Frühling auf Huntington Castle. Imelda Arran . Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Imelda Arran
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783937013336
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Jack! Ich bring dir Hilfe. Der kleine Scheißer will essen. Kommt einfach zu Vater in die Gaststube, bestellt und hat kein Geld dabei. Nicht einen müden Penny. Wie gut, dass Vater vorher gefragt hat, sonst müsste ich das Essen wieder aus ihm herausprügeln.“ Als Harold dem Jungen auf den Kopf schlug, sank der schmächtige Kerl ganz in sich zusammen und hielt schützend seine Arme über sich.Verstohlen schielte er hinüber zum Hoftor, das einen Spalt breit offen stand, doch Harold bemerkte seinen Blick und die Absicht dahinter.

      „Denk nicht mal dran, du kleine dreckige Ratte!“ fuhr Harold den Jungen an. „Du wirst hier arbeiten, und zwar so lange, wie wir es dir sagen.“ Er zerrte am Arm des wimmernden Jungen, als wolle er ihn ausreißen.

      Jack stöhnte auf. „Harold, lass ihn doch. Lass ihn gehen. Was soll ich mit ihm? Wenn er nichts gegessen hat, schuldet er euch auch nichts.“

      „Das ist mir gleich! Allein für seine Unverschämtheit wird er hier bleiben und arbeiten und sich sein Brot verdienen. Und du, Mörder, du wirst auf ihn aufpassen. Wenn er flieht, werden wir dich windelweich prügeln. - Verlass dich drauf! Gemeinsam könnt ihr beiden sicher die doppelte Menge an Holz hacken.“ Er stieß den kleinen Kerl vor Jack zu Boden, der dort zitternd liegen blieb. Dann drehte sich Harold auf dem Absatz um und ging wieder in die Gaststube. Jack schaute hinab auf das erbärmliche Bündel. Die Kleider des Jungen waren nass. Hatte er mitsamt seinen Sachen im Fluss gebadet? Wenn er dadurch sich selbst und seine Kleider hatte waschen wollen, so war ihm dies nicht gelungen. Seine Jacke und die Hosen starrten vor Dreck und stanken nach Schaf. Sein Kopf war kahl, doch so unordentlich rasiert, als hätten die Mäuse ihn geschoren. Jack schätzte, dass er vielleicht zwölf Jahre alt war. Wahrscheinlich war er schrecklich hungrig, und Harold hatte sich einen Spaß daraus gemacht, dem Kleinen zu erzählen, dass er ‚dem Mörder’ helfen könne, um sich sein Brot zu verdienen.

      „Wie heißt du, Junge?“

      Offensichtlich war der Kleine überrascht, eine so ruhige Stimme zu hören, denn er schniefte tapfer und wischte sich mit seinen schmutzigen Händen die Tränen vom Gesicht, bevor er langsam zu ihm aufzuschauen wagte. Als seine Augen bei Jacks wuchtigen Schultern angekommen waren, senkte er rasch den Blick.

      „Ich heiße Matti. Bitte, darf ich Euch helfen, Herr? Ich werde mir wirklich die größte Mühe geben“, sagte er, indem er sich erhob und schließlich mit gesenktem Blick vor Jack stand. Stirnrunzelnd musterte Jack das Kerlchen.

      „Wie redest du denn? Bist wohl von einem reichen Herrn vor die Tür gesetzt worden“, stellte Jack fest und wollte das Kinn des Jungen heben, um ihm ins Gesicht zu schauen. Doch davor schien er Angst zu haben, denn er riss sein Kinn aus Jacks Hand und wandte sich zitternd ab, als erwarte er Schläge für so viel eigenen Willen. Jack schüttelte den Kopf und seufzte. „Zuerst solltest du trockene Sachen anziehen. Zieh dich aus. Du kannst mein Hemd haben.“

      Schon hatte er sich sein Hemd über den Kopf gestreift und hielt es dem Jungen hin. Doch dieser wurde rot wie ein Mädchen beim Anblick seines nackten Oberkörpers. Schnell wandte er sich ab und stammelte: „Danke, Herr.“ Dann schaute er sich um, als suche er etwas.

      „Du kannst dich im Stall umziehen. Dort ist sogar noch meine alte Arbeitshose, die du haben kannst.“

      Matti nahm das Hemd, ging in den Stall und schloss die Tür hinter sich. Bald kam er in Jacks Kleidung heraus. Sogar den letzten, obersten Knopf hatte er geschlossen. In der einen Hand hielt er seine nassen Kleider von sich, mit der anderen zupfte er an den Hosen herum, die er mit einem Strick an seinem Leib befestigt hatte.

      Unterdessen hatte Jack weiter Holz gehackt; nun schaute er auf.

      „In der Scheune gleich rechts neben der Tür ist ein Eimer, auf dem Querbalken darüber liegt ein Stück Seife. Hol dir Wasser vom Brunnen dort und wasch erst mal deine Sachen. Dann kannst du das Holz auflesen und stapeln.“

      Matti ging zurück in die Scheune und tat, wie Jack ihn geheißen hatte. Während Jack weiter Holz hackte, warf er immer wieder einen Blick hinüber zum Brunnen, wo Matti sich mit seinem ganzen Gewicht an den Hebel hängen musste, um Wasser in den Trog zu pumpen. Dann schöpfte er das Wasser mit dem Eimer aus dem Brunnen und wusch darin so umständlich seine Kleider, dass Jack dachte, der Junge wasche zum allerersten Mal. Eines war sicher: Das Kerlchen war keine große Hilfe!

