DEIN SEIN, GUT SEIN, ICH SEIN, SEIN. Hazel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hazel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741756
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es ihr einfiel, räumte unsere Mutter nachts unsere Kleiderschränke aus. Wir mussten dann alles neu einsortieren, und zwar so lange, bis sie absolut zufrieden war.

      *

      6

      Unser Vater hielt es oft nicht für nötig heimzukommen. Und irgendwann geschah es. Wir wurden aus dem Schlaf gerissen, es folgten Schreie und lautes Hin- und Hergelaufe, immer wieder an meinem Bett vorbei. Schließlich kam meine Mutter mit einem großen Topf kochendem Wasser und schüttete dieses über meinen Vater ins Bett.

      Warum? Er war nach Hause gekommen, übersät mit Knutschflecken und anderem!

      Meine Oma stand oben im Flur und schrie. Sie rief uns zu sich, aber meine Schwester konnte sich nicht bewegen, ich musste lange auf sie einreden, bis sie mit mir kam.

      Oma war mit unserer Mutter und meinem Onkel aus ihrem Zuhause im Sudetenland vertrieben worden. Unser Opa war in Gefangenschaft bei den Russen gewesen. Er schlief in einer eigenen Kammer, weil er es so wollte. Mein Opa war geprägt von dieser Zeit. Er konnte nur arbeiten für seine Familie und sagte nie viel zu uns, doch wenn er was sagte, war es für alle im Haus Gesetz. Ich denke, er hat im Krieg seine Seele verloren. Er konnte es nicht zeigen, aber ich fühlte mich geliebt von ihm.

      In jener Nacht kam er aus seiner Kammer und ich fühlte mich gemeinsam mit meiner Schwester bei unseren Großeltern sicher.

      Ein weiteres Mal kam er nachts aus seiner Kammer und da wurde es für meine Mutter sehr schmerzhaft. Mein Vater war unterwegs, er fuhr Taxi und ich wusste, er würde mir aus Polen Lutscher mit Blumen darauf mitbringen.

      Außerdem wartete ich auf seine Frage, ob es mir gut gehe. Im Klartext: „Ist es zum Aushalten?“

      Die Antwort war stets: „Natürlich“, denn ich wollte ihm keine Sorgen machen.

      An jenem Abend hörte ich eine Männerstimme aus dem Wohnzimmer und meinte zu meiner Schwester: „Das ist aber nicht Papa!“

      „Na und?“, war ihre Antwort.

      „Ich will das nicht“, rief ich, nahm allen Mut zusammen und ging hinaus.

      Als meine Mutter mich entdeckte, forderte sie: „Scher dich bloß fort in dein Bett oder noch besser in das Bett deines Vaters!“

      Das war meine Strafe für ein Fehlverhalten. Das Bett meines Vaters roch nach Zigaretten, Benzin, Schweiß und Mann. Es war wirklich unangenehm, nein, vielmehr war es die Höchststrafe für mich.

      „Ich will nicht, dass der Mann hier ist, er soll weggehen.“ Ich ahnte, dass dies der Mann war, bei dem sie so glücklich war. Sein Gesicht kannte ich, er besaß Ponys, von denen mir eines mal auf dem Fuß gestanden war, während die beiden sich hinter einem Busch geküsst hatten.

      Ich musste wohl gehorchen, aber schlafen konnte ich nicht. Als die Tür ging, wusste ich sofort, dass Papa nach Hause kam. Prompt begannen alle, wild herumzuschreien, während ich versuchte, mit meiner Schwester durch den Flur an ihnen vorbeizukommen. Es ging nicht, weil Papa wütend auf den anderen Mann einschlug und ihn zur Eingangstür hinausprügelte.

      Opa war inzwischen zum zweiten Mal aus seiner Kammer gekommen und schlug unsere Mutter zusammen. Meine Schwester riss sich los und wollte ihre Mama retten. Sie schrie so furchtbar laut.

      Ich stürzte eine Treppe tiefer und sperrte mich in der Toilette ein. Aus all meinen Körperöffnungen entleerte ich mich. Dann weiß ich nichts mehr, bis mein Vater klopfte und sagte: „Es ist gut, komm doch raus!“

      Tage- beziehungsweise wochenlang trug meine Mutter eine Brille, ihr Gesicht war nicht wiederzuerkennen.

      Ich musste anschließend an diese Szene die Erfahrung machen: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe! Aus meiner heutigen Sicht weiß ich, bei Mama und diesem Mann war es die große Liebe. Später haben sie sogar geheiratet und noch später waren sie wieder geschieden. Selbst heute können sie nicht voneinander lassen, 50 Jahre später!

