Anne Frank - Aus dem Tagebuch. Anne Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783129090633
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es still ist. Ich wäre so froh, wenn jemand von unseren Beschützern29 hier schlafen würde. Sonst ist es hier überhaupt nicht so schlimm, denn wir können kochen und unten in Papis Büro Radio hören. Herr Kleiman, Miep und Bep haben uns sehr geholfen. Wir haben sogar schon Obst gehabt. Ich glaube auch nicht, dass uns hier langweilig wird. Wir haben viele Bücher und wir kaufen noch viele Spiele. Natürlich dürfen wir nie aus dem Fenster sehen oder hinausgehen. Am Tag müssen wir immer sehr leise gehen und leise sprechen, denn im Lager dürfen sie uns nicht hören.

      (…)

      Gerade ruft mich jemand.

Deine Anne

      imageÜbungen

      Text 7

Freitag, 14. August 1942

      Beste Kitty!

      Einen Monat musstest du warten, aber es passiert auch wirklich nicht viel. Nicht jeden Tag kann ich etwas Schönes erzählen. Van Daans sind am 13. Juli gekommen. Wir dachten, sie kommen am 14., aber es gab immer mehr Aufrufe von den Deutschen. Deshalb zogen van Daans einen Tag früher um. Das fanden sie sicherer.

      Morgens um halb zehn (wir saßen noch beim Frühstück) kam Peter van Daan. Der ist ein ziemlich langweiliger, schüchterner30, riesiger Typ, und noch nicht sechzehn. Ich glaube nicht, dass es mit ihm sehr interessant und spannend wird. Herr und Frau van Daan kamen eine halbe Stunde später.

      Frau von Daan hatte zu unserem großen Vergnügen ihren Nachttopf31 in einer Schachtel dabei. „Ohne Nachttopf fühle ich mich nirgendwo zu Hause“, erklärte sie. Der Nachttopf bekam auch gleich einen festen Platz unter dem Bettsofa. Herr van Daan brachte keinen Topf mit. Er hatte einen kleinen Tisch unter dem Arm.

      Wir aßen am ersten Tag gemütlich zusammen, und nach drei Tagen hatten wir alle sieben das Gefühl, dass wir jetzt eine große Familie sind. Selbstverständlich konnten van Daans viel erzählen. Sie hatten ja eine Woche länger in der Welt draußen verbracht. Uns interessierte auch sehr, was mit unserer Wohnung und dem Nachbarn Herrn Goldschmidt passiert war.

      Herr van Daan erzählte: „Montagmorgen um neun Uhr rief Goldschmidt an. Er fragte, ob ich mal schnell kommen kann. Ich ging sofort hin. Er war sehr aufgeregt. Ich sollte den Zettel lesen, den Sie in der Wohnung gelassen hatten. Er wollte die Katze zu Nachbarn bringen, so wie es auf dem Zettel stand. Das fand ich sehr gut. Er hatte Angst vor einer Hausdurchsuchung 32. Deshalb gingen wir durch alle Zimmer. Wir nahmen die Sachen vom Tisch und räumten ein bisschen auf. Plötzlich entdeckte ich auf Frau Franks Schreibtisch einen Zettel, auf dem eine Adresse in Maastricht stand. Ich wusste ja, dass Frau Frank den Zettel dort mit Absicht hingelegt hatte. Aber ich tat so, als wäre ich sehr überrascht und erschrocken. Ich bat Herrn Goldschmidt dringend, den Zettel zu verbrennen. Die ganze Zeit hatte ich gesagt, dass ich nichts davon wusste, dass die Franks weggehen wollten. Aber plötzlich hatte ich eine gute Idee. Ich sagte: ‚Jetzt fällt mir ein, was die Adresse bedeuten kann. Ich erinnere mich genau, dass vor ungefähr einem halben Jahr ein Offizier33 im Büro war. Das war ein Jugendfreund von Herrn Frank, der jetzt in Maastricht beim Militär war. Er wollte helfen, wenn es nötig ist. Wahrscheinlich hat er das gemacht. Er hat bestimmt die Franks nach Belgien und dann in die Schweiz gebracht. Erzählen Sie das auch den Bekannten, die vielleicht nach den Franks fragen. Aber sagen Sie besser nichts von Maastricht.‘ Dann ging ich. Die meisten Bekannten wissen es jetzt schon, denn ich habe diese Erklärung schon von mehreren Leuten gehört.“

      Wir fanden die Geschichte lustig, aber lachten noch mehr über die Phantasie der Leute. So hatte eine Familie morgens gesehen, wie wir alle vier auf dem Fahrrad vorbeigekommen waren. Und eine andere Frau wusste sicher, dass man uns mitten in der Nacht mit einem Militärauto abgeholt hatte.

Deine Anne

      imageÜbungen

      Text 8

imageFreitag, 21. August 1942

      Beste Kitty!

