»Ich habe es ihn wissen lassen. Darüber hat er sich bestimmt nicht aufgeregt. Er sagte, es sei gut, daß Nick käme. Er war deprimiert, aber ich glaube, daß Karin ihn aufgeregt hat. Mario sagte etwas von einem Peter, über den sie gesprochen hätten. Jedenfalls wird Nick bei seiner Heimkehr ein Chaos vorfinden. Damals wurde ihm keine Chance gegeben, sich irgendwie zu bewähren, jetzt wird er hier kaum noch Gelegenheit dazu haben. Ich fürchte, er wird nicht lange bleiben.«
»Sehen Sie jetzt nicht zu schwarz, Frau Hanson. Sie haben soviel überstanden, jetzt lassen Sie bitte den Mut nicht sinken.«
»Ich bin dankbar, daß ich mit Ihnen sprechen konnte. Es ist nicht einfach, wenn man niemanden hat, dem man vertrauen kann. In meinem Haus fühle ich mich fremd, es ist ja auch nicht mehr mein Haus.«
»Ich dachte, Sie fühlen sich wohl im Grund.«
»Das tue ich, aber ich vermisse doch viel, und die Leute dort haben alle große Familien, sind fröhlich beisammen, da kommt man sich erst recht einsam vor.« Ihr Blick schweifte zum Fenster hinaus, und ihre Augen waren feucht geworden.
»Sie sind doch noch so fit, Frau Hanson«, stellte Daniel fest.
»Aber den ganzen Tag mag ich auch nicht mehr herumlaufen und in die Berge gehen. Aber lassen wir das, ich stehle Ihnen nur kostbare Zeit.«
»Ich freue mich, daß Sie mal wieder den Weg zu mir gefunden haben.«
»Manchmal denke ich, wenn ich krank werde, wer sich dann wohl um mich kümmern würde.«
»Warum nehmen Sie sich denn nicht ein junges Mädchen ins Haus?«
»Wer will denn schon so einsam leben, wenn man jung ist? Ich verstehe es ja, daß sie das Leben genießen wollen. Die jungen Leute zieht es doch mehr in die Stadt. So, jetzt habe ich genug gejammert. Ich fahre zur Klinik und schaue nach Torsten, und dann kümmere ich mich um meinen Enkel. Karin paßt es zwar nicht, daß ich in der Stadt bleibe, aber das soll mir egal sein.«
»So ist es recht. Kopf hoch, Frau Hanson, freuen Sie sich auf Nick. Ich freue mich auch, wenn ich ihn wiedersehe.«
Es sah fast so aus, als wolle Roberta ihn umarmen. »Sie sind ein so lieber Mensch, Dr. Norden«, sagte sie mit soviel Wärme, daß er ein wohliges Gefühl dabei bekam.
*
Roberta Hanson mußte sich nach zwei Umleitungen erst auf den richtigen Weg zum Klinikum finden, und als sie endlich einen Parkplatz fand, der schon überfrequentiert war, entdeckte sie Karin, die auf einen Mann zuging, der auf sie wartete. Roberta konnte nicht hören, was sie sagte, aber die Umarmung und der Kuß sagten ihr genug. Ganz spontan faßte sie den Entschluß, den beiden nicht aus dem Weg zu gehen. Es bereitete ihr sogar eine Genugtuung zu erleben, wie Karin erschrak und entsetzt ihre Schwiegermutter ansah.
»Weiterhin viel Spaß«, sagte Roberta spöttisch und ging weiter.
Karin schnappte nach Luft.
»Das war meine Schwiegermutter«, stammelte sie. »Ausgerechnet jetzt muß sie kommen, das ist fatal.«
»Ich denke, Torsten wird sowieso sterben«, sagte Peter Porter zynisch.
»Aber er lebt noch. Weiß der Teufel, was ihr jetzt einfallen wird, um mich auszuschalten.«
»Was kann sie denn schon tun? Dir steht dein Erbe zu, daran ist nicht zu rütteln. Laß uns von hier verschwinden. Ich mag Krankenhäuser nicht.«
»Denkst du, mir gefallen sie? Und wie Torsten aussah, einfach schrecklich. Aber sein Arzt ist ein flotter Typ.«
»Wenn du meinst, du kannst mich eifersüchtig machen, irrst du dich. Wenn du abspringst, warten schon ein paar andere.«
Karin kniff die Augen zusammen. »Wenn du dich weiterhin so benimmst, kannst du dich anderweitig umschauen. Mir macht es nichts aus. Ich brauche nur mit den Fingern zu schnippen.«
Das war typisch für sie, charakterlos und ohne jedes Gefühl und kalt funkelten auch ihre Augen. Aber Peter Porter war aus dem gleichen Holz, er verstand es nur noch besser als sie, seine Vorteile zu nützen.
