Solo für Schneidermann. Joshua Cohen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joshua Cohen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783731761006
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überzogenen Linienführungen, ein Fachbegriff:

      SOL – auch der Name meines Schneiders, dem ich das alles ebenfalls zu erklären versucht habe –,

      dass sie den Film im realen, also Nachkriegs- und nachsozialistischen Polen, das sich in den Westen integrieren wollte, gedreht haben, aber im Film,

      da ist das das Kriegseuropa: Musikmäßig wird Webern bald von einem amerikanischen G.I. erschossen, jwd in diesem Kaff Mittersill, von Webern zu Ihnen, während Schönberg, sein Lehrer, draußen in Beverly Hills im schönen Kalifornien, Tennis spielt, mit Strawinsky auf einem eigens erbauten Tennisplatz im damals größten Martiniglas der Welt außerhalb der Poconos spielt, Alban Berg – der Dritte im Bunde der Wiener Dreifaltigkeit –, na, der ist schon tot, Mahler, ihrer aller Ahnherr, ist schon seit ewigen Zeiten tot und begraben, Schönberg, er UMRISS (ein historischer Begriff,

      kritischer Fachausdruck),

      SKiZZIERTE so gut in seinen Bildern,

      genau, er malte auch, der Mann, er diente so vielen Herren wie sich selbst – Mahlers Grab ein tiefes Zeitloch à la Celan, durch das wir in einen Regentag der deutschen Welt 1911 zurückfallen, an dem Alma (Mädchenname Schindler, nicht verwandt) hinter dem Grabstein wahrscheinlich einen Priester der zweiten Garnitur fellierte, während all seine Schüler trauerten (die Schüler trauern immer am meisten), Schönberg Mahler noch Geld schuldete, und ob bei der Beerdigung wohl irgendwer eine Jarmulke getragen hat? ein Kaddisch gesprochen hat? und Alma Mahler, geb. Schindler, seine Frau, die immer noch mit allem schläft, was zwei Beine hat und sich Künstler schimpft, ist endlich frei, die Unannehmlichkeiten des Nationalsozialismus hinter sich zu lassen, nach Los Angeles zu emigrieren und aber

      passen Sie auf, es ist ganz einfach:

      Schönberg oder die Holocaustmusik für diesen Holocaustfilm, Webern oder die Musik für SCHINDLER, Berg oder die Musik für SCHINDLER, Mahler oder die Musik für SCHINDLER, Strawinsky oder die Musik für SCHINDLER – das ist ja nur gerecht, denn sie alle spielen nach derselben Partitur, sie alle arbeiten mit demselben Material, weil es anders einfach zu komisch wäre.

      Passen Sie auf, es ist ganz einfach:

      Webern und die Musik für den Film mit dem Alien in Form eines Penis,

      Strawinsky und die Musik für den Film mit dem Tyrannosaurus Rex, der zwar grausam grimmig ist, mit seinen Ärmchen aber trotzdem wie ein Homosexueller aussieht,

      Mahler und die Musik für den Film mit dem Hai, den man nie richtig zu sehen bekommt, weil er ständig unter Wasser ist,

      dieses Da da, Da da, Da da, verstehen Sie? Der Hai nähert sich dem Schmock! Schneidermann, er konnte nur krähen beim ersten Sehen,

      aber es gibt nichts, was ein schneller Schnitt nicht lösen, was nicht dem vorigen Bild zum Opfer fallen, auf dem Boden vom Schneideraum eines Films landen könnte, der nie gedreht wird (außer Sie könnten sich für die Finanzierung erwärmen, Mr. Rothstein),

      eine Verfilmung von Schneidermanns Leben, nennen Sie ihn doch einfach SCHNEIDERMANNS LEBEN, wir schreiben zusammen ein Treatment, und ich versuche, uns SPIELBERG zu sichern – die letzte Stunde plus achtzehn Minuten des Films müsste die ersten achtundsiebzig Minuten des letzten Films enthalten, den Schneidermann je gesehen hat, wenn Sie, Mr. Rothstein da draußen, also so großzügig wären, Geld für die Rechte auszugeben, können wir gleich mit der PR-Kampagne loslegen,

      müssen nur noch die Kissen auf der Besetzungscouch aufschütteln und uns von den Talenten verführen lassen:

      wenn die Musik also fast nicht zu verstehen ist (und bewusst so komponiert worden sein könnte), was ist dann erst mit dem Mann?

      ein Igel im Fuchspelz, um seine Feinde zu verbabeln, das wollte Schneidermann sein, aber ihm fehlte das nötige Kleingeld,

      ein Trojaner in Amerika, aber nicht im Sinne dieser Annoncen für hochwertige Verhütungsmittel, fügte Schneidermann immer hinzu,

