Abend im Paradies. Lucia Berlin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lucia Berlin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783311700807
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      Laura wünschte, sie würden nicht Erste Liebe lesen. Sie spürte, wie ihre Wangen glühten. »Pepe, du bist dran.« Sie gab ihm das Buch. Als Don Andrés las, konnte sie den Blick nicht von seinem Mund abwenden, das weiße Glänzen seiner Zähne.

      Später im Bett dachte sie, dass sie verliebt war. Sie ging jeden Augenblick durch, den sie mit ihm verbracht, jedes Wort, das er gesagt hatte. Was wünschte sie sich? Ihre Träume gingen nicht über einen Kuss hinaus.

      Dolores weckte sie mit einem Frühstückstablett. Ein schönes Tablett. Don Pepe wollte mit ihr reiten gehen. Xavier und Don Andrés waren auf der Jagd. Teresa und Pilar waren auf der Terrasse, stickten für ihre Aussteuer. Kissenbezüge. Dolores hatte für Pepe und Laura ein Lunchpaket gepackt.

      »Danke. Reitest du, Dolores?«

      »Immer. Aber nicht, wenn die Familie hier ist.« Laura wollte Dolores nach ihr und Xavier fragen, nach der Liebe.

      »Wie alt bist du?«, war alles, was sie herausbrachte.

      »Fünfzehn.«

      »Bist du hier geboren?«

      »Ja, in der Küche! Meine Mutter war immer die Köchin hier.«

      »Dann kennst du Xavier schon lange?«

      Dolores lachte. »Aber ja. Seit meiner Geburt. Er hat mir das Reiten beigebracht und das Schießen.«

      Laura seufzte, zog sich an. Dolores benahm sich nicht so, als wäre sie verliebt. Sie hatte allerdings so ausgesehen, als sie Xavier die Tür geöffnet hatte. War Helen, Lauras Mutter, je verliebt gewesen? Es gab niemanden, mit dem sie darüber reden konnte. Schon gar nicht mit Quena oder Conchi, obwohl sie ständig über Liebe sprachen. Zu dritt übten sie küssen, indem sie den Medizinschrank küssten. Aber wenn man den Schrank küsste, bog sich die Nase an der verspiegelten Tür zur Seite. Wo kamen die Nasen hin? Das war alles, was sie von der Liebe wussten. Das Begehren, das Laura spürte … sie hätte das Gefühl nicht mit dem Wort in Einklang bringen können.

      Sie ritt mit Pepe zu einer tiefergelegenen Weide, um die jungen Lämmer und Zicklein anzuschauen, dann ritten sie zu Gabriels Haus, um dessen Frau einen Besuch abzustatten. Die alte Frau war erfreut, Pepe zu sehen. Sie setzte Teewasser auf, holte die Nachbarinnen herbei, damit sie ihn begrüßen konnten. Unser Pepino wird Priester! In der verrauchten Hütte mit Lehmboden umringten sie ihn, während er trank, lächelten ihn mit tiefer Zuneigung an. Er kannte alle ihre Namen, die Namen ihrer Tiere und Kinder. Nein, es würde Jahre dauern, ehe er zurückkommen könnte. Er würde an sie denken. Für sie beten. Die Frauen umarmten ihn, schüttelten Laura die Hand, als sie gingen. Pepe war ernst, als er und Laura unter einem riesigen Aromobaum zu Mittag aßen.

      »Ist es aufregend für dich, Priester zu werden?«

      »Ich habe Angst. Es ist ein großer Schritt.«

      »Warum machst du das? Spürst du eine Berufung?«

      »Nein. Ich möchte … verändern, Zeichen setzen. Um ein Revolutionär zu sein, bin ich zu zynisch. Viele Gründe. Um eine Daseinsberechtigung zu haben, etwas in der Welt zu bewirken, von meinem Vater wegzukommen. Mein Beichtvater sagt, ich soll mir wegen der Gründe keine Sorgen machen, solange mein Wille beständig ist.«

      »Scheint so, als würde Xavier dieselben Dinge wollen.«

      »Ja. Ich weiß nicht, wie er sie finden wird.«

      »Er sagt, die reforma ist die einzige Antwort. Das Land den Menschen zu geben.«

      »Es wird so lange dauern. Und nicht die Anführer werden es zerstören, sondern die Menschen selbst. Ihre Natur und ihre Religion verlangen ein Patriarchat. Sie werden aus ihren Befreiern neue patrones machen.«

      »Du klingst wie mein Großvater, wenn er davon redet, dass Neger als Sklaven glücklicher gewesen sind.«

      Sie tranken die Botaflasche mit Wein aus und aßen zwei Birnen. Blütenblätter des Aromo blieben an ihnen hängen, als sie sich ins weiche Gelb sinken ließen.

