Tödliche Klamm. Mia C. Brunner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mia C. Brunner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839260821
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brach ihm das linke Schlüsselbein und schnitt ihm tief in die Haut über seiner Schulter. Doch der Wagen kam einfach nicht zum Stehen. Das sich jetzt mehrmals überschlagende Auto schleuderte ihn erst zurück in den Sitz, dann mit voller Wucht gegen das Lenkrad. Die Windschutzscheibe brach im selben Moment wie seine Rippen. Herumfliegende Scherben zerschnitten ihm Hals und Gesicht.

      Noch bevor der Transporter weit ab der Straße endlich zum Stehen kam, verlor er das Bewusstsein.

      Hauptkommissar Kern blieb am Straßenrand stehen und beobachtete die Einsatzkräfte der Verkehrspolizei und die Sanitäter, die nach getaner Arbeit bereits wieder auf dem Weg zu dem am Straßenrand geparkten Krankenwagen waren.

      In der Ferne hörte man das rhythmische Wummern der Rotorblätter des Rettungshubschraubers, der sich langsam entfernte. Es hatte endlich aufgehört zu regnen, nachdem in der Nacht ein Sturm gewütet hatte, der seinesgleichen suchte.

      So ein heftiges Unwetter gab es in dieser Region nur alle paar Jahre.

      In seiner direkten Nachbarschaft in Kempten waren einige Keller und Tiefgaragen vollgelaufen, weil das Kanalsystem unter den Straßen völlig überlastet war und die heruntergeregneten Wassermassen nicht mehr aufnehmen konnte. Wäre das alles Schnee gewesen und kein Regen, hätte man in den höher liegenden Alpendörfern den Notstand ausrufen müssen. So war nur hier und da eine Verbindungsstraße unterspült oder von einem Erdrutsch verschüttet worden.

      Vorsichtig setzte Kern einen Fuß in das nasse Gras am Straßenrand und drückte mit der Spitze seines ausgetretenen Lederhalbschuhs prüfend in den aufgeweichten Boden. Dann trat er einen Schritt zurück und schüttelte heftig seinen Kopf.

      »Sie gehen«, befahl er seiner jungen Kollegin, gestikulierte dabei wild mit dem rechten Arm und zeigte schließlich auf den alten Transporter, der etwa 30 Meter von der Straße entfernt im matschigen Ackerboden lag, gleich neben dem provisorischen Metallgerüst, das durch den Aufprall des Wagens komplett zerstört worden war. Die breite, mehrere Zentimeter tiefe Furche, die das von der Straße geschleuderte Auto in den aufgeweichten Boden gezogen hatte, hatte sich durch den Regen mit Wasser gefüllt.

      »Na los, gehen Sie«, wiederholte er ungeduldig. »Vergewissern Sie sich, dass es ein Unfall war, dann ist der Bericht schnell geschrieben.«

      Ihm war schleierhaft, was er hier sollte, schließlich war das ganz offensichtlich ein zwar tragischer, aber dennoch ganz normaler Verkehrsunfall. Doch sein Chef Hauptwachtmeister Götze hatte ihn hierhergeschickt, damit er herausfand, ob es sich um grobe Sachbeschädigung handelte. Schließlich war das Unfallfahrzeug geradewegs in eine geplante Baustelle eines ausländischen und sehr einflussreichen Logistikunternehmens gerast, das sich hier im Allgäu niederlassen wollte und über 300 Arbeitsplätze schaffen sollte. Das Fahrzeug hatte das Gerüst mit dem überdimensionierten Werbeplakat zerstört.

      Die geplante Allgäuer Niederlassung der Firma wurde trotz der wirtschaftlichen Vorteile für die Region von der hiesigen Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt. Schon seit Wochen gab es vereinzelt kleine Demonstrationen. Ein anonymer Drohanruf eines besorgten Bürgers im Sekretariat des Bürgermeisters vor ein paar Tagen, bei dem auch Morddrohungen ausgesprochen wurden, hatte die Staatsanwaltschaft und Hauptwachtmeister Götze schließlich veranlasst, Ermittlungen einzuleiten.

      Jessica seufzte und stieg nach kurzem Zögern den Abhang hinunter. Schon nach wenigen Metern durchdrang die Feuchtigkeit ihre gefütterten Wildlederstiefel, die knöcheltief im Matsch versanken. Jeder ihrer Schritte machte ein schmatzendes Geräusch, immer dann, wenn sie ihren nassen Schuh aus der durchweichten Erde zog.

      Heute war ihr dritter Tag im Dienste der Kemptener Kriminalpolizei.

      Hauptwachtmeister Götze war anfangs nicht begeistert gewesen, dass ausgerechnet die ehemalige Freundin von Hauptkommissar Forster eine Bewerbung eingereicht hatte. Er hatte händeringend nach einem Ersatz für den Kollegen Jakob gesucht, der zum Ende des letzten Jahres in Rente gegangen war, doch hatte er Unruhe im Kollegium befürchtet. Jessica hatte ihn schließlich überzeugen können, dass sie und ihr Ex-Freund erwachsen genug waren, professionell mit der Sache umzugehen. Ihre Arbeit würde mit Sicherheit nicht unter ihrer Situation leiden. Jessicas Worte und die durchweg guten Empfehlungen ihrer ehemaligen Vorgesetzten aus Hamburg hatten den Hauptwachtmeister schließlich dazu veranlasst, Jessica einzustellen und an die Seite von Hauptkommissar Detlef Kern zu setzen. Er hatte ja auch kaum eine Wahl. Eine alleinerziehende Mutter hatte immer den größten Anspruch auf eine Stelle in Wohnortnähe und stach jeden männlichen Mitbewerber aus.

