„Wir müssen sie zum Schloss bringen“, sagte der Mann. „Und nach einem Arzt rufen.“
Garrick nickte. „Ich nehme sie auf mein Pferd. Das wird schneller sein. Sobald ich auf seinem Rücken bin, reich sie mir hoch.“
Der Fahrer nickte. Garrick hüpfte zurück auf sein Pferd und streckte sich nach Hannah aus. Er hätte sie töten können. Wenn sie gestorben wäre—er hätte sich das nie vergeben. Sie war das einzige Strahlende in seinem Leben und er würde lieber sterben, als sie zu verletzen. Er ließ sie bequem in seine Umarmung gleiten und bedeutete dem Pferd zu traben. Zumindest waren sie dem Schloss nahe. Als er davor anhielt, schwang die Türe unverzüglich auf. Der Butler kam heraus und verbeugte sich.
„My Lord“, sagte er. „Es ist schön Euch wiederzusehen.“
„Ich habe keine Zeit, Bentley. Hilf mir mit ihr, sie wurde verletzt.“
Der Butler reagierte unverzüglich und half Garrick mit Hannah. Sie brachten sie in ein Zimmer ein Stockwerk höher und legten sie auf ein Bett. Sie war so weiß …
„Rufe unverzüglich einen Arzt herbei“, sagte er.
„Ja, my Lord“, sagte Bentley und verließ das Zimmer.
Seine Mutter stürmte in das Zimmer. „Was hast du jetzt getan?“
Garrick zuckte angesichts des Tons in ihrer Stimme zusammen. „Nicht jetzt Mutter. Ich habe keine Zeit für einen Vortrag.“
Hannah war wichtiger als alles, was seine Mutter zu ihm sagen konnte. Sie musste leben und er würde dafür sorgen. Auch wenn es das Letzte ist, was er tat. Ohne sie hätte er den Krieg möglicherweise nicht überlebt.
Sie blickte auf das Bett und japste. „Ach du meine Güte, es ist Hannah. Was hat sie hier gemacht?“
„Du hast sie nicht erwartet?“
Sie schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. „Ich bin allerdings nicht überrascht. Beide ihrer Eltern sind jetzt verstorben und der Cousin, welcher den Titel geerbt hat, ist ein Nichtsnutz.“ Sie seufzte. „Ihre Mutter ist vor Jahren gestorben und ihr Vater ist letztes Jahr verschieden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie hierher kam. Ich hätte nach ihr schicken sollen, aber mit Nates Tod …“
Arme Hannah. Jeder, der ihr auf der Welt wichtig war, war nicht mehr da und jene, auf welche sie sich üblicherweise verließ, hatten sie verstoßen. Er hätte früher heim kommen sollen—sein Offizierspatent verkaufen und nach Hause kommen. Vielleicht hätte er etwas für sie tun können. Er würde ihr jetzt helfen. Es war das Mindeste, was er dafür tun konnte, dass er sie beinahe durch seine Rücksichtslosigkeit umgebracht hatte.
„Ich habe nach einem Arzt rufen lassen“, sagte Garrick. „Kannst du dich zu ihr setzen, bis er kommt? Es ist nicht richtig, dass ich im Zimmer bin.“
„Natürlich“, seine Mutter nickte. „Du bist gerade erst gekommen, ruh dich aus. Ich lasse es dich wissen, wenn der Arzt fertig ist.“
Garrick machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer. Er hatte eine Menge Fragen, aber die konnten warten. Er wollte wissen, warum Hannah vor ihrem Cousin floh und sobald er alle Antworten hatte, würde er diesem Mann einen Besuch abstatten. Wenn er ein anständiger Verwandter wäre, hätte er besser auf sie aufpassen sollen. Garrick wollte Blut und war sich nicht zu schade nach Gerechtigkeit zu trachten.
KAPITEL ZWEI
Garrick starrte aus dem Fenster auf die weitreichenden Hügel, die in Richtung des Meeres führten. Er war begierig darauf einen Ausritt oder langen Spaziergang zu machen. Das Schloss war bereits an einem guten Tag erstickend—heute war kein guter. Hannah war noch immer nicht aufgewacht und er musste auf etwas, irgendetwas, schlagen, um den Ärger herauszulassen, der in ihm brodelte. Er hasste, dass er so hilflos war und nichts für sie tun konnte. Was bräuchte es, damit sie ihre Augen aufmacht? Der Doktor sagte, dass sie keine gebrochenen Knochen hat, ihr Kopf aber die Seite der Kutsche ziemlich hart getroffen hatte. Da war ein riesiger lila und blauer Bluterguss auf ihrer Stirn, der langsam zurückging. Während er heilte, würde hoffentlich das, was Hannah am schlafen hielt, es ebenfalls tun.
