Es war Donnerstag, der dreizehnte April, als die Familie Norden beim Abendessen am großen runden Tisch saß. Es gab Hühnerfrikassee auf Reis, und eigentlich mochten das alle ganz gern, nur Anneka gab sich mitleidvollen Gedanken über die armen Hühnchen hin.
»Sie müssen viele Eier legen, weil bald Ostern ist«, meinte sie wehmütig. »Und dann dürfen sie sich nicht mal freuen, wenn sie bunt gefärbt werden.«
Felix wollte solche Betrachtungen nicht noch vertiefen. »In einer Woche ist Gründonnerstag, da gibt es wieder Spinat und Ei«, erklärte er. »Kann es nicht mal was anderes geben?«
»Mit dem Blubb?« meinte Jan. »Schmeckt doch gut.«
Diesbezüglich waren die Meinungen allerdings geteilt, und auch Daniel sagte, daß man sich mal was anderes einfallen lassen könnte.
»Warum muß da denn immer was Grünes dabei sein?« fragte Danny.
»Weil Gründonnerstag ist«, meinte Anneka.
»Und warum heißt es Gründonnerstag?« fragte Felix. »Kann das mal einer genau erklären?«
Fee seufzte. »Weil man eben am letzten Tag der Fastenzeit etwas Grünes essen soll«, sagte sie.
»Weil es der Tag der Büßer ist«, trumpfte Danny auf, »und weil die durch ihre Buße wieder zu grünen Zweigen der Kirche werden. Aber daß wir was Grünes essen sollen, verstehe ich auch nicht.«
»Danny ist so wahnsinnig schlau«, sagte Anneka andächtig.
»Wir haben heute in der Schule davon gesprochen. Ich bin aber genauso froh wie ihr, daß wir bald Ferien haben.«
»Da fällt mir ein, was Felix damals zur Fastenzeit gesagt hat, als er das erste Jahr in der Schule war. Weißt du das auch noch, Felix?«
»Nö, begeistert war ich da auch schon nicht von der Schule.«
»So war es«, sagte Fee. »Und als die Lehrerin euch danach fragte, worauf ihr in der Fastenzeit verzichten wollt, erklärte unser lieber Felix: Auf die Schule.«
»Na und, ich war immer ehrlich«, gab Felix zu. »Ihr könnt ruhig lachen.«
Die Zwillinge kicherten ein bißchen, weil sie im Grunde gar nicht verstanden, worum es eigentlich ging.
Das Telefon läutete, und diese Unterbrechung wollte ihnen nicht gefallen.
»Sicher wieder ein Notfall«, nörgelte Felix.
So war es auch. Dr. Norden wurde dringend zu Torsten Hanson gerufen.
»Er ist plötzlich zusammengebrochen«, erklärte er, als Fee ihn fragend anblickte.
»Zuviel Streß, zu fettes Essen und zuviel Alkohol«, sagte sie, als sie ihn zur Tür begleitete. »Hattest du ihn nicht gewarnt?«
»Mehr als einmal, aber wer richtet sich schon danach. Ist er eigentlich schon vierzig?«
»Ich glaube nicht, aber die Frau hat ihn bestimmt auch ein paar Jahre gekostet.«
»Du kannst ganz schön spitz sein«, lächelte er und küßte sie schnell auf die Nasenspitze, »aber du hast wie immer recht.«
»Ich hänge niemand etwas Falsches an«, erwiderte Fee verschmitzt.
Daß es ein falscher Alarm war, wie bei so manchen anderen, glaubte sie nicht. Karin Hanson war viel zu egoistisch und herzlos, um übermäßig um ihren Mann besorgt zu sein.
Die Kinder diskutierten über Ostern und was da wohl für Wetter sein könnte.
»Es wäre blöd, wenn es wieder schneit oder regnet und wir im Haus Eier suchen müssen«, meinte Felix.
»Osterhasi kann doch nicht Treppen steigen«, sagte Dési. »Hat kurze Beinchen.«
»Will mal sehen, wie er Eier versteckt«, wünschte sich Jan.
Es war jedenfalls ein Thema, das zu Überlegungen herausforderte, und inzwischen war Dr. Norden bei den Hansons angekommen.
Es war eine jener alten, vornehmen Villen aus der Gründerzeit, die stilvoll renoviert worden und ein wahres Schmuckstück war zwischen den supermodernen Neubauten, die dagegen kalt und unpersönlich wirkten. Karin Hanson hätte allerdings lieber in einem jener Bungalows gewohnt, und dort hätte sie auch in ihrer gestylten Ausdruckslosigkeit besser hineingepaßt. Sie wirkte wie eine Schaufensterpuppe, die man mit teuren Sachen behängt hatte.
