2.Der Tote kam durch eine in unserer Gesellschaft nicht akzeptierte Todesform zu Tode, etwa durch Freitod, sodass wir nicht offen über den Verlust sprechen können oder uns auch besonders stark mit Schuldgefühlen belasten. Auch eine vorgenommene Abtreibung kann zu einer krankhaften Trauerverarbeitung führen.
3.Die persönliche Beziehung zum Toten war durch Hass und negative Gefühle geprägt, sodass es nach dessen Tod zu keiner Trauerreaktion kommt. Wenn wir uns mit unseren Gefühlen des Hasses erleben, verurteilen wir uns dafür, „weil man um einen Toten ja Tränen vergießen sollte“.
4.Starke finanzielle Sorgen oder die Versorgung kleiner Kinder oder pflegebedürftiger Verwandter führen dazu, dass keine Zeit für das Abschiednehmen bleibt.
5.Wenn das soziale Umfeld bestehend aus Verwandten und Freunden oder Selbsthilfegruppen fehlt, weil in unserer Gesellschaft Familien sehr weit voneinander entfernt wohnen, oder weil wir von jeher schon isoliert lebten, kann der Trauerprozess erschwert werden.
6.Es gibt Kulturen, wie die südländischen Kulturen, die es dem Einzelnen ermöglichen, seine Gefühle stärker auszudrücken und zuzulassen. Die Erwartung unserer Gesellschaft, „stark und bald über die Trauer hinweg zu sein“, kann ebenfalls die Trauerarbeit behindern.
7.Aktueller Gesundheitszustand: Krankheit kann den Trauerprozess verlängern.
8.Berufliche Position und finanzielle Absicherung: Mangelnde finanzielle Absicherung und ein fehlender Arbeitsplatz können die Trauer verstärken.
9.Es sind mehrere Familienangehörige gleichzeitig gestorben oder kurz nacheinander, sodass wenig Zeit bleibt, von jedem intensiv und vollständig Abschied zu nehmen.
Um es nochmals zu wiederholen, die Grenzen zwischen normaler und krankhafter Trauer sind fließend. Wir können nicht sagen: „Wenn du bis zu dem Zeitpunkt immer noch bei dem Namen deines verstorbenen Partners weinst, dann ist das krankhaft.” Entscheidend ist, ob Sie den Eindruck haben, nicht darüber hinwegzukommen, obwohl Sie es möchten.
Ich will Ihnen Ihre Trauer weder wegnehmen noch verbieten. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass Sie Ihre Trauer beeinflussen können. Trauer kommt nicht von alleine und geht nicht von alleine.
Jeder Mensch, der trauert, durchläuft verschiedene Phasen, bis er sich mit dem Tod eines Menschen „abgefunden“ hat. „Abfinden“, „darüber hinwegkommen“, „verkraften“ – das sind Begriffe, die wir in der Alltagssprache verwenden. Für viele haben sie einen Beiklang von „den Toten vergessen“. Das meine ich damit sicher nicht. Wenn ich von „abfinden“ spreche, dann meine ich, bis der Gedanke, mein Partner ist tot, ich kann nur noch das von ihm bekommen, was ich in meiner Erinnerung gespeichert habe, nicht mehr so stark schmerzt, sondern nur noch ein Gefühl von Traurigkeit und Bedauern auslöst. Vergessen werden wir nie können, was uns mit dem verstorbenen Menschen an schönen, aber auch kränkenden Erlebnissen verbindet. Das ist auch nicht unser Ziel, denn es sind wichtige Erfahrungen, die uns geprägt und beeinflußt haben. So wie wir jemandem verzeihen können und dann zwar noch das verletzende Ereignis im Kopf haben, aber es nicht mehr in uns nagt, so können wir auch Gefühle des Schmerzes und der Verzweiflung in Verbindung mit dem Tod eines Menschen verändern.
Nochmals gesagt, die einzelnen Trauerphasen sind nicht bei jedem Menschen von gleicher Dauer und Stärke. Es können Phasen übersprungen und wiederholt werden und der einzelne kann in einer Phase steckenbleiben. Ich halte es dennoch für hilfreich, die Phasen hier aufzuführen, weil das Wissen um diese Phasen Ihnen helfen kann, sich zu verstehen und auch Hoffnung zu schöpfen.
Wann ist die Trauerarbeit zu Ende?
Es gibt darauf keine sichere Antwort. Viele geben für den Verlust eines nahestehenden Menschen mindestens ein Jahr an, aber auch zwei Jahre seien keine allzu lange Zeit. Die meisten Untersuchungen zeigen, dass weniger als die Hälfte aller Frauen, die ihren Mann verlieren, am Ende des ersten Jahres „wieder sie selbst sind“ und am Leben richtig anteilnehmen. Witwen brauchen nach Ergebnissen dieser Untersuchungen meist drei bis fünf Jahre, um ihr Leben erneut zu stabilisieren. Überhaupt ist es müßig, darüber zu philosophieren, wann der Trauerprozess zu Ende ist. Es gibt keinen absoluten Zeitpunkt des Anfangs und keinen absoluten Zeitpunkt des Endes.
