Mit Gebrüll stürzte sich Matteo von der Seite auf das Tier. Er versenkte sein Schwert in dessen Bauch. Der Bulle strauchelte, kurz bevor er Franziskus erreicht hatte, und bog seinen Körper zur Seite. Von der eigenen Wucht weitergedrängt, fiel er auf die Schulter, Franziskus konnte gerade noch ausweichen, da krachte der Koloss vor ihn hin. Aber das Tier stand augenblicklich wieder auf, um Jagd auf Matteo zu machen. Der hatte nun keine Waffe mehr.
Franziskus sah den Körper des Bullen wie einen Berg Muskelfleisch vor sich. Er nahm das Schwert mit beiden Händen und rammte es in den massigen Leib, dort, wo er das Herz vermutete. Der Bulle brüllte auf. Sein gewaltiger Körper spannte sich. Dann brach er zusammen.
Samuele und Luca brachen in Jubel aus. Die Stelle im Zaun, die durchbrochen war, füllte sich mit immer mehr Menschen. Matteo kam heran, nahm Franziskus’ Hand und riss sie in die Höhe. „Wir zwei, wir haben ihn getötet!“, rief er.
Vor ihnen zuckten noch die Beine des Bullen. Blut lief ihm aus den Wunden in Bauch und Brust, es befleckte das weiße Fell. Franziskus sah, dass der Bulle noch um Atem rang, und wie ihm die Augen brachen.
Da tat ihm das Tier leid. Hatte Gott nicht auch den Stier wunderbar geschaffen? Mit welchem Recht quälten sie ihn und trieben ihn durch die Stadt, nur um den Kitzel der Gefahr zu spüren? Franziskus ließ Matteo los und kauerte sich nieder zum sterbenden Stier. Er legte ihm die Hand auf die Brust. Sie war verschwitzt und warm. Du wolltest weiterleben, dachte er, und wir haben dich gereizt und zu Tode gehetzt.
Er musste daran denken, wie er als Kind Regenwürmer gerettet hatte, wenn sie nach einem Schauer auf den hart getrampelten Weg gekrochen waren und nun zu vertrocknen drohten. Wie er Schnecken in den Schatten gebracht hatte. Wie er eine Mücke, anstatt sie zu erschlagen, geduldig bei sich Blut trinken lassen hatte. Er hatte damals geglaubt, alle diese Tiere würden eines Tages zu seinem Grab kommen, wenn er gestorben war, und weinen.
„Jetzt feiern wir erst mal!“, sagte Matteo. „Ich kann’s kaum erwarten, Julia von unserer Heldentat zu erzählen. Heute küsst sie mich, darauf verwette ich mein Schwert!“
„Ich komme nach.“ Als sie noch jünger gewesen waren, hatte Matteo einmal einer Fliege die Flügel ausgerissen, und sie hatten sich daran ergötzt, wie das verkrüppelte Tier über den Tisch hüpfte. Das war ihm schon damals widernatürlich und abstoßend erschienen. Warum hatte er nicht früher erkannt, dass es mit dem Stierkampf genauso war?
Er stand auf. Dutzende Männer gratulierten ihm. Er musste sich regelrecht losreißen. Auf dem Weg nach Hause dachte er an Georg, den Drachentöter. Hatte der auch Mitleid mit dem Untier gehabt, kaum, dass er die Lanze in seinen Leib versenkt hatte?
Schon als Kind hatte ihn die Geschichte vom Drachentöter fasziniert. Das Fresko in San Giorgio war vor seinen Augen lebendig geworden, wenn der alte Priester, der ihn in Rhetorik und Grammatik unterrichtete, die Geschichte von Georg und dem Drachen erzählte. Sagte er seine Lektion fehlerfrei auf, durfte er sich die Geschichte wieder und wieder wünschen. Er konnte sich daran nicht satthören. Die Kraft des Guten, die über das Böse triumphierte – so hatte er kämpfen und Heldenmut beweisen wollen. Der Drache hatte sich aufgebäumt und Georg hatte ihm den Spieß in den beschuppten Leib gestoßen.
Aber den Stier zu töten, das war kein Heldenmut gewesen. Ein unnötiger Tod war es, mehr nicht.
Zu Hause wartete Vater bereits auf ihn. „Großartig, mein Junge! Ich habe immer gewusst, aus dir wird was! Dir stiehlt kein Räuber auf den Handelsreisen die Waren. Mutig wie ein Edelmann bist du, du hast es in dir.“ Er überreichte ihm eine prall gefüllte Geldkatze. „Feiert anständig. Heute wird nicht geknausert!“
Wie bitte? Was war nur in seinen Vater gefahren? Pietro di Bernardone ließ neben dem Tuchhandel keine Gelegenheit aus, um verarmten Adligen für einen mickrigen Betrag Felder und Gärten und Waldstücke abzuschwatzen. Er feilschte mit jedem Kunden ums Geld, er schalt sogar die Mutter, wenn sie teure Krebspastete einkaufte! Wie kam es, dass er plötzlich so großzügig war?