      »Ich frage mich, ob ich jemals eine Daseinsberechtigung haben werde«, sagte sie.

      »Für Frauen ist es leicht.«

      »Was meinst du damit … die Lilien auf dem Feld?«

      »Nein. Du musst das nicht, dir selbst treu bleiben.«

      »Wie werde ich herausfinden, wer das ist?« Sie seufzte, als sie aufstanden, streifte gelbe Blüten ab. Sie stiegen aufs Pferd.

      »Wer zuerst zu Hause ist!«

      Von den Ställen aus konnten sie Don Andrés und Xavier in der Küchentür sehen. Fasanenfedern leuchteten in schillerndem Purpurgrün im Sonnenlicht. Dolores lächelte; sie hielt die umwerfenden Vögel in der Hand. Xavier streichelte ihr schwarzes Haar. Hinter ihnen betrat Teresa die Küche, stand wie gelähmt im abgedunkelten Raum. Ihre Perlen schimmerten; die Teekanne war weiß auf dem vorbereiteten Tablett. Teresa schmetterte die Teekanne auf den Ziegelboden und verließ den Raum. Xaviers Hand blieb wie eingefroren auf Dolores’ schwarzem Haar.

      Tee am großen Kamin. Eine neue Teekanne. Teresa war nicht da.

      »Wo ist deine Verlobte?«, fragte Don Andrés.

      »Sie ist nicht mehr meine Verlobte.«

      »Unsinn. Geh sie beruhigen, Xavier.«

      »Ich habe die Verbindung gelöst. Ich werde sie nicht heiraten.«

      »Sei kein Dummkopf. Das kannst du nicht machen.«

      »Doch, kann ich, Papá. Nein, Laura, kein Zucker, danke.«

      Don Andrés war blass, erzürnt. »Laura, lass uns reiten gehen.«

      »Es regnet.«

      »Sehr leicht.«

      Er erhob sich und Laura folgte ihm. Xavier blickte auf den Rücken seines Vaters, hasserfüllt, triumphierend.

      Lautaro flog über die regenglatte Straße. Die Laternen flackerten im Wind; rosa Blüten, gelbe Aromos zogen in der Dunkelheit verschwommen vorbei. Der Himmel klarte auf, aber noch gab es keine Sterne, die die Nacht erhellten. Laura und Don Andrés sagten nichts.

      Sie hörten den Fluss, bevor sie ihn sahen, und dann das Klappern von Lautaros Hufen auf der Holzbrücke. Sein grausiger Schrei, als die Brücke nachgab. Sie wurden beide aus dem Tilbury in das eisige, aufgewühlte Wasser geschleudert. Die Laternen gingen zischend aus. Im Wasser schlugen sie wild um sich, rissen sich Umhänge und Jacken vom Leib. Don Andrés schrie ihr zu, sie sollte sich an der Kutsche festhalten, helfen, das Pferd loszubinden. Wirbeln, wirbeln im Fluss. Lautaro wieherte hysterisch, trat nach ihnen und biss sie, als sie mit den Zügeln beschäftigt waren. Seine Hufe, Steine, die Kutsche schlugen gegen Laura und Don Andrés, während sie flussabwärts stürzten.

      Das Pferd war befreit, schlug um sich, wieherte. Wieder und wieder stürmte der Hengst auf das Ufer los, bis er es schließlich erklomm und weg war. Der Tilbury wirbelte in der Gischt umher und trudelte den Fluss hinunter, silbern jetzt im Licht der Sterne.

      Unter einem Aromobaum zerriss Don Andrés zitternd und keuchend sein Hemd, um die Schnitte in seinem Bein, ihren Armen zu verbinden. Ein Feuer, sagte er, aber sein goldener Zigarettenanzünder funktionierte nicht.

      »Gabriel wird uns suchen, wenn Lautaro zurückkommt, aber wir sind viele Meilen flussabwärts von der Stelle, an der er mit der Suche beginnen wird. Bete, dass er nicht versucht, die Brücke zu überqueren. Wir sollten bis zur Anhöhe oberhalb des Flusses gehen. Leg deine Sachen ab und wringe sie aus.«

      »Schon gut.«

      »Sei nicht albern. Wring deine Sachen aus.«

      Sie schlotterten, ihre Zähne klapperten.

      Aromo klebte an ihren nackten Körpern wie gelbes Fell. Laura fror und hatte Angst. Sie spürte Begehren und wusste nicht, was sie tun sollte, wie man tat, was sie taten. Sie hielt seinen silbernen Kopf, als er ihre Brüste küsste. Fäden von gelbem Aromo