Toman genoss das Gefühl, wie sein Arm die schmale Körpermitte des Mädchens umfing und dachte mit Bedauern daran, dass sie ihr Leben Gott widmen wollte.
Auch Helena gestand sich ein, sich in Tomans Nähe wohl zu fühlen. Seltsam, es störte sie ganz und gar nicht, wie er sie umschlungen hielt und ihren Rücken an seine Brust presste. Im ersten Augenblick, als er ihr so nahe gekommen war, war die Erinnerung an Cuntz zurückgekehrt und hatte ihr Angst eingeflößt. Doch diese war schnell einem neuen Gefühl gewichen. Fast fühlte sie sich geborgen.
Zu schnell erreichte Galen, Tomans Pferd, die Hügelkuppe, und abseits des Stadttores ließ der junge Mann Helena aus dem Sattel gleiten.
»Habt Dank, Toman Ostheim«, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln, das dessen Herz schneller schlagen ließ.
»Verrätst du mir deinen Namen und welchem Kloster du angehörst?«, schlug er einen vertraulichen Ton an.
»Helena. Ich gehöre den Zisterzienserinnen des Klosters Lobenfeld an. Nun muss ich mich eilen, lebt wohl.«
»Leb wohl, Helena. Du solltest dir gut überlegen, ob du wirklich Nonne werden willst«, meinte er frech und ließ sein Pferd in einen flotten Trab fallen. »Du bist viel zu hübsch, um dich unter Habit und Schleier zu verstecken«, rief er ihr über die Schulter hinweg zu.
Helena errötete und sah ihm hinterher, bis er durch das Stadttor verschwunden war.
»Wo hast du denn so lange gesteckt?«, fragte Schwester Katharina vorwurfsvoll.
»Ich musste den Berg hinunter bis zu den Wiesen, um Spitzwegerich zu finden«, erwiderte Helena. »Und am Waldrand habe ich Schlehen entdeckt und davon etwas mitgebracht.«
Von ihrer Begegnung mit dem jungen Toman erzählte sie nichts.
»Eil dich und bereite einen Sud aus Spitzwegerich und Weidenrinde«, wies die Nonne sie an, die in der Zwischenzeit das Bein des kleinen Jacob geschient und Annas Augen mit einem Umschlag aus Augentrost bedeckt hatte. Schwester Katharina hoffte, dass sich nicht schon andere Kinder angesteckt hatten. Aber sehr wahrscheinlich war es bereits zu spät.
Helena tat wie ihr geheißen und kehrte nach kurzer Zeit mit dem dampfenden Sud zurück. Als er etwas abgekühlt war, hob sie vorsichtig Annas Kopf und flößte dem Kind die Arznei ein. Während sie anschließend gemeinsam mit Katharina nach weiteren Kindern sah, die der Hilfe der heilkundigen Schwestern bedurften, dachte sie an den gut aussehenden Reiter und schämte sich beinahe des Gefühls, das sich ihrer dabei bemächtigte. Sie hätte ewig so weiterreiten können.
»Helena! Was machst du denn da?«, riss Schwester Katharina sie aus ihren Gedanken.
Anstatt die Johanniskrautsalbe nur auf die einzelnen, entzündeten Hautstellen am Rumpf eines Jungen aufzutragen, hatte sie nahezu den gesamten Oberkörper eingesalbt. Sie murmelte eine Entschuldigung, zog dem Jungen das Hemdchen wieder über den Körper und widmete sich einem anderen Kind, das eine eitrige Wunde am Arm hatte.
Zwei Stunden vor Anbruch der Dämmerung machten sie sich auf den Rückweg nach Lobenfeld. Schwester Innocentia war am späteren Nachmittag mit den gewünschten Waren zurückgekehrt und hatte mitgeholfen, die Kinder zu versorgen. Kunibert, der in einer nahen Schänke auf die drei Schwestern gewartet hatte, erzählte während der Heimfahrt, was er dort aufgeschnappt hatte.
»Der Kurfürst ist unheilbar krank, heißt es. Und um sein Augenlicht ist es wohl auch nicht gut bestellt. Er soll kaum noch etwas sehen können. Seit er vor zwei Jahren von seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land zurückgekehrt ist, geht es ihm wohl immer schlechter. Wer weiß, wie lange er noch zu leben hat.«
»Er ist auch an der Seele erkrankt«, seufzte Schwester Katharina, »den Tod seines Sohnes Ruprecht vor drei Jahren hat er nie verwunden.«
Kunibert nickte bedächtig, dann erzählte er, was ihm im Wirtshaus sonst noch zu Ohren gekommen war. Er mochte schreckliche Geschichten und war Klatsch und Tratsch nicht abgeneigt.
»Die Leute erzählen, letzten Monat sei ein toter Junge aus dem Neckar gefischt worden …«
»Bestimmt hat er den Fluss unterschätzt«, unterbrach ihn Schwester Innocentia, »das passiert immer wieder.«
»Niemand weiß, wessen Kind das war. Bedenkt man die Strömung, kann es von überallher stammen. Vielleicht hat es jemand von Bord eines Schiffes geworfen, wer weiß. Und die Aale sind hungrig …«
»Schweig still, Kunibert«, herrschte Schwester Katharina den Bauern an, der die grünliche Gesichtsfarbe ihrer Mitschwester bei Erwähnung der Aale nicht entgangen war.
Der Bauer zog eine beleidigte Miene und hieb den Ochsen mit seiner Fuhrpeitsche auf die breiten Rücken, damit sie schneller gingen. Doch die Tiere waren erschöpft von der Hitze des Tages, und so kamen sie erst zur Vesper im Kloster Lobenfeld an. Müde nahm Helena mit den Nonnen das gemeinsame Abendessen ein – Brot, Käse und verdünnten Wein – und nach der Komplet streckte sie sich auf ihrem Lager aus. Doch der Schlaf wollte lange nicht kommen. Immer wieder geisterte der junge Reiter in ihrem Kopf herum. Toman Ostheim. Lautlos sprach sie seinen Namen vor sich hin. Ob sie ihn jemals wiedersehen würde? Schließlich schlief sie ein, und ihre Träume wurden beherrscht von haselnussbraunen Augen und einem charmanten Lächeln.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.