Glück in Salzburg. Hannelore Mezei. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hannelore Mezei
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783747201619
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genau genommen redet sie wie ein Wasserfall und lässt ihn überhaupt nicht mehr zu Wort kommen. Und nein, er interessiert sich nicht für Golf und Kreuzfahrten, für Zahnimplantate und Versicherungen, die Ärzten das Leben schwermachen. Als das Buffet eröffnet wird, auf das sich alle stürzen, als hätten sie noch nie etwas zu essen bekommen, verabschiedet sich Martin von Marion mit seinem nettesten Lächeln und den Worten, dass er zur Toilette müsse.

      Das Buffet ist philippinisch angehaucht, die Mutter des Besitzers, die Mama, kommt daher, weiß Rüdiger zu berichten, der Martin bei dessen Rückkehr von der Toilette aufgelauert hat. »Geniale Küche«, sagt er, und Martin, der in seinem Leben nur einmal auf den Philippinen war, erinnert sich daran, dass das Essen viel zu fettig war und immer kalt auf den Tisch kam. Er nimmt sich trotzdem was auf den Teller, sieht aus wie Fisch und Gemüse und Reis, und revidiert sein Urteil, schließlich gibt es in jedem Land gute Köchinnen.

      »Wusstest du, dass 2016 aus Rumänien Medikamente im Wert von 575 Millionen Euro in andere europäische Länder exportiert wurden, weil sie dort viel teurer sind als in Rumänien.«

      Rüdiger spricht auch mit vollem Mund, das irritiert Martin sehr. Von der Seite sieht er zudem Marion auf das Buffet zusteuern, sie hat ihn im Visier, und in einem Anfall von Panik stellt Martin sein leeres Glas und den halb leeren Teller auf den Tisch. »Du, ich muss weg, die Zentrale hat mich angepiepst.«

      »Ich hab gar nichts gehört.«

      Marion kommt näher.

      »Ich habʼs auf Vibration gestellt. Hab heute Bereitschaftsdienst. Tut mir leid, Rüdiger, wir sehen uns …«

      »Ich ruf dich an«, ruft Rüdiger in Martins Rücken. Es klingt wie eine Drohung. Martin winkt Marion zu, die jetzt neben Rüdiger steht. Wie unterhalten sich zwei Leute, die beide ohne Pause reden? Martin wirft noch einen letzten Blick auf den Raum, alle sind gut drauf, und mit zunehmendem Alkoholkonsum werden die alten Geschichten ausgegraben. Weißt du noch …?

      Er weiß, dass er keine Lust mehr hat auf alte oder neue Geschichten. Er fühlt sich müde und verdammt alt. Freut sich auf zu Hause, da wird er noch eine Flasche Bier trinken und die Nachrichten schauen und dann zu Bett gehen. Und er freut sich auf den nächsten Tag. Das Wiedersehen mit Franz. Einer der paar, vor denen er nichts verbergen, denen er nichts vorspielen muss. Fassl und Glück, die verstehen sich mit vielen und mit wenigen Worten. Er hat Franz geduldig zugehört, als der Liebeskummer hatte. Ihn getröstet, obwohl es keinen Trost gab. Und er hat ihm zugeraten, sich auf die Stelle im Salzburger Präsidium zu bewerben. Nicht nur wegen der besseren Beförderungschancen, sondern auch, um Kilometer zwischen sich und die Frau zu bringen, für die er »zu nett« war.

      Auf dem Weg zum Küniglberg pfeift Martin ein Lied, das sie beim Maturatreffen spielten. We are the champions, my friend. Hatte Rüdiger als Begrüßungssong ausgesucht. Manchmal wünschte Martin sich schon, so ein aufgeblasenes Ego zu haben, wie ein Luftballon, auf dem in großen Lettern Rüdiger steht. Sind die glücklicher, die sich nie infrage stellen?

      Kapitel 3

      Auf der Autobahn von Wien nach Salzburg gibt es zu allen Jahreszeiten Baustellen und Staus. In einem davon steht er jetzt und beißt von einer Extrawurstsemmel ab, die er sich an der Tankstelle gekauft hat. Dreht das Autoradio lauter auf, die Nachrichten künden vom desolaten Zustand der Welt und den Nachwehen von Ibizagate in Österreich. Und dann berichtet der Sprecher vom plötzlichen Tod des Hugo Flock, Wörthersee-Milliardär und einer der reichsten Männer Österreichs, der sein Vermögen mit Immobilien, Aktien und Firmenbeteiligungen gemacht hatte. Der dreiundachtzigjährige Flock sei am Samstag während der Jedermann-Premiere in Salzburg verstorben. Man gehe von Herzversagen aus, der Leichnam sei in die Pathologie überführt worden.

      Arme Romana! Martin erinnert sich an seine pubertäre Schwärmerei für die schöne Rothaarige in der alten Villa am Wörthersee, in der er viele Sommerferien verbracht hat an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend. Romana Petuschnigg, der so viele Affären mit reichen und berühmten Männern nachgesagt wurden. Einer davon war Hugo Flock, mit dem sie befreundet blieb, auch nachdem er eine viel Jüngere, seine Krankenschwester, geheiratet hatte. Ich muss sie anrufen, denkt Martin und schämt sich jetzt, dass er ihre letzten Telefonate nicht angenommen hat. Romana telefoniert gern und vor allem lang, und darauf hat er an manchen Tagen einfach keine Lust.

