Was wir nicht schreiben durften. Suzanne Speich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Suzanne Speich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783905896916
Скачать книгу
so sass ich dann während des Abdankungsgottesdienstes in der St. Patricks-Kathedrale in der siebten Reihe, ganz links aussen, keine drei Meter von Leonard Bernstein entfernt, der mit Tränen in den Augen die Yorker Philharmoniker dirigierte, welche Mahlers Fünfte intonierten, als der Sarg aus der Kirche getragen wurde.

      Es war ein brütend heisser Tag, als der Sarg mit dem toten Senator, aufgebahrt auf der Plattform eines Aussichtswagens, mit einem Sonderzug nach Washington überführt wurde. Hunderttausende säumten die Strecke und jeder Gast auf dem Trauer-Zug kondolierte Edward, dem einzigen überlebenden von vier Kennedy-Brüdern, persönlich.

      Edward Kennedy beherrschte sich bewundernswürdig und lächelte sogar, als ich ihm die Hand drückte; wir kannten uns bereits flüchtig von einem früheren Gespräch. Also lächelte ich zurück und das Bild von diesem Augenblick erschien tags darauf im Blick. Dutzende von BLICK-Lesern riefen empört auf der Redaktion an: Wie konnte diese herzlose Journalistin an einem so furchtbaren Tag bloss lachen? Einer schnitt das Bild gar aus der Zeitung aus, malte ein Kreuz über meinen Kopf und sandte es an die Redaktion zurück.

      Es wurde aber tatsächlich nicht nur leise gelächelt, sondern auch laut gelacht auf dieser Fahrt, welche vier Stunden dauern sollte, aus denen dann aber über acht lange Stunden wurden, weil Hunderttausende von Zuschauern den Wegrand säumten, viele von ihnen kniend. Acht Unglückliche wurden gar, auf einem Nebengleis stehend, von einer Rangierlok angefahren und verloren ihre Beine. Von diesem Augenblick an fuhr unser Zug nur noch ganz langsam, manchmal fast im Schritttempo. Die Beisetzung auf dem Nationalfriedhof von Arlington musste vom frühen Abend auf nachts um elf Uhr verlegt werden, was den Secret Service vor riesige Probleme stellte: Der amtierende US-Präsident, Lyndon B. Johnson, und Hunderte von Prominente zur Geisterstunde auf einem nachtschwarzen Friedhof!

      Im Trauer-Zug war es weit über 30 Grad heiss, Kommunikation nach aussen gab es 1968 noch nicht, und die Gerüchte an Bord grassierten, wie immer, wenn irgendwo mehr als 30 Journalisten an einem Ort zusammensitzen und nichts zu tun haben ausser trinken. Nach der geplanten Reisedauer von vier Stunden waren die Softgetränke alle weg, und im Bar-Waggon wurde nur noch Alkohol – gegen den Durst! – ausgeschenkt. Hard stuff, kein Wein, und ich sah an der Bar die dreifach für den Oscar nominierte Shirley MacLaine ungeniert mit ihrem schwarzen Filmkollegen Sidney Poitier schmusen, Kennedy-Kinder rannten lachend durch den Zug, und es wurde getratscht, wie es nur möglich ist, wenn drei Dutzend Journalisten zusammen auf engstem Raum sitzen.

      Immer mal wieder, wenn eine junge Frau an uns vorüber die Bar ansteuerte, sagte ein US-Kollege, «Sekretärin im Weissen Haus, war auch eine von Kennedys Affären …» Damals wusste die Öffentlichkeit noch nicht, dass es nebst JFKs tausend Tagen im Weissen Haus auch tausend heisse Nächte gegeben hatte; für die Welt war er damals noch immer der treuliebende Ehemann der bewunderten Jackie. Ich wusste, das war meine grosse Story für die Zeit nach der Trauer und quetschte auf der restlichen Zugfahrt jeden im Weissen Haus akkreditierten Journalisten aus, den ich finden konnte.

      Sie redeten alle bereitwillig, es war ja seit Jahren ihr bevorzugtes Gesprächsthema unter Kollegen gewesen. Ein Thema, das viel zu heiss war, um je seinen Weg in eine US-Zeitung zu finden! Ich erfuhr, dass es Hunderte von Frauen gewesen waren, manchmal mehr als eine pro Nacht. Und nach dem vierten Whiskey pur rückte dann einer mit der ganz grossen News heraus: Auch Marilyn sei eine seiner Affären gewesen, die grosse Monroe, inzwischen auch verstorben.