Er strich mit seiner Hand durch sein Haar und seufzte. Es gab mehr als Hannah, mit dem er sich beschäftigen musste. Er war mit dem Verwalter durch die Bücher gegangen und sein Bruder hatte irgendwie das Besitztum in tiefe Schulden getrieben. Zu sagen, dass seine Führungsqualitäten mangelhaft waren, war eine Untertreibung. Nathaniel hatte keinerlei Talent gehabt das Besitztum zu verwalten. Garrick hätte sich niemals vorgestellt, dass sein Bruder so verflixt sorglos mit dem Familienvermögen sein könnte. Das Wenige, das er hatte, würde nicht decken was es benötigte, um ihre Bücher wieder schwarze Zahlen schreiben zu lassen. Es würde ein Wunder brauchen, dass dies passierte. Obwohl seine Geldmittel helfen würden die Gläubiger davon abzuhalten, Blut sehen zu wollen—es würde ihm Zeit erkaufen, um herauszufinden was sein nächster Schritt sein sollte.
„Garrick“, sagte seine Mutter, als sie in das Arbeitszimmer kam. „Wir müssen eine Unterhaltung führen. Du kannst mich nicht weiter meiden.“
Er konnte es sehr wohl versuchen. Seine Mutter war besorgt. Er verstand das, aber das bedeutete nicht, dass er bereit war ihr entgegenzutreten. Sie hatte Nathaniel ihm immer vorgezogen und muss enttäuscht sein, dass ihr perfekter Sohn gestorben war. Nun hatte sie den Makelbehafteten als Graf und Kopf der Familie am Hals.
„Ich entschuldige mich, Mutter“, sagte er und drehte sich zu ihr hin. „Ich war nachlässig darin mich um deine Bedürfnisse zu kümmern. Wie kann ich behilflich sein?“ Garrick hob eine Braue.
„Es geht um Amelia“, sagte sie. „Das Mädchen braucht Hilfe und ich weiß nicht, was ich tun soll.“
„Sie ist eine Waise“, sagte Garrick sachlich. „Es kann nicht einfach für sie sein. Sie kannte ihre Mutter und ihren Vater nie …“ Er ließ seine Stimme allmählich verstummen. Es hätte keinen Sinn in der Wunde herumzustochern und sie größer werden zu lassen. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was du von mir erwartest, dass ich tun soll. Ich weiß nichts über kleine Mädchen.“
Sein Bruder hat seine Pflicht einen Sohn zu haben, der den Titel weiterführt, nicht erfüllt, aber er hatte es fertig gebracht eine Tochter zu zeugen. Ein kleines Mädelchen von nicht mehr als fünf Sommern und unglücklicherweise war Lenora bei ihrer Geburt verstorben. Alles, was sie gehabt hatte, seit sie ihren ersten Atemzug genommen hatte, war ihr Vater. Von den Geschichten, welche die Diener erzählen, war das auch nicht viel gewesen. Nathaniel hatte nicht viel Interesse an diesem Kind gezeigt. Er war zu betrübt über den Verlust seiner geliebten Frau. Garrick konnte ihm dies nicht wirklich verdenken. Wenn er die Liebe seines Lebens verloren hätte, wäre er eventuell ebenfalls dem Kummer verfallen. Amelia hatte allerdings besseres verdient. Er wollte sich seiner Nichte gegenüber anständig verhalten, aber er hatte nicht gelogen. Mädchen waren ein Rätsel und er hatte keine Ahnung, wie er verfahren sollte.
„Ich habe nach Lady Corinne geschickt“, sagte seine Mutter. „Eventuell wird sie auf ihre Tante mütterlicherseits ansprechen.“
„In Ordnung“, sagte Garrick mit einem Winken seiner Hand. „Es klingt, als ob du das gut gehandhabt hast. Wofür benötigst du mich?“
Seine Mutter verblieb still, während sie ihn anstarrte. Es entnervte ihn und für einen Moment fühlte er sich wieder wie ein kleiner Junge. Sie hatte schon immer diesen Effekt auf ihn gehabt. Irgendwie konnte seine Mutter ihn mit einer Leichtigkeit, die er hasste, in eine Zeit zurückkehren lassen, wo er keine Kontrolle hatte.
„Es ist eine vorübergehende Lösung“, sagte sie schließlich. „Corinne kann nicht für immer hier verbleiben. Wir müssen entscheiden, was mit Amelia zu tun ist, wenn sie geht.“
„Und das muss heute entschieden werden?“, fragte er gereizt. Zum Teufel … Seine Mutter würde ihn in ein frühes Grab bringen. Kein Wunder hatte sich Nathaniel in seiner liebsten Spirituose ertränkt. Er verlor seine Frau und hatte mit ihrer Mutter täglich umgehen müssen. Es war eventuell an der Zeit vorzuschlagen, dass sie in das Dowager House