»Hallo Andreas«, sagte er, »schicke mir bitte einen Rettungswagen. Wenn es geht, dann komme auch mit. Ich habe etwas Schlimmes getan. Ich habe eine Frau verletzt. Bitte hilf mir. Ja. Ja. Ich erkläre es dir nachher. Auf dem Friedhof. Bitte kommt zum Grab meiner Frau. Nein, sie kann nicht laufen. Ich denke, es ist eine distale Fibulafraktur. Ja, gut. Ich danke dir. Bis gleich.«
Er nahm die Gießkannen und stellte sie vor Maries Grab.
»Ich werde Ihren Blumen reichlich Wasser geben und auch die Kerze anzünden. Wir müssen das Bein hochlagern.«
Er zog seinen Mantel aus und wickelte ihn dann umständlich um Tinas Blumenkiste.
»Versuchen Sie, das Bein dort hinauf zu bekommen.«
Aber es war, als ob jemand mit einem Messer in den Fuß stach. Es ging nicht, obwohl sie sich die größte Mühe gab.
In der Ferne hörten sie nun schon die Sirene des Krankenwagens.
5.
Als die Sanitäter mit einer Krankenliege den Friedhof betraten, folgten die Besucher des Friedhofs den Männern. Tina sah die Prozession, und ihr wurde fast schlecht.
Und dann sah sie ihn: Ein Bild von einem Mann! Der Wahnsinn!
Schnell bemerkte sie, dass er der Arzt war, mit dem der Verursacher des Schlamassels telefoniert hatte. Er kniete sich vor Tina und ihr Herz schlug so laut, dass er es bestimmt hören musste. Sie hätte sich am liebsten in seine Arme gelegt, aber das ging natürlich nicht.
Eine Passantin sagte: »Oh Gott, was ist denn bloß passiert? Und so was auf dem Friedhof!« Tina platzte fast der Kragen.
»Ja, stellen Sie sich mal vor«, zischte sie, »ich bin umgeknickt und habe einen dicken Fuß. Schade, dass nicht mehr passiert ist. Machen Sie doch gerne ein Foto, dann haben Sie beim nächsten Kaffeekränzchen was zum Zeigen. Und lassen Sie doch bitte das Kind da hinten nach vorne. Es sieht ja gar nichts!«
Der göttliche Notarzt lächelte und zeigte ihr seine makellosen, weißen Zähne. Ist der Mann schön, dachte Tina.
Die Menge löste sich schnell auf. War ja nichts Schlimmes geschehen, und man wollte ja auch nicht neugierig erscheinen.
Der Notarzt stellte sich nun vor: »Mein Name ist Dr. Andreas Bergheim, und ich bin Orthopäde im Klinikum Roderstadt. Dr. Weber hatte mich angerufen. Ich schaue mir Ihren Knöchel nun mal an.« Seine Hände fühlten sich wunderbar kühl an auf ihrem heißen Fuß.
»Tja«, meinte er stirnrunzelnd, »das sieht gar nicht gut aus. Wir müssen Sie mitnehmen und röntgen, da geht kein Weg dran vorbei. Ich gebe Ihnen nun erst mal ein Schmerzmittel und Dr. Weber kühlt den Fuß.«
Er drückte dem ratlos dreinschauenden Mann einen Gelverband in die Hand, die dieser vorsichtig um Tinas Fuß legte. Sie wollte das Bein schon zurückziehen, aber der Schmerz hinderte sie daran. Sofort wurden durch die Kühle die Schmerzen etwas besser. Dr. Bergheim zog eine Spritze auf und schob sanft ihren Rock hoch.
»“Es piekt jetzt ein wenig«, sagte er, aber die Spritze merkte sie kaum. Diese Hände! Sie würde sich hundert Spritzen von ihm geben lassen und sich tausendmal den Rock hochschieben lassen..
Die Liege wurde auf den Boden gelassen, und Tina wurde von den Sanitätern vorsichtig darauf gelegt. Ihr Fuß wurde hochgelagert und umwickelt.
Nun erst konnte Tina wieder reden: »Ich kann nicht mitkommen. Ich muss zu Frau Heidemann. Sie wartet auf mich. Und dann.... Mein Auto steht doch noch hier.«
Tina fing wieder zu weinen an. Sie schnäuzte erneut in das Taschentuch von Dr. Weber, der ihr sagte, dass er alles erledigen würde. Er wechselte noch ein paar Worte mit seinem Kollegen und dann brachten die Sanitäter sie zum Krankenwagen. Der Schmerz war nun auszuhalten.