      Er steht im Stau, der Zeitpunkt, sie anzurufen, wäre günstig, doch dann sieht er, dass der Akku leer ist. Er hat vergessen, sein Handy aufzuladen, das passiert ihm öfter, der Vormittag ist ziemlich hektisch gewesen. Er hat im Präsidium seinen Bericht über die Todesfälle und die Aussage des Fitnessstudio-Managers geschrieben, eilig einen kurzfristigen Urlaub beantragt und genehmigt bekommen, nachdem er seinem Chef am Telefon versprochen hat, bei der Gelegenheit die Briefkastenfirma in Salzburg unter die Lupe zu nehmen. Natürlich hätte man auch die Salzburger Kollegen darauf ansetzen können, aber die Wiener geben ihre Fälle nicht so gern aus der Hand. Seine Frau nötige ihn jedes Jahr nach Salzburg zu den Festspielen, obwohl er sich in Opern zu Tode langweile und den blöden Jedermann nun wirklich nicht mehr sehen könne, fügte sein Chef dann noch an und seufzte tief. Sei halt so eine Art Kulturdiktatur, und die Gattin eine willfährige Henkerin. Martins rechten Haken hat Gregor längst vergessen, sie spielen sogar wieder Tennis miteinander. Genau genommen war eh Larissa an allem schuld, Martins Exfrau, die die verfängliche Situation provoziert hatte, in der Martin ausgerastet war.

      Also Handystille bis Salzburg, das wird er überstehen, und dann sofort Romana anrufen, die sicher am Boden zerstört ist nach Flocks Tod. In letzter Zeit waren die beiden sich wieder nähergekommen, das hat sie Martin jedenfalls erzählt. Aber Romanas Geschichten sind immer mit Vorsicht zu genießen, das weiß er inzwischen. Sie ist eine lustvolle Lügnerin, oder zumindest neigt sie dazu, die Wahrheit zu biegen, bis sie ganz nach ihrem Gusto ist. Trotzdem mag er sie, und wenn’s drauf ankommt, so glaubt er, kann man sich auf Romana vollkommen verlassen. Und das ist mehr, als er von den meisten Menschen in seiner Umgebung behaupten würde. Ausgenommen seine Mutter, Studienfreund Robert aus Graz, Fassl natürlich … ja, und dann hört es schon auf. Die Frauen in seinem Leben waren nie lang genug an seiner Seite, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Abgesehen von Larissa, aber Ehen, die den Bach runtergehen, haben spätestens dann mit dem Gefühl von Sicherheit und Vertrauen verdammt wenig zu tun.

      Mit seiner Mutter hat Martin zuletzt telefoniert, sie erreichte ihn noch auf seinem Handy, bevor der Akku leer war. Erst kamen die üblichen Fragen, wie er sie von ihr kennt, bevor er ihr erzählte, dass er nachmittags nach Salzburg fahren und eine Woche bleiben würde. Worauf Lotte ihn fragte, ob er ihr einen Gefallen tun könne. Eine Einleitung, die Martin hasst, denn was soll man darauf schon antworten? »Kommt drauf an«, sagt er dann immer. Aber es war gar nichts Weltbewegendes, Lotte braucht nur ein Medikament zur Blutdrucksenkung, das sie in Wien nicht bekommt: Listaprin forte, es sei vergriffen, und was anderes wolle sie nicht einnehmen, weil sie genau dieses Mittel so gut vertrage. Martin könne doch in Salzburger Apotheken danach schauen …

      Martin versprach es ihr. Und auch, dass er sich melden würde. Sie wünschte ihm eine gute Reise und sagte, sie lasse Franz grüßen, der sei über den Liebeskummer doch hoffentlich hinweg. Froh könne der sein, dass die blöde Gurkn rechtzeitig verschwunden sei. Die sei ohnehin viel zu hübsch für ihn gewesen, man halte sich besser an die Gewöhnlichen mit dem hübschen Charakter. Und ganz am Schluss die altbekannten Mutterworte: »Und wie schaut’s bei dir so aus? Es wird langsam Zeit, mein Lieber, wenn du mich zur Oma machen willst!« Martin legte kommentarlos auf.

      Und jetzt singt er lauthals und falsch Live is Life mit, diesen alten Ohrwurm von Opus, und die Blechlawine, sie bewegt sich doch … Vier Stunden von Wien nach Salzburg ist ein neuer Rekord, auf den er verzichten könnte.

      ***

      Nach einigem Suchen hat er das Dreifamilienhaus in einer Seitenstraße in Maxglan gefunden. Franz öffnet sofort, als Martin klingelt. Möglich, dass der bei Fassls Anblick erschrocken aussieht: Der Freund hat wieder zugenommen, bestimmt fünf Kilo, denkt Martin, und dann umarmen sie sich, und Franz zieht Martin in die Zweizimmerwohnung mit Wohnküche, Bad und extra Toilette, sogar einen Balkon zum Garten hin gibt es, alles möbliert gemietet, nicht übermäßig elegant, dafür aber sehr gemütlich.