„Du meinst, ich bräuchte ein bisschen Nachhilfe? Danke für das Kompliment!“
„Sei nicht so ein verdammter Snob. Deine coolen Neunzigerjahre-Klamotten, mit denen du am Beginn des neuen Jahrtausends in Österreich diverse Preise für junge Designer eingeheimst hast, sind out. Verspieltes Ethno- und Hippiezeugs ist momentan gefragt. Viel Klimbim und grelle Farben …“
„Vielen Dank für deine fachmännische Beratung, lieber Theo. Bevor ich so ein geschmackloses Outfit, wie du es bevorzugst, entwerfe, werde ich lieber Kellnerin in der Strandbar unter meinem Haus. Schau mal in den Spiegel, du siehst aus wie ein Clown.“
„Oh, oh, jetzt gibst du’s mir wieder! Hau lieber ab, Schätzchen! Amüsiere dich mit den Jungs am Strand, falls du einen findest, der nicht schwul ist. Ich glaube, du brauchst einen anständigen Fick, du kommst mir ein bisschen verbittert vor.“
Seine zynischen Schmähs hatte sie früher cool gefunden. Inzwischen waren sie ihr zuwider. Bevor sie ihn ohrfeigen würde, ließ sie ihn lieber mit seinem Frust allein. Sie konnte es sich aber nicht verkneifen, ihm wenigstens verbal eine zu verpassen: „Du bist ein richtiges Ekel geworden. Ich weiß nicht, was mit dir los ist. Wenn du so weitermachst, wirst du bald keine Freunde mehr haben.“
Theo wollte ihr einen Klaps auf den Po geben. Geschickt wich sie aus und ging ins Haus. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie er einen der philippinischen Boys herbeiwinkte. Der nächste Gin Tonic war angesagt.
Sie nahm sich fest vor, in Zukunft weniger zu trinken. Theo war ein abschreckendes Beispiel. So wie er wollte sie nicht enden.
12.
Nachdem Alexander in einem Café auf der Platia Mantó Mavrogénous gefrühstückt hatte, erkundete er das Gelände rund um seine Pension. Anschließend machte er einen langen Spaziergang durch die Altstadt.
Die ersten Sonnenstrahlen erleuchteten die weißen Hausmauern. Die vielen Tavernen und Geschäfte hatten alle geschlossen. Ein Gefühl von Einsamkeit und Ruhe befiel ihn, als er an den weiß gekalkten Hausmauern entlangschritt. Es war kein unangenehmes Gefühl.
Das Kastro-Viertel hatte seinen Namen von einem Kastell, das die Venezianer im dreizehnten Jahrhundert auf einem Hügel über dem Alten Hafen errichtet hatten. Es war das älteste Viertel der Stadt. Sein Onkel hatte hier gelebt.
Alexander schlenderte durch die labyrinthartigen Gassen, die gerade so breit waren, dass ein vollbepackter Esel durchkam. Als um neun Uhr die Glocken der Panachrou-Kirche zum Gottesdienst läuteten, begegneten ihm die ersten Menschen, hauptsächlich alte, ganz in Schwarz gekleidete Frauen.
Er spazierte weiter Richtung Klein-Venedig, wo er gestern Abend so miserabel gegessen hatte. Vor der mit unzähligen Kalkschichten überzogenen Panagia Paraportiani stand ein halbes Dutzend Japaner mit gezückten Kameras. Die blendend weiße Kirche war ein wunderbares Postkartenmotiv, sah aus wie ein riesiger Schneehaufen vor dem tiefblauen Meer.
Er wunderte sich nicht, dass die meisten Gassen der Stadt so leer waren. Dumpfe Technoklänge hatten ihn bis in die frühen Morgenstunden wach gehalten. Vor vielen Lokalen türmten sich Bier- und Schnapskisten. Schmale Pick-ups schlichen im Schritttempo durch die engen Straßen, karrten weitere volle Kisten für die nächste Nacht heran. Bis Mittag würden die Rollläden der meisten Lokale und Geschäfte wohl geschlossen bleiben. Oder vielleicht auch nicht, dachte er, als er das Horn eines Kreuzfahrtschiffes vernahm. Früher zeigten den Seefahrern die weißen Segel der Windmühlen den ersehnten Heimathafen an. Noch heute grüßten die einlaufenden Kreuzfahrtschiffe mit einem lauten Signalton die stattlichen Mühlen.
Auf dem Weg in den Alten Hafen sah er zu, wie einer dieser Kolosse im Neuen Hafen ankerte. In spätestens einer Stunde würde es in der Altstadt nur so wimmeln von den heutigen Kreuzrittern. In Buenos Aires und Montevideo war es ähnlich gewesen. Zigtausende Touristen waren tagsüber auf Landausflug gegangen. In diesen großen südamerikanischen Städten hatten sie sich allerdings besser verteilt als hier.