„Nimm mich mit“, flehte Angelo, sein kleiner Bruder.
Franziskus legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Das geht nicht. Du bist zu jung.“
„Aber nächstes Jahr!“ Angelo blickte bewundernd zu ihm hoch. Er schien tatsächlich eine Art Drachentöter in ihm zu sehen.
Franziskus wog die Geldkatze in der Hand. Das versprach, ein großartiger Abend im Wirtshaus zu werden. Er würde es sein, der den Wein in Strömen fließen ließ. Die Freunde würden ihn lieben! Zwar fühlte es sich wie Verrat am verendeten Stier an, aber lebendig wurde der auch nicht davon, wenn er Vaters Geschenk ausschlug.
Wenig später saß Franziskus an einer langen Tafel unter freiem Himmel, geröstete und gesalzene Vögel vor sich, guten Wein im Becher, und sang Lieder. Luca schlug das Tamburin im Takt dazu, Matteo spielt Flöte und Samuele zupfte die Laute. Franziskus langte nach einem weiteren Rebhuhnflügel und biss in das knusprige Fleisch.
Die schönen Mädchen Assisis tanzten um die Tische herum, sie tanzten die Farandole, immer im Kreis, der Wein hatte sie erhitzt. Vielleicht würde es zum Nachtisch nicht nur Kuchen aus Honig und Mandeln geben.
Der Stier war vergessen.
2
Wenn er vor etwas Angst hatte, dann war es Lepra. Der Aussatz unterschied nicht zwischen Arm und Reich, und wen er befallen hatte, der war verurteilt, über viele Jahre allmählich dahinzusterben. Franziskus schauderte beim Anblick des Aussätzigen, der allein in der Abenddämmerung über das Feld stakste.
„Fall nicht hin“, spottete Luca, „sonst brichst du dir ein Bein ab!“
Sie lachten. Es war kein fröhliches Lachen, sie lachten aus einer hässlichen Hilflosigkeit heraus, um die Macht zu verspotten, die dieser Aussätzige über sie hatte, die Macht, den Tod zu bringen. Der Vermummte reagierte nicht auf ihren Spott. Er blieb stehen und sah stumm zu ihnen herüber.
„Wollen wir doch mal sehen, ob er sich an die Regeln hält“, sagte Matteo und stieg vom Pferd. Er trat auf die vermummte Gestalt zu.
Erschrocken ließ diese die Ähren fallen, die sie von den Halmen gerissen hatte. Sie nestelte an ihrem Gürtel, zog eine hölzerne Klapper heraus und schlug sie, zur Warnung, wie es vorgeschrieben war.
„Kommt schon, es wird dunkel, lassen wir ihn“, sagte Franziskus. Das Feld gehörte seinem Vater, aber er konnte dem Aussätzigen nicht böse sein, dass er Ähren raufte. Welche Wahl hatte der Mann? Manchmal, wenn der Diebstahl überhandnahm, zogen Bewaffnete aus Assisi los und machten Jagd auf die Aussätzigen, dann gab es für eine Weile Ruhe. Man entschuldigte die Brutalität, indem man sagte: Früher oder später sterben sie ja sowieso.
Dieses Klappern war fürchterlich. Als könnten Wesen, die auf der Schwelle zwischen Leben und Tod standen, keine menschlichen Laute mehr von sich geben, nur ein schauerliches Scheppern.
Franziskus stellte sich die abgefaulten Glieder unter den Lumpen vor und das von Geschwüren zerfressene Gesicht. Besaß die Gestalt überhaupt noch einen linken Arm? Oder war es nur mehr ein Stumpf? Der rechte Arm und die rechte Hand waren vorhanden, mit denen schlug die Gestalt die Klapper.
„Matteo, lass ihn“, versuchte er es noch einmal.
Matteo zog sein Schwert, als wollte er den Kranken erschlagen. Der Aussätzige humpelte unter Angstgeheul davon.
„Den sehen wir hier nicht wieder“, sagte Matteo befriedigt, steckte das Schwert weg und stieg wieder auf sein Pferd.
Samuele stichelte: „Oder er kommt nachts, wenn du schläfst, mit ein paar seiner Leidensgenossen, und sie stecken dich an.“
Als sie auf dem Weg nach Hause am Siechenhaus vorbeikamen, machten sie einen weiten Bogen darum. Sie führten die Pferde einhändig und hielten sich demonstrativ die Nasen zu. „Riecht