Veränderungen werden Sie daran bemerken, wie häufig Sie am Tag Schmerz empfinden und wie tief der Schmerz sein wird. Sie selbst werden merken, wann Sie wieder zu leben beginnen, wann Sie wieder in die Zukunft schauen können. Wenn die Gedanken an den Toten keinen Schmerz mehr bereiten, ist die Trauerreaktion beendet. Selbst dann wird es noch zu gelegentlicher Traurigkeit kommen, aber sie schmerzt dann nicht mehr so sehr. Wenn Sie wieder am Leben teilhaben und sich freuen können, ist sie für Sie zu Ende. Und wenn Sie drei, vier oder mehr Jahre benötigen, dann ist es eben die Zeit, die Sie für Ihre Trauerarbeit benötigen. Wir können keine zwei Menschen miteinander vergleichen. Wie schnell zwei Menschen ihren Verlust bewältigen, hängt von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren ab wie etwa der Lebensgeschichte, der Persönlichkeit, der finanziellen Konsequenzen, der Lebensphilosophie und der Gesundheit. Sie können, wann immer Sie denken, es dauert für Sie zu lange, Unterstützung suchen in einer Selbsthilfegruppe, Beratungsstelle oder bei einem Psychotherapeuten.
Werde ich jemals wieder glücklich sein?
Es ist sehr gefährlich, aber auch unmöglich, auf diese Frage genaue Zeitangaben zu machen. Eines kann ich Ihnen jedoch mit Sicherheit sagen: Ja, Sie werden wieder glücklich sein können. Sie werden langsam vorwärtsgehen, ab und zu Rückschritte machen, aber es wird der Zeitpunkt kommen, wo Sie sich ein neues Gleichgewicht geschaffen haben. Es wird niemals mehr so werden wie früher, aber Sie werden sich eine neue Lebensperspektive aufbauen können. Jeder Mensch hat die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzustellen, sie anzunehmen und daraus das Beste zu machen. Sie brauchen hierzu jedoch Zeit und die richtigen Strategien. Wenn Sie sich vorstellen, wovon Sie alles Abschied nehmen müssen, und was Sie alles neu erarbeiten müssen, dann verstehen Sie, dass dazu keine Zeitangaben gemacht werden können. Wenn Ihr Partner stirbt, müssen Sie Abschied nehmen von der Zweisamkeit im Bett, der finanziellen Absicherung, davon, im Alter versorgt zu sein, von der Begleitung bei Festlichkeiten, beim Theaterbesuch, der handwerklichen Unterstützung im Haus, der Reisebegleitung, von Wünschen, was Sie in der Zukunft noch gemeinsam erleben wollten und noch von vielem mehr.
Der Prozess der Heilung ist wie eine Bergbesteigung. Es hilft Ihnen nicht, sich zu erinnern, wie schön es früher mit dem Verstorbenen auf dem Gipfel war. Jetzt sind Sie im Tal und, wenn Sie wieder auf den Gipfel wollen, müssen Sie aufsteigen und die Mühen in Kauf nehmen. Sie beginnen im Tal bei Schmerz, Wut, Angst, Einsamkeit und steigen langsam höher. Ein manches Mal müssen Sie wieder ein Stück absteigen, weil der Weg im Moment für Sie noch zu steil und unbegehbar ist. Sie werden ein manches Mal denken, nie höher zu gelangen. Aber Sie können an den Gipfel gelangen. Wie lange Sie bis zum Gipfel brauchen werden, kann ich nicht sagen, aber ich kann sagen, dass andere Menschen auch schon auf den Gipfel gelangt sind. Am Gipfel erwartet Sie eine neue Lebensperspektive, wieder Lebensfreude und die Fähigkeit, den Blick nach außen in die Umwelt zu lenken. Manche Menschen bleiben im Tal und klagen das Schicksal an, warum sie nach unten mussten. Andere bedauern sich und hoffen, dass sie jemand hochzieht. Wiederum andere bleiben mitten auf der Strecke stehen und weigern sich, höher zu klettern. Doch es gibt auch diejenigen, die Tag für Tag ihre Arbeit tun, um aus dem Tal herauszukommen. Sie nehmen die Mühen auf sich, weil es sich lohnt, wieder einen Überblick und Ausblick zu haben. Wollen Sie mit mir den Berg besteigen?
Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg zum Gipfel, aber einen ausgetrampelten Pfad, auf dem schon viele Tausende gegangen sind. Ich kann Sie begleiten, jedoch nicht für Sie gehen.
Wann Sie unbedingt therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen sollten
•Wenn Sie sich ständig damit beschäftigen, dass Sie nicht mehr weiterleben möchten, und über eine Methode des Freitodes nachdenken