Zauberhaft. Es schillert ein seltsam heller Horizont vor meinem Blick. Scheint so, als würde es hier keine Tage und Nächte geben. Wir bewegen uns wie unter Wasser. Nichts geschieht und alles geschieht gleichzeitig. Dennoch ist eine Wirklichkeit da: die Wiese, die Karnickel, der Wind. Die Kinder flechten einander Blüten ins Haar und tanzen. Hin und wieder ziert ein rosafarbener Schimmer den Himmel, der dann wieder verschwindet, sonst nichts. Alles gut, ich träume, was soll noch geschehen? Schläferin. Ich schließe die Augen. Versuche abzudriften. Aber es funktioniert nicht. Was mich stutzig macht, ist diese Helligkeit. Es scheint, als wäre ich betrunken. Plüschige Kaninchen, die von den Kindern in die Höhe gehoben werden. Licht. Ich kann nur schauen. Schauen und da sein. Es gibt kein Entkommen, keine Ränder. Als wäre ich ganz und gar wach. Helligkeit.
Das Morgenlicht, das durch die Spalte der Rouleaus in den Quader dringt. Beschissene Helligkeiten, denkt sie. Fummeln ihr an den Lidern rum. Sie grunzt und wälzt sich auf die andere Seite. Zieht in einer raschen Bewegung die Decke über den Kopf. Sie möchte die Fröhlichkeit des Vogelgezwitschers verdrängen. Es hört sich an, als läge sie unter freiem Himmel. Sie fühlt sich dabei wie eine der Figuren aus den Kinderbüchern, die sie gekauft hätte. Wenn das Bündel aus Fleisch noch da wäre. Sie steht auf, blickt auf die idyllische Welt hinter den Glaswänden. Wolken hängen am Himmel. Sie rollt mit den Augen. Reibt sich die Lider. Sie will nichts essen. Füllt Kaffee in den Trichter.
Gegen Mittag erstmals: rausgehen. Die Feldwege entlang. Vorbei an einer riesigen Skulptur aus Stein. Die sieht aus, als würde sie sich um sich selbst winden, denkt sie. Sie geht an Äckern vorbei. Weiter hinten Kinder, die auf Ponys reiten, aufgefädelt wie auf einer Schnur. Ärsche auf Ärschen in wippenden Bewegungen. Die doppelten Hinterteile biegen um die Kurve. Kommen ihr entgegen. Der Reitlehrer guckt sie an. Er hat riesige Augen, wie Walnüsse. Sie lächelt den Kindern zu. Dabei ist ihr, als wäre ihr Gesicht eine Schmerzfratze. Verzerrt. Die langen Haare des Reitlehrers sehen aus wie Wollfäden. Hängen seinem Kopf im Wind nach. Sie vermeidet es, ihn anzuschauen. Sie müsste sonst an Sascha denken, und an das Kind. Gut, dass es weg ist, sagt sie sich und stiert auf den Feldweg.
Später: bei Zoe läuten. Das Kind mit dem Froschmaul krebst in spastischen Bewegungen am Boden herum.
Dank dir, sagt Zoe.
Ich hab ja nichts zu tun, entgegnet sie lächelnd.
Pause.
Zoe, meint sie dann, ich muss mit dir reden.
Die Freundin sieht sie erstaunt an.
Worüber denn?
Das weißt du doch, entgegnet sie.
Zoe verdreht die Augen.
Es ist tabu, über die Arbeit als Schläferin zu sprechen.
Sie nickt.
Aber was ich träume, das ist so hell, Zoe. Du kannst dir das nicht vorstellen. Ist es durch die Photonen? Was passiert da?
Zoe nimmt sie zur Seite, spricht leiser.
Hör zu. Es war ausgemacht, dass du den Job annimmst. Du kommst einmal im Monat durch die Sonde. Wir checken die Daten. Das ist alles.
In dem Moment ist das Kind wieder aufgestanden und stößt ihr einen Faustschlag in den Bauch. Sie lächelt, sie mag den Schmerz. Als hätte sie ihn verdient, denkt sie. Das Kind greift nach ihren Händen und knickt sie nach hinten. Zoe schimpft. Hebt das Kind hoch.
Schweig darüber, meint Zoe scharf.
Klar, sagt sie.
Zoe wendet sich ab, will gehen. Dann dreht sie sich plötzlich um.
Was ich noch sagen wollte, murmelt sie.
Ja?
