»Ach, du hast das hier alles organisiert?«
»Ja, die Mittelalter-Spektakel & Turnier GmbH gehört mir. Hab die MS&T im letzten Jahr gegründet. Ich bin der Dieter und würde mich mal gern in Ruhe mit dir unterhalten. Ich hätte da nämlich einen Vorschlag …«
*
Ein Jahr später
»Wolfgang Schmertbach, alias Wolfgang von Wolfenstein ist bei den Events der MS&T dick im Geschäft. Allerdings gab es bislang noch keinen weiteren Gegner mit einem Kreislauf-Kollaps. Was mich ehrlich wundert. Die lassen sich mitten im Hochsommer die Sonne auf ihre Blechhelme knallen und vergessen dabei zu trinken. Wahrscheinlich, weil die Blase sonst drückt und es ein elendiges Gefummel ist, bis man mal die Rüstung abgelegt hat und pinkeln gehen kann. Dass da nicht mehr umkippen …«
Carsten Weller schaute kurz zu seinem Kollegen auf dem Beifahrersitz hinüber, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte und beschleunigte. Sven Drohmke war ungefähr in seinem Alter, Anfang 30, und sie arbeiteten jetzt schon seit mehr als zwei Jahren zusammen.
»Und was haben wir damit zu tun? Gab es Haftungsansprüche?«
»Nee«, Carsten schüttelte den Kopf, »Dieter zu Greifenklau, bürgerlicher Name Dieter Feldkirch, hat zwar bei uns diverse Versicherungen, aber der unglückliche Ausgang des Turniers im Westerwald blieb für ihn ohne Folgen.«
»Ja, aber dann verstehe ich nicht, warum wir ins Spiel kommen?«
Bevor Carsten antwortete, schaltete er gekonnt zwei Gänge runter und nahm die Haarnadelkurven, als gelte es, auf dem Nürburgring Bestzeit zu fahren. Sven Drohmke unterdrückte ein Stöhnen, spürte aber, wie sich die Currywurst-Pommes vom Mittagessen unangenehm bemerkbar machte. Carsten trat wieder aufs Gas, und die Beschleunigung des Audi TT presste Sven in den Ledersitz, er rülpste leise.
»’tschuldigung, Carsten, muss du hier die letzte DTM nachfahren oder geht’s auch ein bisschen langsamer?«
»Was denn? Macht dir das keinen Spaß?«
»Mir schon, aber meinem Magen mit der Currywurst-Pommes nicht. Und wenn du nicht ausprobieren willst, ob deine neuen Ledersitze abwaschbar sind, nimmst du die nächsten Kurven mal weniger schnittig.«
Carsten Weller brummte ein wenig missmutig, nahm aber den Fuß vom Gas und die nächsten Kurven deutlich gefühlvoller.
Sven Drohmke atmete erleichtert auf.
»So, und jetzt noch mal zum Mitschreiben. Dieser Veranstalter von Mittelaltermärkten, dieser Feldkirch, hat bei uns Versicherungen, aber es ist nix passiert. Was sollen wir dann in Manderscheid?«
»Diese Turniergeschichte war im letzten Jahr im Westerwald. Im Herbst wurden ihm dann bei einem Mittelaltermarkt in der Nähe von Karlsruhe drei Stände demoliert. Mitten in der Nacht, natürlich hat keiner was gesehen, da haben wir gezahlt. Und jetzt will er in Manderscheid ein ganz großes Event aufziehen, soll eine Konkurrenzveranstaltung zu dem traditionellen historischen Burgenfest werden, hab ich mir jedenfalls sagen lassen. Vor drei Tagen hat sich Feldkirch bei uns gemeldet und seine Versicherungsprämie noch einmal erhöht.«
»Warum denn das?«
»Er hat aus einer Privatsammlung zwei sogenannte Kugelschnepper als Leihgabe bekommen, die sollen ausgestellt werden.«
»Ach so, ich verstehe. Wir können uns keinen Versicherungsfall im Rahmen eines großen Festes mitten in der Eifel leisten, womöglich noch mit Unbeteiligten als Opfer.« Jetzt wurde Sven Drohmke auch klar, warum er mit seinem Kollegen Weller unterwegs in die Eifel war.
»Du sagst es. Und wir sollten sehen, dass wir ankommen, bevor der Trubel losgeht«, bestätigte Carsten, gab wieder Gas und ignorierte das leise Stöhnen, das vom Beifahrersitz kam.
