WIE SCHATTEN ÜBER TOTEM LAND. S. Craig Zahler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. Craig Zahler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352780
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aus ihr heraus und begann, ihn um den Behälter herum aufzuwickeln. »Du brauchst schlafen. In drei Tagen ist große Fiesta. Du hast muy wichtige Kunden und Boss will …«

      »Besorg mir Medizin«, verlangte die Frau.

      »Keine Medizin mehr. Sie macht dich krank. Kunden beschweren sich, du hast kalte Hände und Haare fallen dir aus.«

      Ohne den Schutz der Opiate konnte die Frau keine weitere Fiesta ertragen. »Ich mache Ärger, wenn du mir keine Medizin besorgst. Ich mache wieder ins Bett.«

      »No.« Der Mann mit der Holznase runzelte die Stirn. »Nicht das machen.«

      »Besorg mir Medizin oder ich mach ins Bett, wenn ein Kunde da ist. Mache allen großen Ärger.«

      Der Mann mit der Holznase pfiff durch seine Nasenlöcher, wandte sich von der liegenden Frau ab, rollte den Behälter aus dem Raum, schloss die Tür und drehte den Schlüssel um.

      Allein und mit fauligem Essen im Magen wurde die Gefangene müde und schlief ein. In ihrem Traum war sie eine glücklich verheiratete Chorleiterin, die in San Francisco lebte. Ihr Name war Yvette.

      Yvette erwachte. Ihr Negligé, das angezogen zu haben, sie sich nicht erinnern konnte, Gesicht und Haar waren feucht vom Schweiß des Entzugs. Sie öffnete die Augen und sah noch weniger als zuvor. Die Kerzen am Bett waren verloschen, während sie geschlafen hatte, und der Raum lag in Dunkelheit, abgesehen von dem wenigen Licht, das unter der Eichentür hereinkroch. Am Fußende ihres Bettes entdeckte sie eine ungefähr rechteckige Form, wie die einer verhüllten Person, und verspürte Furcht.

      Der Eindringling keuchte.

      »Wer ist da?«, fragte Yvette.

      Der Eindringling atmete aus, schnalzte mit der Zunge und nieste explosionsartig. Yvette stockte der Atem und sie schied ein wenig Urin aus.

      Eine nasse Zunge glitt über ihre rechte Fußsohle und sie zog den Fuß hastig zurück. Die rechteckige Form schnaubte drei Mal, umkreiste das Bett, blieb neben dem Kissen stehen und hechelte. Die Gerüche, die der Frau in die Nase stiegen, waren die von Fleisch und Knochenmark.

      Yvette legte ihre rechte Hand auf eine feuchtkalte Schnauze. Der Hund fiepte vor Freude über ihre Berührung, entrollte seine fleischige Zunge und leckte das Salz ab, das auf ihrem Handgelenk getrocknet war.

      Nachdem sie ihre Blase in den Metalltopf entleert hatte, den sie unter ihrer Matratze aufbewahrte, entzündete Yvette ein Streichholz, teilte die Flamme mit einem Kerzendocht und löschte die phosphorhaltige Spitze in einem Riss in der Wand.

      Der Hund war ein rotbrauner, zwanzig Kilo schwerer Mischlingsrüde mit spitzen Ohren, klugen Augen und einem Bart, der in alle Richtungen von seiner langen Schnauze wuchs. Das arglose Tier starrte sie geradewegs an, so wie es ein unschuldiges Kind oder ein Liebhaber täte.

      Es war viele Monate her, seit Yvette jemandem in die Augen gesehen hatte, den sie nicht verachtete, und sie spürte, wie Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Die Tropfen verweilten am Rand ihres Kinns und perlten auf die durchnässte Matratze.

      Von seiner Umgebung unbeeindruckt kratzte sich der kultivierte Hund an der Seite und inspizierte einen Zehennagel.

      »Howdy«, sagte Yvette zu der Kreatur.

      Die Schnauze des Hundes öffnete und schloss sich, als hätte das Tier beabsichtigt, zu sprechen, sich dann aber dagegen entschieden. Er hockte sich hin und hob seine rechte Pfote in die Höhe.

      »Kannst du Hände schütteln?«

      Das Tier betrachtete sie gebieterisch.

      Yvette beugte sich vor, um die ausgestreckte Pfote zu ergreifen, wurde aber von einer schrecklichen Flut von Übelkeit dank des Entzugs überwältigt. Sie griff unter ihr Bett, holte den Metalltopf hervor und spie den größten Teil der Suppe, die ihr früher am Abend eingeflößt worden war, gewaltsam aus. Schweiß bedeckte ihr gerötetes, nach unten gerichtetes Gesicht und sie würgte noch einmal.

