3 Nach allgemeinen Schätzungen lagern in den Golfstaaten rund 60% der weltweiten Ölreserven mit Saudi-Arabien als Nummer 1 und Iran als Nummer 2.
4 Siehe dazu vor allem die Beiträge der Autoren Andreas Krieg und Ali Fatholla-Nejad.
5 Die Einschränkungen beziehen sich vor allem auf das Agieren Katars in Libyen und Syrien, wo man vor direkter Unterstützung von kämpfenden Gruppen nicht zurückschreckt. Dafür engagiert sich Katar z.B. sehr konstruktiv in Palästina und steht auch den militärischen Aktionen der Saudis und Emiratis im Jemen distanziert gegenüber. Auch unterstützt Katar nicht die äußerst aggressive Politik Saudi-Arabiens gegenüber dem Iran.
6 Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass die Existenz von atomaren Waffen durch Israel bis heute offiziell nicht eingestanden ist. Im Unterschied zum Iran gewährt Israel der in Wien ansässigen Internationalen Atombehörde (IAEA) keinerlei Zutritt zu den Anlagen, es ist auch nicht dem 1970 geschaffenen internationalen Atomwaffensperrvertag beigetreten und entzieht sich demnach jeglicher internationalen Kontrolle.
7 Die Debatte über Inhalte, Strategien und Chancen der Reformer im Iran darf dabei nicht unter den Tisch fallen. Sicherlich ist die Kritik an manchen sogenannten Reformern durchaus legitim, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass zumindest ein Teil der iranischen Opposition im Exil Ziele verfolgt, die Demokratie und Menschenrechte bestenfalls als Vorwand nehmen, um einen Regimewechsel herbeizuführen. Auf der anderen Seite existiert eine starke, weit verbreitete Opposition gegen das religiöse Establishment und seine Institutionen, was auch die äußerst geringe Beteiligung bei den Wahlen im Februar 2020 dokumentiert hat.
8 Pjotr Kortunow: Die Golfstaaten und die russische Strategie des »ehrlichen Vermittlers« im Nahen Osten.
Andreas Krieg
Sicherheit – ein umkämpfter Begriff am Golf
Einleitung
Die Krise am Golf, die die Staaten des Golfkooperationsrats (GCC) seit einigen Jahren spaltet, hat seinen Ursprung in dem geostrategischen Wandel, der mit dem sogenannten »Arabischen Frühling« einherging. Während die alten Regionalmächte Nordafrikas und der Levante unter dem Druck der Revolutionen zerbrachen, verschob sich das Machtmonopol an den Arabischen Golf – in die Hände weitestgehend unerfahrener Monarchen, die mit ihrer neuen Rolle der Verantwortung zunächst überfordert waren. Durch Petro-Dollars finanziell weitaus stabiler aufgestellt und, mit der Ausnahme Bahrains, auch immuner gegen die Welle der Revolte, die nach 2011 über die Region schwappte, hatten die Golfmonarchien mehr Handlungs- und Gestaltungsspielraum in dem postrevolutionären Kontext, um zu experimentieren.
Spätestens nach dem Fall des Gaddafi-Regimes zeigte sich, dass die Staaten des Golfs komplett unterschiedliche Politiken verfolgten, mit anderen Werten, Interessen und ideologischen Narrativen. Vor allem die kleineren aber auch ambitionierteren Golfstaaten, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), standen sich plötzlich auf unterschiedlichen Seiten eines regionalen Stellvertreterkrieges gegenüber. Die Konsequenzen für den Golfkooperationsrat als regionaler Sicherheitskomplex waren verheerend. Was 1981 unter der Schirmherrschaft Saudi-Arabiens als Bollwerk gegen die befürchtete Ausbreitung der islamischen Revolution im Iran begann, ist heute nur noch der Schatten eines Versuchs, die sechs Golfmonarchien unter einem gemeinsamen Sicherheitskonzept zu vereinen.
Heute sind die sechs Staaten des Golfkooperationsrats9, die geschichtlich, sprachlich, religiös, ethnisch und familiär nicht enger miteinander verknüpft sein könnten, durch einen ontologischen Keil gespalten. Die Fragen, wie man Sicherheit und Stabilität regional definieren und erreichen kann, werden von ideologischen Narrativen getrieben. Die Versicherheitlichung von Sachverhalten10 findet nicht mehr auf regionaler GCC-Ebene statt, sondern wird individuell auf nationaler Ebene vorangetrieben. Das Resultat davon ist der effektive Zerfall des GCC als ein Sicherheitskomplex und die Entwicklung eines nationalen oder bilateralen Sicherheitsverständnisses.