Dieter Feldkirch schaute sich zufrieden um. Das hier war seine Welt. Auf dem Hof standen zwei Sattelschlepper und drei Kastenwagen. Alles war verladen und abfahrbereit: Tribünen, zwei Tavernen, eine Wildschweinbraterei, die sogenannte Schatzkammer, Verkaufsbuden, Zelte für die Turnierkämpfer. Er würde nicht zulassen, dass etwas schief ging. Manderscheid würde sein Durchbruch sein. Die MS&T würde in den kommenden Jahren den Markt für Mittelalter-Events aufmischen, da konnten die anderen alle einpacken. Was ihm noch fehlte, war das nötige Startkapital, aber auch dafür hatte er eine Lösung gefunden. Ein Dieter Feldkirch fand immer eine Lösung, und als Dieter von Greifenklau würde er in die Annalen der Mittelaltermärkte eingehen, so viel stand fest.
»He Chef, sollen wir jetzt los?«, rief einer der Fahrer. Dieter schaute sich ein letztes Mal prüfend auf dem Hof um, dann nickte er und winkte zustimmend, bevor er selber in sein großes Wohnmobil einstieg. Zahllose Ritterfans lagerten ja gern in Zelten, aber so weit ging seine Begeisterung nicht. Auf dem Turnierplatz versicherte er jedem, wie sehr er ein authentisches Ambiente schätzte, aber nach Feierabend wollte er sein kaltes Bier, einen scharfen Porno zum Entspannen und sein geliebtes Wasserbett.
Er hatte schon Oktoberfeste im Ruhrgebiet, Damen-Schlammcatchen in Ostdeutschland und Schlagerfestivals an der Ostsee organisiert, aber mit Mittelalter war das große Geld zu holen. Und das würde er sich nicht entgehen lassen.
Als Carsten endlich bremste und den Motor ausstellte, sprach Sven ein stummes Dankgebet und nahm sich fest vor, darauf zu bestehen, bei der Rückfahrt am Steuer zu sitzen.
Carsten schien von der Erleichterung und der grünlichen Gesichtsfarbe seines Kollegen nichts zu bemerken. Er stieg aus und schaute sich um. »Na, das ist aber doch wirklich eine hübsche Gegend. Kein Wunder, dass der Feldkirch hier sein Mittelalterspektakel aufziehen will.«
Vor ihnen lag eine große Wiese, und im Hintergrund erhoben sich die Überreste von gleich zwei Burgen.
»Das da hinten ist die Oberburg«, Sven deutete auf eine höher gelegene Ruine samt Bergfried, »die gehörte dem Kurfürsten in Trier, und da drüben die tiefer liegende Ruine und die ganzen Mauern, die du da siehst, das ist die Niederburg der Grafen zu Manderscheid. War nicht immer so friedlich hier, die haben sich ganz schön oft in die Haare gekriegt, und getrennt werden die Burgen ja nur von der Lieser, die dort fließt.«
»Mensch Sven, ich wusste ja gar nicht, dass du dich so für Geschichte interessierst«, staunte Carsten.
Sven zuckte mit den Schultern. »Nee, ich habe nur mit meinen Eltern hier in der Eifel früher Urlaub gemacht, und vor unserer Abfahrt habe ich gegoogelt, was es noch gibt. Als 14-Jährigem gefallen dir natürlich die Burgen. Im Heimatmuseum gibt es sogar ein Großmodell von ihnen, das fand ich spannender als die ausgestellte Eifeler Bauernküche. Mein Vater ist Oberstudienrat – Erdkunde und Chemie. Der interessierte sich nur für die Vulkane und die Geologie. Wir haben Stunden im Maarmuseum verbracht, das war damals ganz neu. Ich glaube, das versteinerte Urpferdchen hätte mein Vater am liebsten mit nach Hause genommen. Ich hab gelesen, dass es jetzt sogar eine private Stein- und Fossiliensammlung gibt. Da hättest du meinen alten Herrn wahrscheinlich mit Gewalt raustragen müssen.«
Carsten sah den gequälten Gesichtsausdruck seines Kollegen und fing an zu lachen. »Schau mal, es hat dir nicht geschadet, und es ist sogar noch was Anständiges aus dir geworden. Ich war mit meiner Frau und der Kleinen nur einmal für ein Wochenende hier. Und meine beiden Damen wollten nichts anderes sehen als das Puppenmuseum in Laufeld.«
Jetzt musste auch Sven lachen. »Na gut, du hast gewonnen, mein Lieber. Und was machen wir jetzt?«
»Jetzt sehen wir zu, dass wir zwei Zimmer bekommen, und dann statten wir Dieter Feldkirch einen Besuch ab.« Carsten deutete mit der Hand auf zwei Sattelschlepper, die von Gabelstaplern abgeladen wurden. »Ich vermute mal, die bauen gerade auf, da wird der Chef bestimmt nicht weit sein.«
Dieter Feldkirch kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Soso, und Sie beide sind also von der Versicherung?« Er musterte die beiden Männer. Sie waren gut einen Kopf größer als er, wirkten