Er fragte sich, was all die Menschen, die tagtäglich diese Insel heimsuchten, auf der nur zehntausend Menschen lebten, hier wollten. Außer anderen Touristen bekamen sie nicht viel zu sehen.
Ein zweites Kreuzfahrtschiff näherte sich. Ein drittes lag sowieso seit gestern Abend vor Anker.
***
Zurück in seiner Pension, streckte Alexander sich auf dem quietschenden Bett aus und versuchte, sich einen Plan für die Begegnung mit dem Hotelbesitzer zurechtzulegen.
Die Luft im Zimmer war stickig. Es gab keine Klimaanlage. Der altmodische Tischventilator machte fürchterlichen Krach.
Alexander öffnete das Fenster. Als lautes Stimmengewirr und hysterisches Gelächter zu ihm heraufdrangen – die Kreuzfahrer schienen bereits die Gassen der Chora unsicher zu machen –, schloss er das Fenster wieder.
Er überlegte, ob er die Glock, die er dem Glatzkopf abgenommen hatte, mitnehmen sollte. In Südamerika hatte er meistens eine Browning HP mit aufgeschraubtem Schalldämpfer verwendet. Sie war bestens für seine Jobs geeignet gewesen. Die Browning ruhte längst in den Tiefen des Pazifischen Ozeans.
In der Regel tötete ein Mensch aus Habgier, Verzweiflung oder Rache. In seinem Fall war das Motiv viel banaler. Er musste irgendwie seinen Lebensunterhalt verdienen. Da er, außer Fischen, nichts gelernt hatte, war das Töten sein Geschäft geworden.
Am frühen Nachmittag mietete er für ein paar Stunden einen kleinen Suzuki-Geländewagen und machte sich auf den Weg zur berühmten Paradise Beach.
Der Portier in seiner Pension hatte recht gehabt. Offensichtlich wurde auf Mykonos kaum Geld für den Straßenbau ausgegeben. Alexander zockelte über unebenen Asphalt und musste öfters scharf abbremsen, um einem entgegenkommenden Wagen auszuweichen.
Der Süden der Insel war total zersiedelt. Zahlreiche Rohbauten verschandelten die hügelige Landschaft.
Paradise Beach. Fast hätte er das Schild übersehen.
Er bog ab. Die Verhüttelung setzte sich fort. Eine riesige Betonwüste umgab die Bucht.
Die Straße endete an einem Parkplatz. Er ging zu Fuß weiter. Schranken und Security erschwerten ihm den Weg zum Strand. Die halblustigen Graffitis an den Mauern hinter dem Eingang erinnerten ihn an einen Kindergarten. Als er durch eine hässliche Unterführung in einem der Betonklötze endlich an den Strand gelangte, wurde er von lauten Basstönen und Mark und Bein erschütterndem Gekreische empfangen.
Eine Menschentraube hatte sich vorne am Wasser versammelt. Alexander bahnte sich den Weg durch die Menge. Dank seiner Größe bemerkte er bald, was die Sensationsgier der Leute erregt hatte, er musste gar nicht näher heran. Auf einem breiten, mit dunkelrotem Stoff überzogenen Sonnenbett vögelte ein Mann eine Frau von hinten. Die geilen Zuschauer, die mit ihren Handys die Szene filmten, feuerten den Mann mit derben Kommentaren an. Offenbar konnte er nicht kommen.
Wahrscheinlich hat er Viagra geschluckt, dachte Alexander, der mit dieser Pille gewisse Erfahrungen hatte. Um seine unersättliche russische Freundin in Wien zu befriedigen, hatte er eine Zeitlang die hellblauen Pillen genommen, bis ihn eines Tages ein Arzt wegen seines hohen Blutdrucks davor gewarnt hatte.
„Na, mach schon! Komm endlich! Hast du noch immer nicht genug?“, schrie einer der Männer, die das Liegebett umringten, auf Deutsch.
Kopfschüttelnd wandte sich Alexander ab und schlenderte zur Bar.
Unattraktive junge und ältere, sehr aufgetakelte Frauen, alle in Stringtangas, lungerten an der Theke herum, taxierten ihn mit hungrigen Blicken. Je hässlicher die Gesichter, desto nackter die Ärsche, dachte er, ignorierte die Damen und bestellte einen Espresso bei dem herbeieilenden Barmann.
Die Blicke der Frauen belästigten ihn nicht länger. Sie schienen kapiert zu haben, dass er ihnen keinen Drink spendieren würde. Vielleicht hielten sie ihn auch für schwul. Es war ihm egal.
Große Brüste schienen momentan nicht in zu sein. Vor ein paar Jahren liefen zumindest an den mexikanischen Stränden viele Frauen