      Erst jetzt ist unser Versteck ein richtiges Versteck. Herr Kugler fand es nämlich besser, wenn wir vor den Eingang zu unserem Versteck einen Schrank stellen. (Es gibt viele Hausdurchsuchungen. Sie wollen versteckte Fahrräder finden.) Aber das muss natürlich ein Schrank sein, den man drehen kann und der wie eine Tür aufgeht. Herr Voskuijl hat das Ding gebaut. (Wir haben ihn inzwischen informiert, dass wir sieben uns hier versteckt haben, und er hilft uns gern.)

      Wenn wir nach unten gehen wollen, müssen wir uns jetzt immer erst bücken34 und dann einen Sprung machen. Nach drei Tagen hatten wir alle Beulen35 am Kopf, weil sich jeder an der niedrigen Tür stieß. Peter hat dann etwas Weiches an die Stelle an der Tür gemacht. Mal sehen, ob es hilft!

      Lernen tue ich nicht viel. Bis September mache ich Ferien. Danach will Vater mir Unterricht geben. Doch erst müssen wir die neuen Schulbücher kaufen.

      Viel passiert in unserem Leben hier nicht. Peters Haare sind frisch gewaschen, aber das ist nicht so etwas Besonderes. Herr van Daan und ich haben dauernd Streit. Mama tut immer, als ob ich ein Baby wäre. Und das mag ich überhaupt nicht. Peter finde ich noch immer nicht netter. Er ist ein langweiliger Junge. Er liegt den ganzen Tag faul auf seinem Bett, baut mal ein bisschen was aus Holz und ruht sich dann wieder aus. Er ist ja so dumm!

      Mama hat heute Morgen wieder ewig mit mir geschimpft. Wir haben nie die gleiche Meinung. Papa ist so lieb, auch wenn er mal fünf Minuten böse auf mich ist.

      Draußen ist schönes, warmes Wetter, und selbst in unserer Situation machen wir das Beste draus, soweit das geht. Wir legen uns dann eben auf dem Dachboden aufs Bett.

Deine Anne

      Text 9

Sonntag, 27. September 1942

      Liebe Kitty!

      Heute habe ich wieder eine so genannte „Diskussion“ mit Mutter gehabt. Das Schlimme ist, dass ich immer sofort anfange zu weinen. Ich kann es nicht ändern. Papa ist immer lieb zu mir, und er versteht mich auch viel besser. Ach, ich mag Mutter in solchen Momenten nicht und ich bin für sie auch eine Fremde. Das sieht man gleich. Sie weiß noch nicht einmal, wie ich über die normalsten Dinge denke.

      Wir sprachen darüber, dass man nicht mehr Dienstmädchen36 sagen sollte, sondern Haushaltshilfe37, und dass man das nach dem Krieg sicher machen muss. Ich war nicht gleich überzeugt. Und da sagte sie, dass ich oft über „später“ spreche und dann immer die große Dame spiele. Aber das ist überhaupt nicht wahr. Ich habe halt Wunschträume. Das ist doch nicht schlimm. Das muss man doch nicht so ernst nehmen. Papi hilft mir wenigstens. Ohne ihn würde ich das hier alles nicht aushalten38.

      Auch mit Margot verstehe ich mich nicht sehr gut. Es gibt in unserer Familie zwar nicht so einen Streit wie bei den van Daans, aber es ist trotzdem nicht immer gemütlich bei uns. Ich bin ganz anders als Margot und Mutter. Sie sind so fremd für mich. Ich verstehe mich mit meinen Freundinnen besser als mit meiner eigenen Mutter. Das ist schade, nicht wahr!

      Frau van Daan ist wieder beleidigt. Ihre Stimmung ist mal so und mal so. Sie schließt immer mehr von ihren eigenen Sachen weg. Schade, dass Mutter das nicht auch macht, immer wenn Frau Daan etwas wegschließt.

      Für manche Leute ist es wohl ein besonderes Vergnügen, wenn sie nicht nur ihre eigenen Kinder erziehen, sondern auch die Kinder von Bekannten. So sind auch die van Daans. Margot muss man nicht erziehen.


<p>29</p>

der Beschützer: jemand, der auf andere aufpasst und darauf achtet, dass ihnen nichts passiert

<p>31</p>

der Nachttopf: Topf, den man nachts als Toilette benutzt

<p>33</p>

der Offizier: Person, die im Krieg eine hohe Position hat und Anweisungen geben darf

<p>35</p>

die Beule: Stelle am Körper, die dick und blau wird, weil man sich gestoßen hat

<p>36</p>

das Dienstmädchen: alt: Angestellte in einem Haushalt

<p>37</p>

die Haushaltshilfe: Angestellte in einem Haushalt

<p>38</p>

aushalten: eine schwierige Situation ertragen