Als Behütuns’ Blick einen Moment lang Irritation verriet, deutete P. A. nur kurz auf die Tür. Er hatte seinen Grund, das zu fragen.
Rothlauf wirkte verunsichert. »Die ... äh ... die Terrassentür ... äh, ich weiß nicht ...«
»Haben Sie sie denn geschlossen? Nachdem Sie bei Ihrer Frau waren? Oder in der Zeit, als Sie auf die Rettungsdienste warteten?«
Rothlauf kniff die Augen zusammen und sah P. A. prüfend an. Dann lehnte er sich langsam zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und nahm beinahe provokativ eine Abwehrhaltung ein. Mauerte demonstrativ, auch verbal: »Wissen Sie, ich sage jetzt gar nichts mehr ohne Anwalt. Ich finde Ihre Fragerei ziemlich unterirdisch, um nicht zu sagen unverschämt. Mich so offen zu verdächtigen, meinen eigenen Sohn, meine Frau ... In so einer Situation macht man doch alles Mögliche, das weiß man doch nachher gar nicht mehr im Detail.«
War diese Empörung gespielt oder echt? Behütuns hätte es nicht sagen können. »Sagen Sie, Herr Rothlauf, besitzen Sie ein großes Messer? Ein Küchenmesser mit einer etwa dreißig Zentimeter langen Klinge zum Beispiel?«
»Im Hotel haben wir zwanzig davon. Mindestens.«
»Ich fragte, ob Sie so ein Messer besitzen.«
Der Mann schwieg.
»Schauen Sie, wir glauben nicht, dass Sie es waren. Aber nach unseren Informationen hätten Sie kein allzu schlechtes Motiv gehabt. Die Lebensversicherung Ihrer Frau. Und, wie ich schon sagte, acht Minuten sind eine sehr lange Zeit. Deshalb müssen wir versuchen, genau zu rekonstruieren, was in dieser Zeit geschehen ist.«
»Sie meinen das nicht ernst, oder? Für das Scheißgeld soll ich ...? Meinen Sohn ...? Meine Frau ...? Oh Gott, ist Ihr Denken ekelhaft.«
Behütuns deutete auf das Telefon. »Bitte, Sie dürfen jederzeit Ihren Anwalt anrufen. Wir lassen Sie so lange allein.« Der Kommissar bedeutete seinen Kollegen per Handbewegung, kurz mit ihm hinauszukommen.
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»Sag mal, was war das für eine Frage mit der Terrassentür?«
»Die Tür war nur in den Schnappverschluss eingerastet und nicht von innen versperrt. Außerdem haben die Tatortreiniger an der Innenseite der Beschläge Blutspuren gefunden und sich noch mal mit der SpuSi kurzgeschlossen. Hatten die aber schon auf dem Schirm. Diese Spritzer, meint die SpuSi, können unmöglich bei geschlossener Tür dorthin gekommen sein, durchaus aber bei gekippter. Also wurde die Tür nach der Tat entweder von außen zugezogen oder von innen zugedrückt, sie muss aber vorher offen gestanden haben oder wenigstens gekippt gewesen sein. Und irgendjemand hat sie dann von innen zugemacht. Rothlauf. Oder der Täter.«
»Aber ...« Irgendwie hatte Behütuns das nicht ganz kapiert.
»Sie haben seine«, und dazu deutete P. A. mit dem Daumen auf die geschlossene Bürotür, »Fingerabdrücke auf dem Glas der Terrassentür nachgewiesen.«
»Was nichts bedeuten muss. An meiner Balkontür werden sich auch Fingerabdrücke von mir finden.« Er stand noch immer auf dem Schlauch.
»Pfff«, zischte Dick, »das kann aber auch heißen, dass der Täter über den Garten abgehauen ist.«
»... und Rothlauf hat im Schock die Türe zugemacht und kann sich nicht mehr erinnern.«
Behütuns massierte sich den Nacken. »Und bei dem Wetter finden wir da draußen keine Spuren.«
»Richtig. Die Spurensicherung war zwar draußen, aber hat, bis auf diese eine kleine Spur, nichts gefunden.«
Behütuns öffnete die Tür zum Büro. »Haben Sie Ihren Anwalt informiert, Herr Rothlauf?« Die Uhr zeigte auf zehn nach sechs. Der Mann saß über den Schreibtisch gebeugt, den Kopf in die Hände vergraben, und heulte. Es schüttelte ihn.
»Brauchen Sie einen Arzt?«
Rothlauf sah auf. »Nein.«
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Sie kamen an diesem Abend nicht weiter, Rothlauf konnte sich nicht genau erinnern, machte immer wieder leicht widersprüchliche Angaben, hatte keine Erklärung für die lange Zeit bis zu seinem Anruf bei der 110.