Wie dieser Beitrag zeigen wird, hat die Versicherheitlichung des politischen Islam und der Idee von liberaler Zivilgesellschaft ganz besonders zu einem Bruch zwischen Saudi-Arabien und den VAE auf einer Seite und Katar auf der anderen Seite geführt. Riad, Abu Dhabi und Doha, als die drei wichtigsten Protagonisten auf der arabischen Seite des Golfs, haben nach dem Arabischen Frühling die Aufstände gegen autoritäre Regierungen völlig unterschiedlich bewertet. Während Katar den soziopolitischen Wandel als eine Chance sieht, haben vor allem die Emirate und Saudi-Arabien den Schrei der Massen nach mehr sozialer Gerechtigkeit und soziopolitischer Freiheit als eine Bedrohung gesehen. Obwohl das Narrativ des »iranischen Schreckensgespenstes« noch immer viel Resonanz im saudischen Königreich erhält, beschäftigen sich die Sicherheitsagenden der anderen Staaten mehr mit der Rolle von nichtstaatlichen Akteuren in einer Region im Umbruch.
Das Konzept von Sicherheit am Golf
Die Theorie der Versicherheitlichung scheint besonders gut geeignet, um zu verstehen, wie hinter verschlossenen Türen, in kleinen, sehr zentralisierten Kreisen um einen Monarchen am Golf seit jeher Sicherheitslagen und Bedrohungen definiert wurden. Im Sinne der konstruktivistischen Idee ist Sicherheit kein absolutes, sondern ein relatives Konzept, das gesellschaftlich im Rahmen eines Sicherheitsdiskurses konstruiert wird. Die Protagonisten dieses Diskurses bestimmen, wie Sicherheit definiert wird, wer oder was eine Bedrohung darstellt, und wen oder was man wie schützen sollte. Das Konzept von Sicherheit ist hierbei an den Kontext gebunden, in dem dieser Diskurs stattfindet, der wiederum von ontologischen, weltanschaulichen und persönlichen Faktoren der Protagonisten beeinflusst wird. Der »globale Krieg gegen den Terror« nach dem 11. September 2001 ist ein gutes Beispiel dieser Versicherheitlichung, wobei insbesondere durch die amerikanische Bush-Regierung die Welt in Freunde und Feinde unterteilt und der gesamte Sicherheitsapparat der USA für die Bekämpfung dieser einen immateriellen und ungreifbaren Bedrohung gleichgeschaltet wurde.
In den autokratischen Monarchien des Golfs ist dieser Sicherheitsdiskurs traditionell einer kleinen Elite vorbehalten, die zumindest im analogen Zeitalter ohne »soziale Medien« nie auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen musste. Der König, der Emir oder der Sultan und seine direkten Berater treffen Entscheidungen oft ohne die jeweiligen Ministerien heranzuziehen, die oft nur mit der Umsetzung betraut werden. Obgleich der Kreis derer, die zu diesem Diskurs beitragen, auch in liberalen Demokratien meist sehr übersichtlich ist, so gewährleistet zumindest in der Theorie der demokratische Prozess einen Grad von Kontrolle. Ohne demokratische Kontrolle und Verantwortung findet die Versicherheitlichung am Golf oft in den Köpfen einiger weniger statt, die Konzepte von nationaler Sicherheit und Regimesicherheit miteinander gleichsetzen. Das Überleben des Regimes wird zu einem Faktor nationaler Sicherheit hochstilisiert. Die Grenzen zwischen internen und externen Bedrohungen verschmelzen.11
Das Verständnis von Sicherheit als die Abwesenheit von Bedrohung gegen das Fortbestehen der Stammesmonarchien war und ist immer noch weit verbreitet. Obwohl es bereits seit der Unabhängigkeit der kleineren Emirate in den 1960er und 1970er Jahren große Unterschiede in der Bewertung der Bedrohungslage gibt, so besteht dennoch einen Konsens, dass das Überleben des Regimes oberste Priorität hat – ein Konsens, den nur die regionale Supermacht Saudi-Arabien nicht akzeptieren wollte. Für das saudische Königreich waren die Sicherheitsbedürfnisse der kleineren Monarchien immer nur solange wichtig, wie sie mit den eigenen Sicherheitsinteressen vereinbar waren. Der Anspruch auf Souveränität und Selbstbestimmung in Doha, Manama und Abu Dhabi war für Riad schwer zu akzeptieren, das die jungen Stadtstaaten immer nur als