      Sie wollte immer vorbildlich und angepasst sein, ebenso wie ihre Eltern in ihrer neuen Heimat.

      Nur für wen? Status, Geld, Urlaub, Haus oder Auto? Ja, das besaßen wir alles. Meine Freundinnen beneideten mich um meine tollen Klamotten. Immer das Neueste und Schönste! Für wen?

      Ich begann, meine Hosen zu zerschneiden und die viel zu großen Hemden meines Vaters zu tragen. Meine Freundinnen freuten sich darüber, denn sie zogen von da an meine Sachen an. Natürlich flog es auf und wir wurden bestraft. Hausarrest für mich, Hausverbot für meine Freundinnen. Manchmal wurde zwei oder drei Tage gar nicht mit mir geredet. Gut für meine Schwester, denn dann hatte sie ihre Mama ganz für sich. Sie nähten gemeinsam Sachen und standen vor dem Spiegel.

      *

      7

      Nach der Achten, ich war 14 Jahre alt, wurde unsere Klasse aufgelöst und die Entscheidung ‒ Sportschule oder eine normale Klasse ‒ war angesagt. Ich hatte ohnehin schon genug vom System und ich glaubte, mich keinem Drill und keinen Wettkämpfen mehr unterwerfen zu wollen.

      An jedem Montagnachmittag lief das Schulfernsehen und ich legte großen Wert darauf, dies nicht zu verpassen. Die Aussichten, an ein Buch oder sonstige Medien zu gelangen, waren sowieso sehr begrenzt. Kabale und Liebe, Nackt unter Wölfen, Das Tagebuch der Anne Frank und Der Untertan wurden gezeigt.

      Meine Literaturmappen wurden öfter mal in unserer Schulaula ausgestellt und ich war sehr stolz darauf. Doch damit blieb ich alleine, da es sonst keinen in meinem Umfeld interessierte.

      Wenn Mama nachmittags um etwa 15 Uhr von der Arbeit kam, hatte ich den Haushalt bereits fertig gemacht und war beim Bäcker gewesen. Das hieß manchmal auch, eine Stunde umsonst anzustehen. Ich deckte den Tisch für uns und versuchte so, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Darauf allein konnte ich mich aber nicht verlassen, deshalb schaute ich, kurz bevor sie eintreffen sollte, immer aus dem Fenster und konnte schon an ihrem Gang und Blick erkennen, wie ich mich zu verhalten hatte. Meine Schwester hingegen hatte andere Methoden, mit unserer Mutter umzugehen.

      Ich fand in meiner neuen Klasse eine Freundin, die schon Erfahrungen mit Jungs hatte und in die Disco ging. Irgendwann schlug meine Mutter vor, ich solle mal mit ihr mitgehen. Sie wolle mich nicht als Jungfrau zu Hause behalten. Also wurde mein Gesicht geschminkt und sogar die Augenwimpern mit einer Wimpernzange umgebogen, was furchtbar war. Hübsch angezogen wurde ich außerdem.

      Ich habe geweint, weil ich das alles nicht wollte, aber es half nichts. Es war einfach grauenvoll für mich. Meine Schwester musste ich mitnehmen und darauf achten, dass wir pünktlich wieder zu Hause waren. Mir war regelrecht übel.

      Meine Freundin zeigte mir die Jungs, unter anderem einen, der äußerst begehrt war. Er wurde mein Verlobter und meine Freundin wurde neidisch. Ständig kam die Frage: „Na, hattet ihr schon Sex?“

      *

      8

      Es begann für mich die Zeit, da sich eine andere Zimmertür öffnete. Keine Ahnung, einen Namen bekommt dieses Zimmer nicht von mir ... Doch! Ich nenne es Fremdenzimmer.

      Noch heute trage ich dieses Fremdenzimmer in mir und spüre, dass es sich in meinem Haus befindet. Ich kann von außen nicht hinein und bin gleichzeitig von innen eingesperrt. Ich sitze fest mit Jungen und Mädchen, mit meiner Periode, mit fremden Lippen und dem anderen Geschlecht, das sogar seine Größe verändern kann. Und mit Aussagen wie: „Wenn du nicht mitmachst, suche ich mir eine andere!“

      „Genau wie bei meinen Eltern“, dachte ich stets im Stillen. Es war mir so zuwider!

      Irgendwann einmal schlief ich bei meiner Freundin und meiner Idee davon, was sie alle suchten, sollte ich dadurch einen Schritt näher kommen. Wir erkundeten unsere Körper, es war sehr erstaunlich