Tina hoffte sehr, dass der Adonis auch mitfahren würde. Aber er bat sie, ihm ihre Autoschlüssel zu geben, weil er den Wagen vor der Klinik abstellen würde.
Das war eine gute Idee, dachte Tina, gab ihm die Schlüssel und richtete sich etwas auf, um ihm ihren Kleinwagen zu zeigen.
»Okay«, meinte er, »das kriegen wir hin. Wir sehen uns dann gleich.«
Er tippte Tina auf die Nasenspitze. Es durchströmte sie wieder ein wohliges Kribbeln. Er würde in ihrem Auto sitzen. Wow!
Im Krankenwagen maß einer der Sanitäter Tinas Blutdruck. Er sagte ihr, dass er sehr hoch sei, was aber bei der Aufregung kein Wunder wäre.
Als sie das Krankenhaus erreichten, fuhren sie in den Keller, und eine Schwester erwartete sie bereits. Tina wurde durch den kalten Flur zum Fahrstuhl gerollt und in die Notaufnahme gefahren.
Die Schwester war sehr freundlich und fragte Tina, ob sie ihre Versichertenkarte dabei habe. Hatte sie natürlich nicht, denn alles lag ja im Auto. Sie fragte dann nach ihrem Namen und dem Geburtsdatum und Tina sagte es ihr. Dann fragte sie nach Krankheiten. Ob sie Medikamente nehme, ob sie rauche oder Alkohol trinke und ob sie im letzten halben Jahr geröntgt wurde. Tina konnte alles verneinen.
Auf die Frage, ob sie schwanger sei, musste sie lächeln. Was hatte das denn wohl mit dem gebrochenen Fuß zu tun? Aber Schwester Anna sagte ihr, dass es Probleme wegen dem Röntgen geben könne, wenn sie schwanger wäre.
Nein, schwanger war sie definitiv nicht und würde sie auch nicht mehr werden. Sie war doch schon 42 Jahre alt. Und von wem denn auch?
Ihr wurde nun der Verband abgenommen, und ihr dicker Fuß wurde auf eine Platte platziert. Drei Mal wurde er geröntgt und Tina war froh, dass es vorüber war und sie den Fuß wieder in eine Position bringen konnte, die ein wenig angenehmer für sie war.
»Wann haben Sie zuletzt etwas gegessen?«, fragte Schwester Anna Tina nun. Jetzt wurde ihr klar, dass sie hungrig war.
»Heute früh nur einen Zwieback und 2 Becher Kaffee. Ich war den ganzen Tag im Stress. Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie das fragen.« Die Schwester lächelte und meinte, dass sie dafür sorgen würde, und sie gleich etwas zum Essen bekäme.
»Kann das so wieder zusammen wachsen?«, fragte Tina.
»Es kommt gleich Dr. Bergheim und bespricht alles mit Ihnen.«
»Würde er mich dann operieren, wenn es sein muss?«, fragte Tina erwartungsvoll.
Die Schwester nickte.
»Das denke ich mal. Sonst hätte er einen anderen Arzt geschickt. Dr. Bergheim ist ein sehr guter Arzt. Sie sind bei ihm in den besten Händen«.
Ja. Das war sie mit Sicherheit.
»Nun muss er wegen mir Überstunden machen, was? Seine Frau wird sich dafür bedanken.«
»Nein, nein. Der hat noch lange keinen Feierabend. Und eine Frau hat er auch nicht. Also haben Sie bloß kein schlechtes Gewissen.«
Perfekt! Das hatte sie wissen wollen. Er war Single, und sie schenkte Schwester Anna ein freundliches Lächeln. Alles war schon nicht mehr so schlimm.
Und dann kam er auch schon hereingeweht. Mit offenem Kittel und fantastisch gekleidet. Er hatte ihre Handtasche aus dem Wagen mitgebracht und gab ihr auch den Autoschlüssel.
»Alles zur vollsten Zufriedenheit erledigt, gnädige Frau«, sagte er und schaute auf den Fuß.
Tina bedankte sich und steckte die Schlüssel in die Handtasche.
»Oh, oh, oh«, meinte er dann, »da hat der Herr Chefarzt aber ganze Sache gemacht. Haben Sie schon jemandem erzählt, wie es heute zu dem Unfall gekommen ist?«, fragte er sie.
»Nein«,