Ich habe nun auch das Fieber bekommen. Dieser Satz ist richtig, meine jetzige Lage beschreibt er aber bei näherer Betrachtung nur unvollkommen. Vielmehr hat mich das Fieber ganz durchdrungen, mich unheilbar verändert. Ich bin nach und nach das Fieber geworden. Es hat sich dabei verschoben und verändert. Es hat mich auf kleinster Ebene Teilchen für Teilchen ausgetauscht. Ich bin das neue Fieber. Ich lege die Landkarte, die auf dem Schreibtisch ausgebreitet war, zusammen, versuche einigermaßen vergeblich die ursprünglichen Faltungen einzuhalten. Die Momente des Aufbruchs bei der Abreise waren wie immer hektisch und von Zeitknappheit bestimmt. Diesmal war es gar ein fünffingriger Würgegriff, der mir alles erschwerte. Einatmen, ausatmen, nichts vergessen, einatmen, ausatmen, alles vergessen. Es muss sich endlich etwas ändern, ich sterbe sonst tatsächlich.
Die Hand an das grobe Mauerwerk gepresst, fühle ich den Puls der Stadt, die unter dem Mauerwerk verlaufenden Leitungen. Etwas schläft unter dieser langsam abbröckelnden Haut. Sie hat längst verstanden, was für einen Wert das hat, aber sie will ihre Wahrheiten nicht mit mir teilen. Sie zieht es vielmehr vor, mich in den unmöglichsten Momenten mit den immer gleichen – und irgendwie auch immer gleich berechtigt klingenden – Vorwürfen zu konfrontieren. Die Mauer ist so kühl wie mein Gemüt. Da ist eine Stimme, die im Verputz der Dinge steckt, doch noch hat sich ihre Frequenz mir nicht erschlossen. Vielleicht wird hier ja auch von einer Wahrheit gesprochen, für die ich mich taub stellen muss. Das bedrohlich anmutende Geräusch, das zu hören ist, wenn man eine lange getragene Maske anzieht. Ein unfreundliches Schmatzen, Puder rieselt auf meine Schultern. Mein Gesicht ist gerötet. Für einen Moment fürchte ich, dass sich Teile meiner Haut ebenfalls abgelöst haben und die nächste, darunterliegende Maskierung zu sehen ist. Das Wunder der Fälschung liegt nicht so sehr im Vermeiden der Verluste begründet, sondern im Aufbieten unvermuteter Reserven.
Sie zündelt gerne, sie ist eine Pyromanin. Ihre Begeisterung dafür, auch mich in Brand zu stecken, mich bis zum Grund ausbrennen zu lassen, wird nur von dem sonderbaren Wunsch überflügelt, das All abzufackeln. Die Häuser, an denen sie sich zu schaffen gemacht hat, beginnen sie bereits zu langweilen. Lieber möchte sie den Sternen beim Verlöschen und Verglühen zusehen, nur um es beobachtet zu haben, nur um dabei gewesen zu sein, in diesem Moment, als die Finsternis begann. Sie möchte das All in Brand stecken, nicht zuletzt auch, um schließlich mit den Gesten einer selbstbewussten Siegerin verkünden zu können, dass sie, ganz wie sie es immer angenommen hatte, Recht behalten hatte. Es sei immer schon alles so gewesen, wie sie es von Beginn an vermutet habe. Bei all dem, diesen bitteren Verkündigungen, wirkt sie nicht wirklich bösartig, bloß etwas unbeholfen. Alle ihre Freunde lieben sie, eben weil sie immer unter Verdacht steht und man ihr aber doch nie etwas hat nachweisen können. Jeder von ihnen wird immer wieder versuchen, sie zu küssen, sich von ihr verführen zu lassen. Was wollen wir in dieser Stadt, in der immer früher Abend ist? Das stumpfe Licht fällt auf die Bilder an der Wand, die, wie selbst eine flüchtige Überprüfung ergeben muss, keine Originale sind. Sie wurden, so legt es die Staubschicht auf der Oberseite der Rahmen nahe, schon vor längerer Zeit ausgetauscht. Selbst hier finden wir also nur gefälschte Bilder, Reproduktionen, die aus billig hergestellten Katalogen herausgelöst wurden. Eine noch nicht fertig ausformulierte Antwort auf die Frage, welchen Eindruck ihr furchtbares Verhalten langfristig auf mich haben wird, tritt hinter die Notwendigkeit zurück, eine Antwort auf die Frage danach zu finden, ob ich all das nicht auch tatsächlich verdient habe. Was ist eigentlich mit Dir los? Sie verlangt mit einer gewissen Berechtigung nach einer Auskunft, die ich ihr weniger geben kann denn geben will. Man muss sich mit der Rolle des Gespenstes erst abfinden, bevor man sich mit ihr anfreunden kann.
