Ganz klar Tanja. Dana Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dana Wolf
Издательство: Bookwire
Серия: Ganz klar Tanja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740965822
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Sporttasche und biss hinein. Ihr Blick fiel auf die Milchglastür. Poolbereich stand auf einem Kunststoffschild. Darunter die Öffnungszeiten und der Hinweis: Bitte nur mit Bademantel betreten.

      Na toll, dachte Tanja. Aber im Grunde war es ihr egal. Sie zog ihre Sandalen aus, ließ sie an der linken Hand baumeln und betrat den Poolbereich. Ein paar ältere Herrschaften übten sich in Aqua-Jogging. Zumindest sah es so aus. Am Beckenrand gab ein Fitnesstrainer Anweisungen, ein junger Mann mit Tattoos auf der Innenseite der Unterarme und kurzrasiertem Haar. Hier fühlte sich Tanja genauso fehl am Platz wie zuvor im Entspannungskursus. Trotzdem nahm sie sich eine freie Liege und beobachtete die Senioren beim Aquafitness. Die Gruppe war gerade dabei, bunte Schaumstoff-Nudeln über dem Kopf zu einem umgedrehten U zu biegen und rhythmisch hin und her zu bewegen, als der Trainer auf Tanja zu kam.

      “Das ist nicht dein Kursus, was?”, fragte er rhetorisch.

      Sie sparte sich die Antwort.

      “Macht nichts”, setzte er nach, “Du kannst einfach einsteigen. Kein Problem! Umkleiden sind da hinten.”

      “Danke.”

      Tanja winkte ab. Ob er die Rentner auch einfach duzte? Bevor er lästig werden konnte, gesellte sich ein untersetzter Mitpatient mit Glatze und Zwirbelbart zu ihr. Mit einem leichten Stöhnen hievte er sich in die Nachbarliege.

      “Ich bin Peter”, stellte er sich vor, während sich der Trainer schon wieder der Gruppe zugewandt hatte.

      Und eins, und zwei hörte man im Hintergrund.

      “Tanja”, sagte Tanja.

      “Neu hier?”

      “Erster Tag”, sagte sie, während sie ihn skeptisch musterte. Normalerweise hatte sie ein feines Gespür für ihre Mitmenschen, doch bei Peter war das anders. War er der nette Onkel, der einfach nur Smalltalk machen wollte und Anschluss suchte? Oder war er der sprichwörtlich nette Onkel, der allein deswegen Smalltalk machte, um sie rumzukriegen?

      “Burnout?”, wollte Peter wissen.

      Sie nickte.

      “Und selbst?”

      Er machte ein Gesicht, das Ratlosigkeit ausdrücken sollte.

      “Ich sag mal so, leichte allgemeine Behagensminderung.”

      “Verstehe”, sagte sie, ”zu viel Arbeit.”

      “Oder zu viel Weißwein.”

      “So?”

      “Ja. Aber nicht, was Sie jetzt denken. Von Berufs wegen quasi. Ich bin Winzer.”

      “Und was, glauben Sie, habe ich gedacht?”

      “Dass ich ein Problem mit Alkohol habe?”

      “Und? Haben Sie?”

      Peter schmunzelte.

      “Grund genug hätte ich”, sagte er, “nach allem, was passiert ist.”

      Tanja hob die Brauen, wartete, bis er unaufgefordert fortfuhr.

      “Ich will Sie nicht mit juristischem Zeug langweilen ...”, sagte er betont sachlich, wechselte dann aber schnell in einen süffisanten Tonfall: “Es sei denn, Sie möchten, dass ich es Ihnen bei einem Kaffee erkläre.”

      Tanja überlegte kurz.

      “Warum sollte ich mit Ihnen einen Kaffee trinken gehen?”, fragte sie trocken.

      Peter konterte anzüglich: “Weil Sie so aussehen, als hätten Sie nur auf mich gewartet.”

      “Wenn Sie meinen …”

      Sie schüttelte den Kopf. Sie wusste erst nicht, ob sie’s mit Humor nehmen sollte oder ihm wegen seines Macho-Gehabes einen Spruch reindrücken sollte.

      Tanja entschied sich, nicht weiter darauf einzugehen. Sie wandte sich ab und betrachtete die Fitnessgruppe im Wasser. Sie spürte seinen Blick, der auf ihrem Profil verharrte. Jetzt spürte sie am eigenen Leibe, was Peter unter Behagensminderung verstand.