Neben dir wohnt ein junger Mann. Dietrich. Eben erst zurückgekommen aus der Klinik. Alkoholproblem. War früher sehr verwickelt in die Photonenexperimente. Manchmal sitz ich mit ihm zusammen. Nach zwei Stunden sieht er Gott in mir, und wenn er dann noch weitertrinkt, will er entweder mit mir schlafen oder mich verprügeln.
Sie lacht.
Gute Nacht, Zoe, sagt sie. Hau ab auf deine Party.
Warte. Vielleicht besuchst du ihn mal. Nüchtern ist er in Ordnung.
Sie zuckt mit den Schultern. Zoe schließt die Gartentüre hinter sich, während das Kind zu jammern beginnt.
Als sie in den Quader zurückkehrt, versucht sie zu schlafen. Es ist ihr aber, als läge sie in einer Öffnung der Erde. Irgendwo auf einer Wiese. Sie wartet immer wieder auf die Fahrtgeräusche der Züge. Wer wohl in den Zügen sitzt?, fragt sie sich. Sie fühlt sich leicht schwindelig. Kann nicht einschlafen. Immer wieder dreht sie den Körper zur Seite. Dann wieder auf den Rücken. Dann wieder zur Seite. Macht sich zum Ei. Ein Kuckucksruf ertönt. Es wird kühler. Gewitterwind, der am Holzquader rüttelt. Dann das Donnern. Es ist, als wäre ihr Hirn dem Himmel ausgesetzt. Sie richtet sich kerzengerade auf im Bett, fast ruckartig. Blättert nochmals in den Seiten des Fotoalbums. Ob es normal ist, dass sie keinen Schmerz fühlt, fragt sie sich. Dass der Verlustschmerz in ihr nicht spürbar wird. Egal, denkt sie. Sie schluckt die Pille. Sie hat jetzt eine Aufgabe.
Das Letzte war Licht: die Zeitlosigkeit. Sie schwappt wieder über mich. Ich bin in einer Perle geborgen. Luftleerer Raum, Blase. Alles wiegt sich um mich herum, schaukelt, schwebt, wiegt mich. Oder bin ich es, die wiegt? Auch das macht keinen Unterschied mehr. Überall singende Kinder, Kaninchen, weite Wiesen, Wind, der die Gräser zittern macht – halt! Da geht jemand spazieren. Ein Schatten, ein Schemen. Seltsam, wo doch rundherum alles in so helles Licht getaucht ist. Was soll der Fremdkörper da? Ist es ein Mann? Ich kann sein Gesicht nicht erkennen, er hat mir den Rücken zugedreht. Vergiss deine Hände nicht, fixiere die Füße, du träumst! Du hast deine Handlungen unter Kontrolle. Folge ihm! Sieh genauer hin! Was hat er für ein Hemd an? Nein, es passt nicht hierher, dieses Hemd. Es ist mit Flecken übersät! Als wäre er ein Maler. Kann das sein? Die Kinder, der Himmel, alles tönt und singt. Nur er: wie hineincollagiert in diese Perfektion, bricht mit der Stimmung. Ich muss ihm folgen. Ich muss –
Als er aufwacht, fällt ihm auf, dass die Garagentüre die ganze Nacht halb offen gestanden ist. Licht dringt durch die Spalte. Fällt auf den Betonboden. Er reibt sich kleine helle Bröckchen aus den Augen. Gähnt. War das eine Frau, die er im Traum gesehen hat? Es schien, als würde sie ihm folgen wollen. Egal. Er reibt sich die Lider. Zieht dann die Beine an den Bauch. Embryohaltung. Als er in die Ecke guckt, sieht er einen gräulichen Fleck am Boden. Er strengt den Blick an, flackernde Lider, kneift die Augen zusammen. Ein Fellbündel kann er erkennen. Die Katze. Sie sitzt da, fixiert ihn bewegungslos. Auf dem Hinterteil hockend, die Tatzen vom Oberkörper weggestreckt. Er lächelt, formt die Lippen zu einem Schnabel, gibt ein Geräusch von sich, das nach Maunzen klingen soll. Die Katze dreht den Kopf zur Seite. Springt auf. Buckelt durch den offenen Spalt der Garagentüre. Ihr Schwanz baumelt hintendrein. Er lächelt. Du beginnst schon, die Gegend zu mögen, denkt er, und: Schritt für Schritt. Abwarten ist seine Strategie. Dass die Möglichkeiten zu ihm kommen werden, sagt er sich. Und die Informationen. Er rollt sich zu einem Ei zusammen, schließt die Augen. Döst, schlummert. Die Kontinuität des Rauschens der Blätter trägt ihn fort.
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