      »Entschuldigen Sie bitte.« Jessica winkte einem entgegenkommenden Sanitäter zu und lächelte freundlich. »Können Sie mir sagen, wie es dem Fahrer des Transporters geht? Hauptkommissarin Grothe«, stellte sie sich schließlich vor und reichte dem jungen Mann ihre Hand. Gleichzeitig zückte sie ihren Dienstausweis und hielt ihn dem Rettungssanitäter so entgegen, dass er ihn lesen konnte.

      »Was hat denn die Kriminalpolizei hier zu suchen?«, bemerkte dieser und sah sie verwundert an. »Das ist doch ein stinknormaler Unfall.« Dann zog er eine Schachtel Zigaretten aus seiner rechten Hosentasche, sah kurz zum Rettungswagen hinüber und schob die Schachtel seufzend wieder zurück.

      Jessica legte den Kopf leicht schräg, schob die Hände in ihre Jackentaschen und schaute fragend in seine Richtung. Nichts zu erklären hatte in den meisten Fällen mehr Wirkung, als unnütze Fragen aus reiner Höflichkeit zu beantworten.

      »Der Mann ist schwer verletzt«, begann der Sanitäter schließlich zu berichten und seufzte etwas genervt. »Keine Ahnung, ob er das überlebt. Das Lenkrad hat ihm sicherlich sämtliche Bauchorgane zerquetscht. Die Feuerwehr musste ihn mit der Flex aus dem Auto befreien. Er war regelrecht eingeklemmt. Nahezu alle Knochen des Mannes sind gebrochen. Schlüsselbein, Rippen, beide Beine mehrfach. Vermutlich schlimmste innere Verletzungen«, zählte er auf. »Wenn der noch mal aufwacht, dann grenzt das an ein Wunder.«

      »Das hört sich schlimm an. Danke für die Auskunft«, bemerkte Jessica nur und ließ den jungen Mann einfach stehen. Jetzt würde sie noch einen Verkehrspolizisten oder einen Beamten der Spurensicherung ansprechen, der einigermaßen kompetent wirkte und ihr mit Sicherheit bestätigen konnte, dass das schlimme Unwetter schuld war an diesem schrecklichen Unfall und dass es sich keineswegs um einen Anschlag auf die Speditionsfirma handelte. Letzteres war selbstverständlich absoluter Quatsch. Der verunglückte Mann würde doch nicht sein Leben riskieren, um ein simples Baugerüst dieser Firma zu zerstören. Noch dazu wirkte das Gerüst um einiges stabiler als die alte Rostlaube, die einige Meter vor Jessica total zerstört auf der Seite lag, begraben unter dem riesigen Werbeschild.

      »Frau Grothe, warten Sie.« Der junge Sanitäter hinter ihr griff nach ihrem Arm, bekam aber nur den Stoff ihres Mantels in die Finger. »Mir ist da noch etwas eingefallen.«

      »Was denn?«, polterte Jessica etwas zu rüde. Sie mochte es gar nicht, wenn man sie ungefragt anpackte, fuhr herum und entriss ihm wütend ihren Arm.

      Der Sanitäter hob entschuldigend beide Hände und zuckte schließlich bedauernd mit den Schultern. »Das Unfallopfer war zweimal für wenige Sekunden ansprechbar, was wirklich schon ein Wunder war«, begann er und zuckte erneut entschuldigend mit den Schultern. »Ich habe ihn gefragt, wie er heißt, doch er hat immer nur gesagt, er hätte Jesus überfahren. ›Der Herrgott möge mir vergeben, ich habe Jesus getötet‹, hat er gestammelt. Merkwürdig, oder?« Er lächelte und hob zum Abschiedsgruß die Hand. »Das Morphin hat wohl recht schnell gewirkt und ihn halluzinieren lassen.«

      Wenig später ließ sich Jessica von einem Beamten der Spurensicherung die Personalien des Unfallopfers geben. Nachdem sie in Ermangelung eines Taschentuchs mit dem linken Jackenärmel ihres Mantels den Schlamm vom Kennzeichen gewischt hatte, tippte sie neben den Personalien auch die Buchstaben und Zahlen des Nummernschilds in das Notizbuch ihres Smartphones.

      »Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass der Fahrer absichtlich in das Baugerüst gefahren ist?«, fragte sie schließlich, schob das Telefon zurück in die Innentasche ihres Mantels und schlang die Arme um den Oberkörper, anstatt die Jacke zu schließen. Jetzt, Anfang Februar, war es zwar nicht mehr so frostig wie den ganzen Januar über, und auch der Schnee war bereits seit einer Woche weggetaut, doch