Eishockey. Sebastian Böhm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Böhm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783840337253
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einer anderen Welt wirken da die Spielzüge der Sowjets in den 1980er-Jahren. Dabei hatte die Sbornaja mit Sergei Makarov und Slava Fetisov Spieler, die die Scheibe problemlos über die gesamte Eisfläche tragen konnten. Wenn es sein musste, machten sie das auch genauso. Aber eher widerwillig. Gerade das Spiel des berühmten „grünen Blocks“ mit Fetisov, Alexei Kasatonov, Vladimir Krutov, Igor Larionov und Makarov war eine fein abgestimmte Symphonie, die so überhaupt nicht ins militärisch geprägte Bild der Sowjetmannschaften passte.

      „Wenn man sich heute Videos von damals ansieht, ähnelt das Spiel kaum dem Spiel, das heute in der NHL gespielt wird“, schrieb der Mittelstürmer Larionov für The Players‘ Tribune. „Es ähnelt eher der Art, wie der FC Barcelona Fußball spielt. Unsere Philosophie war Puckkontrolle, Improvisation und unablässige Bewegung. Heute geht das Spiel nur von Norden nach Süden und wieder zurück. Wir haben uns auch seitlich bewegt, wir sind über das Eis gekreist, immer auf der Suche nach offenen Räumen. Ein Pass zurück war so gut wie ein Pass nach vorne. Und dazu haben wir unseren Mitspieler gar nicht sehen müssen. Man konnte ihn riechen. Ehrlich jetzt, wir hätten auch blind spielen können.“

      Nur wird es wohl nie mehr fünf Spieler geben, die über ein Jahrzehnt mehr Zeit miteinander verbringen als mit ihren Freundinnen und Freunden, die miteinander unter Viktor Tikhonov gelitten hatten und die miteinander nur auf dem Eis Freiheit verspürt haben. Normalbegabte Blöcke lassen das Spiel auch weiterhin über einen Verteidiger aufbauen, der aus dem Schutz hinter dem eigenen Tor heraus das Spiel dirigiert, der erst links einen oder einen zweiten Spieler vorbeikreisen lässt, bevor er den Puck nach rechts zum Mittelstürmer passt – oder umgekehrt. Oder der scharf vor das eigene Tor zieht, um Gegenspieler abzuschütteln, die Scheibe dann auf sich anbietende Flügelspieler passt, die den Puck wiederum kurz auf den Mittelstürmer ablegen. So wie das die deutsche Mannschaft zu Beginn der zwölften Minute im olympischen Finale 2018 gemacht hat.

      Ausgerechnet am Stil der KHL lässt sich allerdings beobachten, wie sich das Spiel verändert hat. In der russischen Liga haben die meisten Verteidiger nur eine Aufgabe: den Puck so schnell wie möglich an die Angreifer weiterzugeben. Zumindest die drei Stürmer verlassen sich also auf einen Diener, der allenfalls den zweiten Verteidiger durch einen Pass über die Bande miteinbezieht, bevor der sich an einem langen Pass an die gegnerische blaue Linie versucht.

      Dieser sogenannte Stretch Pass hat das schnelle Spiel noch einmal beschleunigt, aber auch langweiliger gemacht. Denn selbst wenn das Zuspiel klappt, fehlt es an weiteren Optionen. Mittlerweile können auch russische Eishockeyspieler ihre Kollegen nicht mehr riechen, ganz einfach, weil sie meistens zu weit weg sind.

      1.7 19:59 SCHLAGSCHUSS

       Sinan Akdag sichert den Puck hinter dem Tor, passt nach links hinaus auf Yasin Ehliz. Der Außenstürmer braucht den Bruchteil einer Sekunde zu lange, um die Scheibe anzunehmen, sein Versuch, sie an seinem Gegenspieler vorbeizulegen, scheitert. Pavel Datsyuk klaut den Puck, legt ihn durch zwei Deutsche ab auf Nikita Gusev. Aber auch den Russen scheint keine überlegte Aktion mehr zu gelingen, die Zeit läuft ab.

       Dann sichert aber Kirill Kaprizov den Puck noch einmal hinter dem Tor, den klammernden Ehliz schüttelt er ab, spielt auf Gusev, der dreht sich und bringt 2,9 Sekunden vor dem Ende des ersten Drittels Vyacheslav Voynov ins Spiel. Der Verteidiger zieht auf – noch 1,2 Sekunden – und trifft aus zentraler Position perfekt gegen die Rutschrichtung von Torhüter Danny aus den Birken links halbhoch ins Tor. 0:1. Die Uhr bleibt bei 0,5 Sekunden stehen.

      Al Pacino wollte die Rolle. Al Pacino konnte aber nicht Schlittschuh laufen. Und an anderen Qualitäten war George Roy Hill nicht interessiert. Paul Newman konnte Schlittschuh laufen, also bekam er die Rolle. Eigentlich aber war es dem Regisseur einerlei, wer die Rolle von Reggie Dunlop übernahm. Die Figur war so stark, jeder hätte sie spielen können. Er musste nur Schlittschuh laufen können. Tatsächlich ist Newman nicht der Grund, warum der 123-Minüter über die Charlestown Chiefs als einer der besten Sportfilme gilt, als bester Eishockeyfilm sowieso (auch wenn die Konkurrenz im Fiktionalen nicht allzu groß ist) und als der Film, der so sehr 1970er-Jahre ist, wie kaum ein anderer.

