fahrt hatte ebenfalls nichts in seinem Kopf ausgelöst. Als sie am Hotel ankamen, zeigte sich, dass an einen Spaziergang rund um den See bei dieser ersten Begegnung nicht zu denken war, auch wenn das die Pläne des Historikers durchkreuzte. An einigen Stellen war der Weg noch zu sehr vereist. Ob er sich in seiner Kindheit auch an diesem See aufgehalten hatte?

      Im Hotel am See setzten sie sich in eine ruhige Ecke mit Sicht auf alles im Raum. Nur langsam kam ein Gespräch in Gang. Das lag nicht an der Sprache. Sie unterhielten sich auf Deutsch. Der Historiker war auffallend nervös. Ständig rührte er mit dem Löffel in der Kaffeetasse, obwohl er keinen Zucker und keine Milch genommen hatte. Die Nervosität übertrug sich auf ihn. Er war froh, als der junge Mann sagte, sie müssten jetzt aufbrechen, sonst schafften sie den Weg zu ihrem Ziel