Die Verknüpfungen von Namen zu Objekten werden ein Leben lang gelernt, womit sich Namen konträr zu anderen Wortarten verhalten, deren Erwerb ab einem gewissen Alter nahezu abgeschlossen ist (NÜBLING ET AL. 2015: 12). Weil das menschliche Gedächtnis über begrenzte Kapazitäten verfügt, können allerdings nicht unendlich viele Name-Objekt-Verknüpfungen gespeichert werden. Somit können nicht alle Gegenstände einen Namen erhalten. Benannt werden daher nur ausgewählte Objekte wie etwa Menschen, Siedlungen und Länder. Bei anderen Objekten ist entscheidend, wie häufig auf sie referiert wird, ob sich die Namenvergabe also lohnt (WERNER 1995: 477). So werden Tiere nur unter bestimmten Bedingungen benannt, wenn sie beispielsweise als Haustiere in enger Beziehung zum Menschen leben.4 Auch bei Mauern oder Felsen ist ihre Relevanz für den Menschen ausschlaggebend dafür, ob sie benannt werden oder nicht. Auf Tiere wie Bienen, die nicht benannt werden, wird stattdessen mit anderen Verfahren referiert, z.B. mit deiktischen Ausdrücken oder definiten Beschreibungen (WERNER 1995: 477).
Namen werden in vielen Publikationen in Kontrast zu den Appellativen beschrieben.5 Dies ist sinnvoll, weil im System einer Sprache „die sprachlich relevanten Eigenschaften und der Stellenwert sprachlicher Elemente nur bestimmt werden können, wenn ihre Beziehungen zu den anderen Elementen des Systems betrachtet werden“ (LINKE ET AL. 2004: 36). Die Beziehung zu den Appellativen ist für eine Betrachtung von Namen besonders relevant, weil sie der gleichen Wortart angehören und ebenfalls auf Objekte referieren. Die „Verwandtschaft“ ergibt sich auch dadurch, dass Namen diachron betrachtet mehrheitlich aus Appellativen hervorgegangen sind (NÜBLING ET AL. 2015: 31).6 Gleichzeitig eignet sich die kontrastive Betrachtung der Namen, um funktionale und formale Unterschiede zu den Appellativen herauszustellen, weshalb diese Vorgehensweise auch in dieser Arbeit gewählt wird.
3.2 Die Funktionen der Namen
3.2.1 Mono- und Direktreferenz
Nouns refer to concepts. […] Names refer to objects. (GÄRDENFORS 2014: 132)
In der onomastischen Literatur werden verschiedene Funktionen von Namen genannt, wobei je nach Namenklasse eine Funktion überwiegen kann, während eine andere in den Hintergrund tritt.1 Übereinstimmend wird für Namen jedoch eine besondere Referenzleistung angenommen, die in ihrem „sprachliche[n] Bezug auf nur ein Objekt, auf ein bestimmtes Mitglied einer Klasse“ besteht (NÜBLING ET AL. 2015: 17, Hervorh. i.O.). Auf diesen grundlegenden Funktionsunterschied bezieht sich auch das oben stehende Zitat von GÄRDENFORS (2014), das im Folgenden erläutert wird.
Appellative bieten im Sprachsystem die Möglichkeit, auf eine Gattung oder Klasse Bezug zu nehmen, d.h. auf eine Vielzahl von Objekten, Personen oder Sachverhalten, die ein Bündel gemeinsamer Eigenschaften aufweisen (DUDEN – „Die Grammatik“ 2016: 152). Diese Vorstellung gemeinsamer Eigenschaften bzw. gemeinsamer Merkmale stammt aus der strukturalistischen Semantiktheorie und basiert auf der Annahme, dass sich die Bedeutung von Wörtern oder Morphemen als Bündel semantischer Merkmale, quasi als Merkmalsliste, fassen lässt (GLÜCK UND RÖDEL 2016: 426). Ein Appellativ wie Frau nimmt demzufolge auf Objekte Bezug, die diejenigen Merkmale aufweisen, die im mentalen Lexikon unter Frau gespeichert sind. Darunter fallen etwa Merkmale wie [+ menschlich, + weiblich, + erwachsen].