      Und drei, und vier!, rief der Trainer. Die Gruppe hatte die Aqua-Nudeln gegen pinkfarbene Hanteln eingetauscht, ebenfalls aus Schaumstoff. Die Senioren machten damit langsame Bewegungen, die aussahen, als wollten sie auf der Wasseroberfläche einen Pizzateig ausrollen. Entgegen dem Anschein war das wohl einigermaßen anstrengend. Tanja schaute eine Weile zu, Peter saß schweigend neben ihr. Sie sah es überhaupt nicht ein, sich von ihm aus dem Poolbereich vertreiben zu lassen. Doch Peter blieb hartnäckig.

      “Im Ernst”, setzte er schließlich an, “haben Sie Lust, mit mir zu Mittag zu essen?”

      Aha, dachte Tanja, jetzt, da er sieht, dass seine Taktik nicht aufgeht, versucht er, seine dreiste Anmache als Witz hinzustellen. Wie durchschaubar Typen doch sind!

      “Weiß noch nicht …”, ging sie spaßeshalber drauf ein, “obwohl … Ein anderes Mal vielleicht.”

      Sie erhob sich und warf dem verdutzten Peter noch einen ungalanten Blick zu, bevor sie sich dann doch auf den Weg machte.

      “Wer genießen will, muss warten können”, foppte sie ihn noch, ohne seine Reaktion abzuwarten.. Ihren ersten Tag in der Klinik hatte sie sich anders vorgestellt. Das war schon ein seltsamer Ort.

      Und ausgerechnet hier sollte sie sich von ihrer emotionalen Erschöpfung erholen? Wie dem auch sei, für den morgigen Tag nahm sie sich vor, sich strikt an ihren Therapieplan zu halten. Und sich von nichts - und vor allem von niemandem - ablenken zu lassen.

      Den Nachmittag verbrachte sie damit, die Gegend zu erkunden und einen Spaziergang durch den Klinikpark zu unternehmen, eine etwa zwanzig Hektar große Grünanlage mit Rosenhügeln, Gartenhöfen und einem kleinen Weiher. Richtung Osten gab es dichten Baumbestand, Richtung Westen einen Panoramablick auf die Saar kurz vor ihrer Mündung in die Mosel. Tanja hatte den Nachmittag für sich gebraucht. Sie hatte weder mit Flo gechattet noch hatte sie einen einzigen weiteren Gedanken an die plumpen Annäherungsversuche von diesem Peter verschwendet. Ihr Nervenkostüm war zwar noch immer dünn, ihr Kopf aber einigermaßen klar.

      *

      Um Punkt zehn Uhr vormittags sollte die Radtour beginnen. Im Fitness-Outfit und mit einer kleinen Plastik-Wasserflasche in der Hand stand Tanja vor dem Klinikgebäude und beäugte ihre Mitradler. Beinahe alle trugen Radoutfit: Enge bunte Polyestershirts und kurze schwarze Hosen mit Sitzpolster. Eine Ausnahme bildete Peter. An seinem adipösen Oberkörper flatterte ein weites, ausgewaschenes Baumwoll-T-Shirt.Tanja erkannte auch die Frau vom Frühstücksbüffet wieder, die Aschblonde mit dem Pferdeschwanz. Außerdem am Start: Ein paar junge Leute, an denen die Kleidung einigermaßen authentisch aussah, sowie … Tom van Buuren. Er hatte Tanja längst erspäht und ersparte ihr nicht den ersten blöden Spruch des Tages: “Vielleicht haben Sie ja auf zwei Rädern mehr Glück als auf vier.”

      “Sehr witzig”, konterte sie.

      Das kleine Geplänkel fand sein Ende, kaum dass es begonnen hatte, denn aus dem Gebäude kam ein durchtrainierter, gebräunter und gut gelaunter junger Mann, der ebenfalls das Duzen pflegte.

      “Guten Morgen”, begrüßte er die Gruppe, “mein Name ist Philipp. Ich bin euer Bike-Guide. In den nächsten Stunden werden wir gemeinsam ein paar Höhenmeter sammeln.”

      Er blickte in erwartungsvolle Gesichter. Hätte er gesagt: In den nächsten zwei Stunden werden wir uns über steile Hunsrück-Straßen quälen, hätte er vermutlich in andere Mienen geblickt.

      “Das wird keine Spazierfahrt”, präzisierte er, “wir wollen uns nicht die schöne Gegend anschauen. Was wir wollen, ist: Stress abbauen. Und das geht beim Radfahren besonders gut. Warum? Weil Verspannungen und Stresshormone nur dann abgebaut werden, wenn wir uns anstrengen. Weil die angestaute Anspannung nur dadurch abgebaut werden kann, dass unser Körper Endorphine und Serotonin ausschüttet und dadurch die Stresshormone in uns neutralisiert. Das ganze Geheimnis lautet also: Bewegung, Bewegung und nochmals Bewegung!”

      Aus seinem Munde klang das fast wie eine Drohung,