      Die drei Figuren, an die man sich immer erinnern wird, trugen dicke Hornbrillen und alle den Namen Hanson auf ihren Trikots, ihre Sprüche können Generationen von Eishockeyfans auf der ganzen Welt herunterbeten wie andere das Vater Unser. In einem Film über Eishockey, ein bisschen Sex, ein bisschen Gesellschaftskritik, den häufigen Gebrauch des Four-Letter-Words (nein, nicht „Love“) und sehr viel Gewalt waren die Hanson Brothers die Stars (dass zwei der drei Darsteller tatsächlich miteinander verwandt waren, allerdings Carlson hießen, soll hier der Vollständigkeit halber erwähnt werden).

      Um den Schlagschuss, dieses immer wiederkehrende Element eines jeden Eishockeyspiels, ging es allenfalls am Rande. Ganz erstaunlich für einen Film, der Slap Shot heißt.

      Mit dem Schlagschuss werden im Eishockey die meisten Tore erzielt, so stellt man sich das vor, wenn man nie ein Eishockeyspiel sieht. Brachial, schnell, unwiderstehlich – so sieht es aus, wenn ein Eishockeyriese seinen Schläger nach hinten schwingt, voll durchzieht und den Puck unter die Latte schweißt. Aber der Schlagschuss ist eine bedrohte Art. Das Spiel ist zu schnell für ihn geworden.

      Vor allem aber passt der Schlagschuss nicht mehr zur Spielweise von Elias Petterson, Johnny Gaudreau oder Connor McDavid, die ihr Spiel über Schnelligkeit definieren und über schnelle Entscheidungen. Und er passt auch nicht mehr zu den jungen Verteidigern, die aufgrund ihrer Größe und ihres Gewichts lange Jahre noch nicht einmal die Chance bekommen hätten, sich auf höchstem Niveau auszuzeichnen, die das Spiel mittlerweile aber noch einmal von hinten heraus beschleunigen dürfen.

      Der Finne Patrik Laine, noch ein Vertreter der neuen Weltklasse, hat den Schlagschuss noch in seinem Repertoire. Bekannt aber ist er für die Schnelligkeit seines Abzugs – einerlei, in welcher Situation, gleichgültig, wie viel Zeit und Platz er dafür hat. „Seine Schüsse sind Kunst“, sagte Sami Salo, selbst als brachialer Schütze bekannt. „Es spielt keine Rolle, ob der Pass aus einem schlechten Winkel kommt oder nicht ganz präzise ist, er lässt immer den perfekten Schuss folgen.“

      Noch vor ein paar Jahren blieben weltweit Spieler nach dem Training auf dem Eis, um sich gegenseitig Schlagschüsse aufzulegen. Mittlerweile spielen sie sich die Pucks extra schlecht zu, um zu lernen, mit dieser im Spiel viel häufiger vorkommenden Situation umzugehen. In der National Hockey League sinkt der Anteil von Schlagschüssen kontinuierlich. Lediglich jeder fünfte Schuss erfüllt die Kriterien eines ordentlichen Schlagschusses. Und nur noch Mannschaften mit herausragenden Spezialisten in ihren Reihen setzen auf die brachialste Form des Abschlusses. Außerdem wird sich im Eishockey kein Trainer finden, der es wagt, Alexander Ovechkin den Schlagschuss zu verbieten.

      Wie der ordentlichen Schlägerei mit bloßen Fäusten zwischen zwei blutenden Männern und dem rückenmarkerschütternden Check wird auch dem Schlagschuss hinterhergeweint. „Den Schlagschuss umgibt eine herrliche Romantik“, sagte Dave Poulin, ein Ex-Profi, der es zwischenzeitlich in die Chefetage der Toronto Maple Leafs geschafft hatte. „Wir haben einen Jungen in der Mannschaft, Phil Kessel, der in Sachen Timing und Abzug einen der besten Handgelenkschüsse überhaupt hat. Aber wenn er vor der Wahl steht, den Handgelenkschuss zu nehmen oder es vom Rand des Bullykreises krachen zu lassen, dann wird er sich immer für den direkt abgenommenen Schlagschuss entscheiden.“ Und dann gibt es noch die Schlagschüsse, von denen selbst die Schützen wissen, dass sie nicht im Netz einschlagen werden – zumindest nicht direkt.

      Jeder Schuss aufs Tor ist ein guter Schuss, selbst wenn er gar nicht beim Torhüter ankommt. Es gibt Powerplays, die werden von außen als einfallslos wahrgenommen – Puck an die blaue Linie, Direktabnahme, Verteidiger blockt den Schuss, Puck also wieder an die blaue Linie, Direktabnahme, wieder blockt der Verteidiger den Schuss. Schüsse zu blocken, kann sehr wehtun und schlimme Folgen haben (Greg Campbell, Jörg Mayr und unzählige weitere furchtlose Unterzahlspezialisten, die sich dabei schwere Verletzungen zugezogen haben, können davon immerhin auf jeder Party berichten).

      Vielleicht noch nicht beim ersten oder zweiten