Kalte Nacht. Anne Nordby. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Nordby
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839263587
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      Anne Nørdby

      Kalte Nacht

      Tom Skagens zweiter Fall

      Impressum

      Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

      Kalte Nacht (2020), Kalter Strand (2019)

      Personen und Handlung sind frei erfunden.

      Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

      sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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      Alle Rechte vorbehalten

      4. Auflage 2020

      Lektorat: Katja Ernst

      Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

      Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

      unter Verwendung eines Fotos von: © complize / photocase.de

      und © by-studio / stock.adobe.com

      Druck: CPI books GmbH, Leck

      Printed in Germany

      ISBN 978-3-8392-6358-7

      Widmung

      Für Daniel

      1

      Tina schlägt die Augen auf. Um sie herum ist es dunkel. Und furchtbar kalt.

      Sie ist wach geworden, weil sie ein Geräusch gehört hat. Ein leises Scharren. Ist das eines der Kinder, das nachts durch das Haus schleicht?

      Tina will sich aufrichten, doch ein jäher Schmerz schießt durch ihren Kopf. Mit einem überraschten Stöhnen sinkt sie zurück. Dabei stellt sie zwei Dinge fest. Einmal, dass der Untergrund, auf dem sie liegt, nicht weich wie ihre Matratze ist, sondern hart. Steinhart. Und dass etwas ihren Mund verklebt. Denn egal, was sie tut, ihre Lippen lassen sich nicht öffnen.

      Angstvoll saugt Tina Luft durch die Nase ein. Sie will ihre Arme bewegen, aber sie reagieren nicht. Panik greift nach ihr.

      Was ist los?

      Wo ist sie?

      Sie versucht, sich in der vollkommenen Dunkelheit zu orientieren. Wieder ist da dieses alles überlagernde Stechen in ihrem Schädel. Es scheint von ihrer Stirn auszugehen, pocht und pulsiert. Bohrt sich tief in ihr Gehirn. Tina atmet immer hastiger, bekommt nur mit Mühe Luft.

      Ist das Klebeband, das ihren Mund zwanghaft geschlossen hält?

      Erneut versucht sie, ihre Arme zu heben – sie wollen ihr nicht gehorchen. Schlimmer noch, Tina kann sie überhaupt nicht spüren.

      Hektisch beginnt sie zu zappeln und begreift, dass sie auf dem Rücken liegt, ihre tauben Arme sind unter ihr begraben. Sie ruckt hin und her, was ihre Schultergelenke protestieren lässt. Mit zusammengepressten Kiefern verharrt sie, bis der brennende Schmerz verebbt ist. Danach stemmt sie ihre Beine, die sie frei bewegen kann, in den Grund und schafft es unter großen Anstrengungen, sich auf die Seite zu drehen. Rote Lichtpunkte tanzen vor ihren Augen, gierig atmet sie weiter durch die Nase. Das Klebeband lässt nur wenig Luft durch.

      Dabei registriert sie einen erdigen Geruch, der vom Boden unter ihr aufsteigt. Sie reibt mit der Wange darüber. Er ist klamm und rau.

      Erde, denkt sie. Das ist etwas Greifbares, Reales.

      Aber wo befindet sich diese Erde? In einem Keller oder einem Loch?

      Sie schabt mit ihrem nackten Fuß über den Untergrund. Es hört sich dumpf an, es gibt keinerlei Echo.

      Ist sie etwa in dem Kriechkeller unter ihrem Haus?

      Warum?

      Tina reibt mit der Wange über die Erde. Immer wieder. Vor und zurück. Ihr Schädel fühlt sich an, als er würde er gleich aufplatzen und seinen rohen Inhalt auf den Boden ergießen. Vielleicht böte das eine Erleichterung von den Schmerzen? Erneut tanzen rote Punkte vor ihr in der Dunkelheit, und brennender Schweiß rinnt ihr in die Augen. Doch sie scheuert weiter mit der Wange, bis die Haut wund ist. Das Klebeband muss ab.

      Wie eine Besessene arbeitet Tina, atmet rhythmisch gegen die Panik und die Schmerzen an. Ein, aus, ein, aus, vor und zurück. Sie spürt, wie sich das Klebeband an einer Ecke zu lösen beginnt. Schneller und schneller reibt sie, schürft sich die Haut auf, bis es blutet. Nach einer qualvollen Ewigkeit hat sie das Klebeband endlich zur Hälfte von ihren Lippen gerollt. Erleichtert reißt sie den Mund auf, atmet tief ein, hustet, keucht und schiebt das Tape mit der Zunge gewaltsam zur Seite. Als sie es vollständig entfernt hat, stößt sie einen ersten lauten Schrei aus. Er ist unartikuliert und voller Qualen. Ruckartig holt sie Luft, versucht den roten Nebel zu durchbrechen, der sich lähmend über ihre Gedanken legt. Dann öffnet sie den Mund und schafft es, Worte zu formulieren.

      »Hilfe! Ist da jemand?«

      Ihre Stimme prallt dumpf von der Dunkelheit ab. Als würde jeder Ton sofort verschluckt werden. Von etwas, das nicht will, dass sie hier jemals rauskommt.

      Sie ruft erneut, bündelt all ihre Kraft in ihrer Stimme. In ihrem Kopf hämmert es, und der Geschmack von Blut legt sich auf ihre Zunge.

      »Hilfe! Hilfe! HILFEEE!«

      Wieder und wieder schreit sie. Irgendwann muss sie jemand hören.

      Als ihre Stimme ganz rau klingt, hält Tina inne und schließt erschöpft die Augen.

      Niemand ist gekommen.

      2

      Pål schließt die Haustür auf, bleibt auf der Schwelle stehen und horcht. Ah, welch Ruhe! Kein Gekläffe von Pukki und kein Gezeter von Frigga. Niemand, der sich darüber beschwert, weshalb er so spät nach Hause kommt. Ein breites Grinsen teilt Påls Gesicht. Er zieht im Windfang die schweren Arbeitsstiefel aus und hängt seine Jacke an einen Haken. Wenn er gewusst hätte, was an diesem Augustabend noch passieren würde, hätte er die Stiefel angelassen. So aber geht er auf Socken in die Küche und holt sich eine Dose Pripps Blå aus dem Kühlschrank, öffnet sie an Ort und Stelle und genehmigt sich einen großen Schluck. Ein zufriedener Seufzer löst sich aus seiner Brust.

      Pål nimmt die Dose mit ins Wohnzimmer, setzt sich auf die zerschlissene Ledercouch und schaltet den alten Röhrenfernseher an. Ein Erbstück von seiner Mutter, wie das ganze Haus. Auf TV4 wird ein amerikanischer Actionfilm mit Bruce Willis gesendet, den er laufen lässt, während er in Ruhe sein Bier schlürft und die Füße hochlegt. Als sein Magen knurrt, zieht er eine Tüte Dillchips heran, die vom Vorabend auf dem Couchtisch liegt, und stopft sich eine Handvoll davon in den Mund. Das war der einzige Vorteil an Frigga: Sie hatte bereits das Essen gekocht, wenn er abends nach Hause kam. Nun muss er sich um