»Eine Frage noch zur Spieluhr – wie lange lief die noch? Können Sie sich daran erinnern?«
Der Mann überlegte wieder, schloss einen Moment die Augen, schließlich schüttelte er resigniert den Kopf. »Ich weiß nicht, ich kann es nicht sagen. Sie lief, als ich bei Max war, ihn aufhob, aber danach? Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich habe auch gar nicht mehr darauf geachtet.« Irgendwann gegen sieben Uhr brachen sie die Befragung ab, Rothlauf hatte sich keinen Anwalt geholt. Dick fuhr ihn zurück zu seiner Schwester, in sein Haus konnte er vorläufig noch nicht, es war versiegelt und würde es bis zur Hausdurchsuchung bleiben.
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Als Behütuns später daheim seinen Mailaccount öffnete, fand er im Posteingang eine Botschaft von Luna. Abgeschickt schon am Mittag, inzwischen war es nach halb acht. Sein Herz schlug schlagartig schneller. Das ist ja wie bei einem Pennäler, dachte er sich. Von wann war die Mail genau? 12:37 Uhr las er im Protokoll. Er hatte seine privaten Mails seit dem Vormittag nicht mehr gecheckt. Mit klopfendem Herzen las er:
Lieber, lieber Friedo,
bei mir hat sich etwas geändert. Können wir uns vielleicht schon am Freitag treffen? Übermorgen? Ne Stunde oder so rausgehen? Tauchersreuth? Ich würde dich so gerne sehen. Es soll zwar vielleicht regnen, aber dann gehen wir eben mit Gummistiefeln und Schirm. Ich würde mich sooo freuen! Vielleicht kannst du es ja möglich machen?
Ich freu mich auf dich
und drück dich,
deine Luna.
Wie schön! Aber auch saublöd. Natürlich konnte er nicht. Nicht dran zu denken. Nicht im Entferntesten. Wo er doch so gerne gekonnt hätte. »Lieber, lieber Friedo«, hatte sie geschrieben und: »Ich freu mich auf dich«. Aber übermorgen? Ging nicht, völlig unmöglich. Ihn würde die Arbeit in den kommenden Tagen komplett in Anspruch nehmen, das wusste er. Scheiße, das war ja wie früher! Genau deswegen hatte sie ihn verlassen. Na ja, natürlich auch wegen dem anderen. Aber doch auch nur, weil er nie Zeit gehabt hatte. Er überlegte hin und her. Wie sollte er ihr das jetzt sagen? Er verfluchte seinen Job. Was sollte er ihr bloß antworten? Dass sie nicht traurig sein solle? Nicht beleidigt? Sich nicht zurückgestoßen fühlen? Er spürte, dass es ihm irgendwie ernst war – zu ernst. Er holte sich ein Bier und setzte sich vor den Rechner, entwarf Sätze und verwarf sie wieder, probierte Formulierungen und löschte sie wieder, schob Worte hin und her, überlegte, wog ab, las und las wieder. Er holte sich ein zweites Bier, bastelte, entwarf, verwarf – und irgendwann drückte er einfach auf »Senden«.
Ach du, liebe Luna,
hab grad erst deine Mail gelesen, war den ganzen Tag sehr eingespannt, sorry. Du weißt nicht, wie gern ich es möglich machen würde am Freitag. Aber hast du die Zeitung gelesen? Über das Verbrechen in Kraftshof? Ich arbeite gerade Tag und Nacht ... und verfluche den Job ... wieder mal. Bitte, bitte, sei mir nicht böse, aber übermorgen geht es unmöglich, so gern ich auch würde. Lass uns noch bis nächste Woche warten, dann brennt’s hier hoffentlich nicht mehr so. Dienstag vielleicht? Oder schon Montag? Wir haben uns doch sooooo lange nicht gesehen, da läuft uns doch nichts davon, oder?
Ich drück dich,
dein Friedo
Ob das so gut war? Verständnisvoll genug? Und auch zugewandt genug? Mit der richtigen Dosis Gefühl? Ob sie das richtig verstand? So wie er es meinte? Oder war es vielleicht eine Spur zu ... nah? Zu direkt? Oder gar zu ... ja, wie sollte er sagen ... unterwürfig? Zu wenig selbstbewusst? Es lief ihm kalt und heiß über den Rücken. Immer diese bescheuerte Angst, zurückgewiesen zu werden. Diese, seine Urangst, unter der er litt, seit er denken konnte. Er machte sich noch ein Bier auf. Jetzt war die Mail draußen, und es war eh zu spät, sich Gedanken zu machen. Machte er sich aber. Vielleicht konnte er es ja doch noch einschieben irgendwie? Er würde es zu gerne ...