      Schneidermann, so schwer einzuordnen wie Zeus: war er sowohl Chthonios als auch Olympios? der die Namen wechselte wie Schneidermann die Hemdkragen? obwohl auch er die Namen wechselte: erst Schneidermann und später dann hier drüben in der unterheizten Wohnung, die Schneidermann seine flat nannte,

      das ich irgendwann in diesem Leben noch ausräumen muss, Schneiderman, zumindest wird er bei der Polizei meistens so buchstabiert: zwei ns oder nur ein n wie in der Vermisstenanzeige, war’s also nun eins oder waren es zwei? in einem Wiener Konzertprogramm waren’s einmal sogar drei ns,

      ein Tippfehler, den Schneidermann in seiner (über zwei Stunden langen) Ansprache an das Publikum richtigstellte, ja und? war er durch die Buchstaben, den Namen, denn weniger ein Mann oder ein man?

      Kapriziös wie Mozart war Schneidermann, ein Komponist, den er hasste, weil jeder ihn liebt oder jedenfalls liebte, Herrgott noch mal! selbst musikalische Vollidioten haben von ihm gehört – Mozart, ein Komponist, der für Schneidermann ein billiger Abklatsch des Schöpfers war. Aber einem Freund muss man seine Überempfindlichkeiten vergeben, oder nicht? erst recht einem Freund, der nach den frühen Toden seines Vaters am Herzen und seiner Mutter in den Wehen von seinen neun musikalischen Tanten großgezogen worden war.

      Frauen, die seine eigentlichen Ausbilderinnen waren, ich erklärte der Polizei, dass Schneidermann, er hatte Beethovens Haare. In meiner Beschreibung – vielleicht zu detailliert und für die Behörden daher wertlos – konstatierte ich, dass Schneidermann, er hatte Sinais Nase. Schneidermann, er hatte Asiens Auge, wie ich dem Phantombildzeichner erklärte (alle zwei Milliarden, aber keines davon wollte oder will etwas kommen gesehen haben). Schneidermann, er hatte Mozarts Drüsen (Ohren). Schneidermann, er hatte Amerikas Lippen, aber – und dieses Paradox müssen wir erwarten – sie hatten die Absicht, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen,

      genau wie ich, als ich dem Detective sagte, Schneidermann, er sei mal mit dem türkischen Botschafter verwechselt worden (ich weiß bloß nicht, ob die Dienstmarke mir geglaubt hat), er sei mal irrtümlich für einen Freier gehalten worden, als er sich bei einer Prostituierten nach dem Weg zu einem neuen Multiplex in der Nähe der 10th Avenue erkundigt hatte, während Schneidermann, er irrte sich nie,

      ich ließ sie alles über Schneidermanns Zahn und Schneidermanns Ohr in ihren Bericht aufnehmen,

      ging nach Hause, heutzutage, wo die Situation mit der Ehefrau ist, wie sie ist, also in mein Hotel, das war am Donnerstag, glaube ich, oder am Freitag, jedenfalls am Tag darauf gegen 15.00, nein, es war 16.00, setzte mich auf die durchhängenden Lederriemen der Kofferablage und dachte nach, versuchte mich an alles zu erinnern, was mir unten auf der vernebelten Polizeiwache entgangen sein mochte:

      an Schneidermanns Hosentaschen und die Löcher in Schneidermanns Hosentaschen, deretwegen ich ihn immer aufgezogen hatte.

      An das, was Schneidermann durch die Löcher in den Hosentaschen fiel. An die Finder dessen, was Schneidermann durch die Löcher in den Hosentaschen gefallen war. An die Geliebten der Finder dessen, was Schneidermann durch die Löcher in den Hosentaschen gefallen war:

      beispielsweise ein colaverätzter Zahn,

      eine burgundergrottige Clipkrawatte mit blauen Firmenstreifen, einen Ohrschnecken-Ohrclip,

      ein Postkartendruck von Man Rays Le Violon d’Ingres von 1924,

      die ausgeschnittene Kontaktanzeige eines Transvestiten/Transsexuellen namens Ingres (erotische Rollenspiele, keine Tabus),

      eine Scherzartikeluhr, stehengeblieben, tot, Gehäuse gesprungen, ohne Sekunden- und Minutenzeiger,

      der Rückerstattungsgutschein eines Kasinos über zehn Dollar für eine Busfahrkarte mit dem Greyhound von Port Authority Gate paarundsiebzig nach Atlantic City,

      ein Busfahrplan der Pendelbusse mit vollgepissten Gängen von Port Authority über die Schnellstraßen zu den Kasinos in Atlantic City (Glücksspiele, Schneidermann, er sagte das immer, böten die größtmögliche menschliche Annäherung an künstlerisches Schaffen, sagte Schneidermann, der liebend gern Geld verspielte, das ihm nicht gehörte),

      ich