Roberta empfand bei aller Verachtung für Karin jetzt doch eine gewisse Genugtuung. Sie hatte jetzt den deutlichen Beweis, daß Karin Torsten betrog.
Wenn sie auch so manches Mal gedacht hatte, daß er es nicht anders verdiene, empfand sie jetzt doch Mitleid mit ihm. Ihr kamen die Tränen, als sie ihn so verfallen und dem Tode näher als dem Leben sah. Er hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem Torsten, den sie kannte.
Dr. Hausmann hatte sie begrüßt, und mit ihm konnte sie dann einige Minuten reden.
»Meine Schwiegertochter war wohl auch gerade hier? Haben Sie mit ihr gesprochen?« fragte sie.
»Wenig, sie hat sich nicht lange aufgehalten. Manche Menschen ertragen die Krankenzimmeratmosphäre nicht.«
»Sie hat andere Interessen«, sagte Roberta kühl. »Aber sie weiß doch sicher, wie schlecht es um Torsten steht?«
»Das mußte ich ihr sagen.«
»Es besteht wohl keinerlei Hoffnung auf eine Besserung?«
»Das geschieht immer wieder mal, aber in seinem Fall würde er behindert bleiben. Eigentlich erhalten ihn nur die Geräte am Leben. Aber solange das Herz schlägt, werden sie nicht abgeschaltet.«
»Wenn sie aber abgeschaltet werden, wird das Herz doch aufhören zu schlagen?«
»Ihr Sohn hat darüber keine Verfügung getroffen.«
»Er ist achtunddreißig und hat bestimmt nicht daran gedacht, daß ihm so etwas passieren würde.«
»Aber ein Testament hat er doch sicher gemacht?«
»Das weiß ich nicht, es wäre auch überflüssig, da mein Mann schon seine Verfügungen für die nächste Generation getroffen hat und das ist gut so. Vielleicht ist doch noch wenigstens etwas zu retten.«
»Er hatte also geschäftliche Sorgen? Das könnte ein Grund für den Schlaganfall sein.«
»Immerhin kann er niemand anderen verantwortlich machen für das Dilemma, zu dem sicher seine Frau einiges beigetragen hat. Entschuldigung, ich wollte das nicht sagen.«
»Aber es bewegt Sie, und Sie sollten Ihre Sorgen nicht einfach nur herunterschlucken.«
»Ich hätte mich früher kümmern sollen«, sagte Roberta leise. »Jetzt sind Selbstvorwürfe nicht angebracht.«
Dr. Hausmann machte sich seine Gedanken, weil er Karin und Roberta Hanson nicht in Einklang bringen konnte. Er hatte ja erlebt, wie unverfroren Karin mit ihm zu flirten versuchte und für ihren Mann nicht das geringste Gefühl zeigte.
Er kannte solche Frauen, die begegneten ihm öfter im Krankenzimmer. Jedesmal dachte er, daß solche Frauen leben durften, während seine Rena so früh sterben mußte. Das Schicksal war oft so ungerecht.
Roberta Hanson litt, wenn sie es auch nicht zeigen wollte. Als sie ging, begleitete er sie hinaus. Es tat ihm auch gut, mal frische Luft zu atmen.
»Wie lange wird Torsten noch leben?« fragte sie leise.
»Das kann ich nicht sagen. Vielleicht ein paar Tage, vielleicht nur noch Stunden. Er muß aber nicht leiden.«
»Vielleicht hätte es ihn verändert, wenn er gelernt hätte, Schmerzen zu erdulden«, sagte sie tonlos. »Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis, Herr Doktor.«
Dr. Hausmann ging zurück an die Arbeit. Er hatte einen schweren Tag. Torsten Hanson war nicht der einzige Patient, dessen Leben zu Ende ging.
*
Als Nick Hanson das Flugzeug verließ und den anderen Passagieren durch lange Gänge folgte, war es ihm direkt ein bißchen unheimlich zumute, denn alles war ihm fremd. Das war nicht der alte Flughafen, von dem aus er seine Reise ins Ungewisse angetreten hatte. Er kam sich fast verloren vor