      Einen schwerfälligen und kraftlosen Moment lang floss alles aus ihr heraus.

      Yvette zog wirre Haarknäuel aus ihrem Mund, spuckte saure Reste in die gesammelten Ausscheidungen und gab sich alle Mühe, die übel riechenden Gerüche nicht einzuatmen, die mit Sicherheit einen weiteren Brechreiz auslösen würden.

      Sie stellte den Topf zurück, legte sich auf den Rücken und starrte zur rissigen Decke hinauf. Wenn Fremde auf ihre Brüste sabberten, als wäre sie ihre Mutter und könne sie irgendwie wieder in einen Zustand extatischer Kindheit zurückversetzen, oder wenn sie in sie eindrangen, dann sah sie zum gespaltenen Stein hinauf und stellte sich vor, sie sei ein Käfer, der über seine raue Oberfläche krabbelte. Manche Kerle verlangten, dass sie sie ansah und ihnen Zuneigung vorspielte, aber erst nachdem der Mann mit der Holznase ihr ihre Medizin gegeben hatte, war sie in der Lage gewesen, derartige Dienste anzubieten.

      Die Hoffnung, dass man sie aus ihrem furchtbaren Unglück erretten würde, war mit jedem Monat geschrumpft, und obwohl sie noch nicht ganz verschwunden war, war sie zu einem unbedeutenden Staubpartikel geworden. Wann immer sie zum Herrn sprach, bat Yvette ihn darum, Rettung zu schicken oder sie an seine Seite zu rufen. Sie hatte viel zu lange gelitten. Vielleicht war der Hund ein von ihm entsendeter Freund, der ihr Trost spenden sollte, während ihr elendes Leben zu einem Ende kam?

      Yvette richtete sich auf, verspürte eine Welle von Schmerz, zog ihre dürren Fußknöchel übers Bett und setzte ihre Fußsohlen auf dem Teppich auf. Zitternd streckte sie ihren Arm aus und sagte: »Gib mir die Hand.«

      Der Hund nieste und gähnte, bot ihr aber keine Pfote an.

      Yvette dachte über die Zurückhaltung des Tieres nach und sagte: »Mano«, was das spanische Wort für »Hand« war.

      Als ob er im Begriff wäre einen feierlichen Eid zu schwören, hob der kultivierte Hund seine rechte Pfote.

      Die eingesperrte Frau schüttelte sie und ließ dann los. »Dann bist du also Mexikaner?«

      Der Hund nieste.

      »Ich werd es dir nicht übel nehmen.« Yvette dachte einen Moment lang nach und erinnerte sich an das spanische Wort für »sprechen«. »Habla.«

      Der Hund bellte und der laute Luftstoß ließ seinen Bart flattern.

      Metall kreischte am anderen Ende des Raumes. Yvette und ihr kultivierter Zimmergenosse sahen zur Tür. Jenseits des offenen Eingangs und von einer Fackel umrissen, die sich im Korridor verbarg, stand der Mann mit der Holznase. Anstelle seines üblichen Regenmantels trug er eine braune Hose und ein schickes, burgunderrotes Hemd. Seine kleinen Augen fingen die Kerzenflammen ein und funkelten wie zwei weit entfernte Sterne.

      »Du magst Henry?«, fragte der Mann mit der Holznase.

      Yvette spürte, wie das Böse in den Raum kroch.

      Der Mann kratzte sich am Hals und richtete seinen Zeigefinger auf den Hund. »Sein Name ist Henry. Du magst ihn?«

      »Ich hab das Essen erbrochen, das du mir gegeben hast.« Yvette beugte sich vor, um den mit ihren Ausscheidungen gefüllten Metalltopf zu holen. »Hier rein. Kannst du …«

      »Henry ist Zirkushund aus Mexiko-Stadt«, sagte der Mann mit der Holznase. »Zirkusdirektor stirbt und seine Tochter verkauft Tiere, um ihm ein Sarg zu kaufen.«

      »Ich habe Hunger«, versuchte Yvette, das Thema zu wechseln. »Tengo hambre. Würdest du …«

      »Henry.« Der Hund sah zu den winzigen Nadelspitzen, die die Augen des Mannes waren. »¡Vengaqui!« Yvette wusste, dass das »Komm her« bedeutete.

      Der Hund lief auf den Mann mit der Holznase zu.

      »¡Alto!«

      Der Hund blieb stehen.

      »¡Sientate!«

      Der Hund setzte sich.

      Yvette drehte sich der Magen um. »Nicht!«

      Der Mann warf die Tür zu. Holz und Stein prallten gegen den