Der Spiegel ist ganz still, seit Du weg bist. Keine Prophezeiungen, keine Nachrichten, nichts außer die unerfreuliche Verdoppelung meiner entgleisten Züge, meiner hilflos anmutenden Gesten. Ganz wie es meiner jetzigen Natur entspricht, wirke ich blass, durchscheinend. Ich halte die gemachten Notizen ins Licht, doch die Schrift wird nicht deutlicher, keine heimlich angebrachten Zeichen werden sichtbar. Was da steht, macht keinen Sinn, aber es verlangt doch nach einer Erwiderung, einem nächsten Spielzug.
Schließlich flechte ich in den mühsam abgepausten Klassiker kleine Wortbrocken, Fragmente einer Fremdsprache, die uns zumindest in Teilen geläufig ist. Farben, Nummern und Satzzeichen fügen sich, schreibend wie auch lesend, nach und nach zu einer Andeutung von Risikobereitschaft, einem Signal, das ich deutlicher nicht mehr setzen kann. Die Leitung ist tot. Man muss dieses Spiel also tatsächlich stundenlang spielen, bevor man die eigene Rolle – geschweige denn die Rollen der anderen Mitspieler – verstanden hat. Ich schlüpfe in das vorbereitete Kostüm, die Täuschung muss schließlich plangemäß weiterlaufen. Heute machen wir wieder Schlagzeilen, nicht zuletzt, damit wir etwas gemeinsam haben.
Dies ist der Ort des Austauschs, zwischen diesen langen Regalreihen hinterlassen wir unsere Nachrichten, kleine Botschaften, die nicht immer gleich ans Ziel gelangen. Prüfend wirft der Beamte einen weiteren Blick auf meinen gefälschten Ausweis. Er kann sich, ganz im Gegensatz zu mir, nicht an meinen letzten Besuch erinnern, ich komme ihm nicht so bekannt vor, wie ich es befürchtet habe. Immer wieder vergisst er auch die von mir angegebenen Namen, eigentlich ein segensreicher Umstand. Wir haben uns schon vor längerer Zeit auf ein Buch zur Übermittlung der verschlüsselten Botschaften geeinigt. Der gelbe Umschlag, das Papier und sein Geruch anderer Jahrhundertwenden, verheißt mit spitzer Feder ausgeführte, lockende Obszönitäten. Das Blättern in dem Band lässt mich zumindest für wenige, flüchtige Momente wieder die Neugier und die Aufregung vergangener Zeiten spüren. Die Erinnerungen an vermeintliche Kinderspiele, papierne Hilfsmittel und die Erziehung zum Lügen blitzen kurz auf. Ich habe gelernt, die Lüge zu lieben, sie zu zelebrieren. Die statt ihrer Zeilen in dem Buch vorgefundenen Fotos behalte ich aus persönlichem Interesse. Dies hat rein gar nichts mit meiner Profession zu tun. Beide Aufnahmen richten sich, obwohl ich es vorerst nicht wahrhaben wollte, direkt an mich. Eines zeigt eine junge Frau, die ich, Jahre nachdem diese Aufnahme gemacht worden war, kennenlernte, eine junge Frau, deren heimlicher Geliebter ich eine zu kurze Zeit lang war. Die andere Aufnahme zeigt dem Betrachter den Blick aus dem Schlafzimmer der Frau auf das gegenüberliegende Gebäude. Erst dieser zweite Beleg entschlüsselte mir den ersten, machte mir klar, woher ich dieses junge, noch ganz mädchenhafte Gesicht kannte. Ich kenne diese Aussicht, ich kann mich erinnern, wo dieses Haus stand. Ich kenne diese Lippen, nein, ich kannte sie, zumindest ein wenig. Beide Aufnahmen sind, so wie es für diese Art von belichteten Sofortunikaten früher üblich war, blau getönt. Ich kann nur Vermutungen darüber anstellen, wer die Fotografien aufgenommen hat. Ich kann Leute verdächtigen, die ich aus Schilderungen kenne. Ob es noch weitere dieser Belege gibt, ob es überhaupt Botschaften sind, die sich vorsätzlich an jemanden richten? Vielleicht täuscht mich mein Wunsch nach Interpretation über die Tatsachen hinweg, wieder einmal. Der Zufall ist mir diesmal wertvoller als ein möglicher Sinn, der sich durch die Entschlüsselung ergeben könnte. Da ist immer noch eine Schwäche für die Abgebildete spürbar, eine Schwäche, die ich mir nicht eingestehen wollte.
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