Wenn GÄRDENFORS sagt, dass Nomen auf Konzepte referieren, dann argumentiert er aus einer kognitiven Perspektive heraus. Als Konzepte werden hier „mentale Informationseinheit[en] im Langzeitgedächtnis“ verstanden, über die Menschen ihr Weltwissen abspeichern und ordnen (GLÜCK UND RÖDEL 2016: 369). Nach GLÜCK UND RÖDEL wird „[d]ie reale Welt […] in mental repräsentierte K[onzepte] übersetzt“, wobei „von individuellen Objektmerkmalen abstrahiert wird und gemeinsame Merkmale von Objekten ausgefiltert werden“ (2016: 369). Das Konzept von Baum kann man sich dementsprechend als das Wissen darüber, was ein Baum ist und wie man Entitäten als Bäume erkennt, vorstellen (TAYLOR 2003: 43). Das Wissen, das ein Konzept ausmacht, kann sich dabei auf ganz unterschiedliche Eigenschaften der Entität beziehen, z.B. auf Größe, Form, Geräusch, Geschmack etc. (GÄRDENFORS 2014: 25).2 Wenn GÄRDENFORS sagt, dass Nomen auf Konzepte referieren, dann bedeutet das, dass sie – ohne syntaktische Einbettung – keine spezifische Referenz herstellen, sondern auf eine Kategorie referieren (GÄRDENFORS 2014: 117).
Im Gegensatz dazu weisen Namen ein anderes Referenzpotenzial auf, denn sie referieren nicht auf eine Kategorie, sondern auf ein Objekt (GÄRDENFORS 2014: 132).3 NÜBLING ET AL. bezeichnen diese besondere Referenzweise von Namen treffend als „Monoreferenz“, weil sich der materielle Ausdruck (ob phonisch oder graphisch) auf ein einziges Denotat bezieht (2015: 33). So kann mit Namen wie Angela Merkel oder Theresa May schnell und eindeutig auf die jeweiligen Personen referiert werden. LAUR stellt daher Folgendes fest:
Ohne Namen gibt es für uns keinen rechten Zugriff […]. Von einem in anonymer Dunkelheit verharrenden Gegenstand oder Wesen könnten wir nicht recht sprechen. Wir könnten es auch nicht richtig erfassen. (LAUR 1989: 102)
Dieser Aussage ist insofern zu widersprechen, als natürlich auch über unbekannte Objekte gesprochen werden kann. Mit definiten Beschreibungen (z.B. diese Politikerin, die Frau da) und Indikatoren (z.B. sie) stellen alle Sprachen Mittel bereit, um auch auf namenlose Objekte eindeutig Bezug nehmen zu können (NÜBLING ET AL. 2015: 23). Allerdings ist der artikulatorische Aufwand dabei in der Regel höher (NÜBLING ET AL. 2015: 24ff.).4 LAUR ist jedoch zuzustimmen, wenn er sagt, dass Namen es dem Sprecher ermöglichen, einzelne Objekte aus der „anonyme[n] Dunkelheit“ herauszuheben. Denn mit der Benennung wird das Objekt mit einer Art starren Markierung versehen, mit der die Referenz fortan schnell, eindeutig und situationsunabhängig erfolgen kann.5 Der sprachliche Ausdruck Angela Merkel referiert beispielsweise auch auf die Person, wenn sie nicht in Sichtweite ist. Die Verbindung zwischen Name und Denotat muss allerdings erlernt werden, weil vom Objekt nicht auf den Namen geschlossen werden kann. Der Name lässt sich nicht aus Merkmalen des Referenten ableiten (NÜBLING ET AL. 2015: 32).
Damit Namen diese besondere Referenzweise leisten können, muss die Relation Name – Objekt konstant bleiben, d.h., es muss eine gewisse Stabilität dieser Zuordnung gegeben sein. Namenwechsel sind zwar möglich, allerdings „muss die Umbenennung erst der gesamten Sprechergruppe bekannt sein, um die ungestörte Kommunikation (wieder) zu ermöglichen“ (ROLKER 2009: 4). Bei einigen Namenklassen wird die Referenz daher in einem mehr oder weniger formellen6 Akt fixiert. NÜBLING ET AL. bezeichnen dies als „Referenzfixierungsakt“ (2015: 43). Die spezifischen Umstände des Aktes – wer oder was benannt wird, wer die Benennung initialisiert und ob oder wie die Benennung schriftlich fixiert wird – hängen auch von kulturellen Gegebenheiten ab.7
In der kognitiven Grammatik (LANGACKER 2008) findet sich ein weiterer Aspekt, der bei der Beschreibung der onymischen Referenzleistung relevant gemacht werden kann.8 Dabei geht es um das „nominal grounding“ (LANGACKER 2008: 272ff.), also die Verankerung von Substantiven als Nominalphrasen (NPs) in der konkreten Sprechsituation. Namen zeichnen sich dadurch aus, dass sie kein Grounding benötigen, wohingegen andere Substantive als NPs – so erläutert LANGACKER (2008) in seinem Kapitel zur „Nominal and Clausal Organization“ – typischerweise sprachlich verankert werden:
The primary function of lexemes is classificatory. As fixed expressions, they provide an established scheme for apprehending the world in terms of culturally sanctioned categories of proven relevance and utility. By contrast, the primary function of a nominal or a finite clause is referential. It directs attention to a particular thing or process accorded a certain epistemic status in relation to the ground. Through grounding, its characterization