      Endlich war Matti fertig, die schäbigen Sachen hingen in der Sonne, und er kam, um Jack zu helfen, der gottergeben aufseufzte.

      „Du kannst das gehackte Holz einsammeln und hier in dem Unterstand aufstapeln, damit es trocknet.“

      Matti machte sich an die Arbeit. Jack sah ihm an, dass er sich bemühte, aber der Junge hatte kaum Kraft in seinen Armen, die sich allzu dünn unter dem Hemd abzeichneten. Schon nach wenigen Gängen keuchte dieser Matti vor sich hin, machte aber tapfer weiter, als er Jacks kritischen Blick bemerkte. Irgendwann hörte Jack auf zu hacken, und half Matti, das Holz zu stapeln. Stumm arbeiteten sie nebeneinander, bis Jack murmelte: „Schön, dass das Holz so gut trocknen kann.“

      „Nasses Holz brennt nicht so gut?“ fragte Matti, worauf Jack ihn überrascht anstarrte. Sofort wurde dem Jungen klar, dass er etwas sehr Dummes gesagt haben musste, denn er biss sich auf die Lippen und senkte den Blick.

      „Wo kommst du eigentlich her?“ Matti wurde rot, denn Jacks Frage klang wie ein Vorwurf.

      „Ach, ist ja auch egal“, knurrte Jack und legte die letzten Scheite auf den Stapel, der mittlerweile so hoch war, dass Matti ihn nicht mehr erreichen konnte.

      Da schlug die Kirchturmuhr Mittag. Der letzte Schlag war noch nicht verklungen, da erschien Harold in der Hintertür. Er stellte einen Eimer auf die Erde, aus dem eine undefinierbare Brühe schwappte. Bevor er wieder im Haus verschwand, spuckte er in den Eimer.

      „Was ist das denn?“ fragte Matti mit deutlichem Entsetzen in der Stimme.

      „Unser Mittagessen.“

      Nur wenig später saß Jack in Reverend Talbots Wohnzimmer. Er trug ein frisches Hemd, denn Mattis Sachen waren noch nicht trocken. Allein der Raum wirkte wie Balsam auf Jacks Gemüt, denn hier war alles sauber, geordnet und atmete eine stille Freundlichkeit. Die Haushälterin, Mrs. Doyle, die schon den Vorgänger von Reverend Talbot und dessen Familie umsorgt hatte und noch immer rüstig war, hatte Jack ausgerichtet, dass Reverend Talbot zu einem dringenden Krankenbesuch unterwegs war und gleich kommen müsse. Jack wollte sich nicht setzen, obwohl Mrs. Doyle ihm einen Tee eingeschenkt hatte. Stattdessen trat er ans Fenster und schaute hinaus in den sonnigen Herbsttag, wo sich die Zugvögel in den bunten Bäumen sammelten. Nicht mehr lange und die nasse Herbstkälte würde über das Land kommen. Jack wurde unruhig. Die Zeit mit dem Reverend war ihm sehr wichtig. Wenn der Reverend auf sich warten ließ, hatten sie weniger Zeit miteinander, denn Jack musste die Einkäufe bei den Bauern noch erledigen. Sein Blick schweifte durch den Raum und blieb an dem Kaminsims haften, wo zwischen Porzellanfiguren ein gläsernes Kästchen stand. Jack hatte schon oft gesehen, dass der Reverend dieses Kästchen liebevoll berührte, manchmal mitten im Gespräch, ganz so, als bemerke er seine eigene Geste nicht. Nun hatte Jack Zeit, das Kästchen genauer zu betrachten: Das geschliffene Glas war eingefasst mit Messing, darin lag auf rotem Samt eine dunkle Locke. Jack neigte sich gerade darüber, als Reverend Talbot eintrat.

      „Oh, Jack, du bist schon da!“ Reverend Talbots Stimme klang sonderbar hölzern, und er starrte bleich auf das Kästchen, ganz so, als habe Jack ihn bei etwas ertappt.

      „Verzeiht, Reverend, ich wollte nicht unhöflich sein“, erwiderte Jack verlegen und setzte sich an den Tisch.

      „Nein, nein, mein Sohn. Es gibt nichts, was ich dir verzeihen müsste. Ich hoffe, du musstest nicht zu lange warten.“ Reverend Talbot, der beinahe so groß und breitschultrig war wie Jack, setzte sich an den Tisch und goss Tee ein. Mit einem Blick auf Jacks kalte Tasse goss er ihm heißen Tee nach und lud ihn mit einer Geste ein, sich zu bedienen. Mrs. Doyle servierte üblicherweise Süßes zum Nachmittagstee, nur wenn Jack Sherman kam, stand Herzhaftes auf dem Tisch. Jack musste sich bemühen, die Fleischpasteten nicht zu verschlingen, so hungrig war er. Mrs. Doyle würde ihm sicher die Reste