»Ich weiß nicht, was mit Torsten los ist, er ist einfach umgefallen und so liegt er immer noch. Sie werden schon wissen, was zu tun ist, Herr Doktor.«
Es war gut, daß sie nicht erraten konnte, was Daniel Norden über sie dachte, es war jedenfalls nicht schmeichelhaft. Als er Torsten Hanson auf dem Teppich liegen sah, hätte er es am liebsten doch ausgesprochen.
»Sie hätten lieber gleich die Ambulanz rufen sollen«, sagte er mit deutlichem Vorwurf, den sie aber anscheinend gar nicht begriff.
»Ich habe doch Sie angerufen«, sagte sie mit einem törichten Augenaufschlag.
Bevor er den bewußtlosen Mann berührte, rief er den Krankenwagen herbei, dann auch gleich die Notaufnahme des Klinikums.
»Ja, was ist denn überhaupt?« echauffierte sich Karin Hanson, »er kann doch nicht so einfach umfallen. Wir hatten gerade noch geredet.«
»Hat er sich aufgeregt? Es liegt eine Apoplexie vor.«
Er gebrauchte bewußt die lateinische Bezeichnung, um Fragen herauszufordern, aber sie fragte nichts, sie sah ihn nur wieder mit einem törichten Ausdruck an. »Was werden Sie tun?« fragte sie nur nach längerem Überlegen.
»Ihn in die Klinik bringen lassen. Hier kann ich gar nichts für ihn tun.«
»Warum wacht er nicht auf?«
»Weil er bewußtlos ist, und mehr als diese Injektion kann ich ihm nicht verabreichen. Ihr Mann ist gelähmt.«
Jetzt bekam ihr Gesicht einen schreckenstarren Ausdruck. »Gelähmt«, wiederholte sie zitternd, »o mein Gott, womit habe ich das verdient? Ich kann doch nichts dafür, wenn er geschäftliche Schwierigkeiten hat, das hängt bestimmt mit der Rückkehr seines Bruders zusammen.«
Daniel Norden horchte auf. Er äußerte sich nicht zu der Bemerkung, aber sie stimmte ihn sehr nachdenklich, denn es lag schon Jahre zurück, daß Albert Hanson noch einen zweiten Sohn hatte, der auch nicht nach dem Tode des Vaters zurückkehrt war. Sollte Nicolas Hanson jetzt tatsächlich den Weg zurückfinden, oder war das nur eine Vermutung dieser geistlosen Frau? Jedenfalls befand sich Torsten Hanson, gerade achtunddreißig Jahre alt, in einem desolaten, lebensbedrohenden Zustand.
Die Ambulanz kam. Vorsichtig wurde er auf die Trage gelegt. »Zum Klinikum, die Notaufnahme ist verständigt«, sagte Dr. Norden.
»Und was soll ich tun?« fragte Karin Hanson.
»Das müssen Sie selbst wissen«, erwiderte Dr. Norden kühl. »Die meisten Frauen begleiten in solchen Fällen ihren Mann.«
»Dem bin ich nicht gewachsen«, jammerte sie. »Ich muß wohl auch meiner Schwiegermutter Bescheid sagen. Helfen kann ich ja doch nicht.«
Sie sank stöhnend in einen Sessel.
Dr. Norden ging. Es wäre jedoch interessant für ihn gewesen zu hören, daß sie nicht etwa ihre Schwiegermutter anrief, sondern einen gewissen Peter Porter.
»Torsten ist zusammengebrochen, er ist gelähmt«, sagte sie gedämpft. »Er hat sich aufgeregt wegen des Anrufes. Ich glaube, er hat uns bespitzelt. Ich muß jetzt aufpassen, daß ich keinen Ärger bekomme, falls er mit jemand darüber gesprochen hat. Es ist besser, wenn wir uns in der nächsten Zeit nicht sehen.«
Was sie als Antwort bekam, befriedigte sie nicht. Gereizt legte sie den Hörer auf und überlegte.
*
Daniel Norden rief vom Auto aus zu Hause an und sagte Fee Bescheid, daß er zum Klinikum fahren würde. Gewissenhaft und verantwortungsbewußt wie er war, wollte er sich doch vergewissern, von wem Torsten Hanson untersucht werden würde. Er wußte,