      Ich wusste, das war DIE Sensation und konnte es kaum erwarten, das zu Hause auf der Redaktion zu erzählen. Zuerst gab’s Gelächter, dann ungläubiges Kopfschütteln, dann ein energisches «Vergiss’ es, das ist für den BLICK ein absolutes No Go» von Chefredaktor Martin Speich. «Aber uns in der Schweiz tun die doch nichts», wandte ich ein, «wir hätten einen world scoop, alle würden uns zitieren!» Speich blieb hart: «Nicht wir, nicht nach dem Papst». (Blick hatte den Tod des am Pfingsten 1963 verstorbenen Papst Johannes XXIII. drei Tage zu früh vermeldet, was zu einem schweizweiten Skandal geführt hatte.)

      Ich versuchte es in den folgenden Wochen und Monaten immer und immer wieder, die Affäre John F. Kennedy und Marilyn Monroe war mein ceterum censeo, doch die Redaktion blieb hart.

      Die Jahre gingen ins Land und der Lack am Namen Kennedy begann zu blättern. Senator Edward Kennedy vergab alle Chancen auf eine Präsidentschaft, als er nach dem Unfall von Chappaquiddick angetrunken Fahrerflucht beging, und JFK-Witwe Jackie Kennedy heiratete den hässlichen, alten, steinreichen griechischen Reeder Aristoteles Onassis.

      Damit waren die Kennedys nicht mehr unantastbar, und die Story von der Affäre zwischen dem Präsidenten und Hollywoods schönster Sexbombe wurde doch noch geschrieben, nicht von der kleinen Reporterin aus der Schweiz, sondern vom zweifachen Pulitzerpreisträger Norman Mailer. Am Tag, nachdem 1974 Mailers Biographie «Marylin» bei Spring Books erschienen war, wusste es die Welt, und von da an durfte es jede Zeitung (ab)schreiben, auch der BKICK.

image

       Zeitungsausschnitt aus der BLICK-Ausgabe vom 6. Juni 1968

       Ärger mit der Apartheit und mit dem Schah

       Charlotte Peter

      Nicht gestoppt wurden meine kämpferischen Artikel gegen die Apartheit in Südafrika, was Folgen hatte. Es begann auf dem Flughafen von Johannisburg, ich kam von den Unabhängigkeitsfeierlichkeiten in Tansania und verabschiedete mich von einem indischen Kollegen aus Delhi, der in den Transit verschwand. «Here you can’t talk with a coloured», fauchte mich ein Uniformierter an. Der nächste Ärger wartete an der Passkontrolle. Ich hatte auf dem Einreiseformular als Rasse «european» angeben, was gestrichen und durch «white» ersetzt wurde. Wenig später erfuhr ich, dass Afrikaner nicht mit einem Messband arbeiten dürfen, denn das galt als qualifizierte, also den Europäern vorbehaltene Arbeit. Ich sah die vielen «white only»-Schilder, die Slums, die Misere, fühlte Unbehagen und Angst – Südafrika war nicht mein Land.

      Doch ich war nicht zum Sightseeing, sondern zum Arbeiten da, auf meinem Programm stand ausser den Löwen im Krügerpark und dem Tafelberg in Kapstadt auch ein Interview mit einem weissen Südafrikaner über die Rassenprobleme. Der Mann war mir von der südafrikanischen Botschaft in Bern vermittelt worden. Er stammte ursprünglich aus Deutschland, hatte sich unter Hitler mit Rassenfragen beschäftigt und war strohdumm. Die Apartheid diene allein dem Schutz der weissen Frauen und sei von Gott befohlen, meinte er. Darauf pries er das lebendige Kulturschaffen in Jobu (Johannisburg), wo gerade das «Weisse Rössl» gespielt werde.

      Zwei Wochen später stellte ich in Lome (Westafrika) die gleichen Fragen einem schwarzen Afrikaner, hoher Beamter, Sohn eines Häuptlings, Absolvent der Sorbonne in Paris, kultiviert und blitzgescheit. Wir unterhielten uns in gepflegtem Französisch bestens, sprachen über die feinen Bronzen von Ife, Benin und Ajanta, hofften auf Aussöhnung der Rassen durch Bildung und auf das baldige Ende der Apartheid in Südafrika. Die beiden Interviews erschienen, ergänzt durch noble Kunst aus Westafrika sowie der Übersetzung des Rassengesetzes aus dem Unrechtstaat. Die Reaktion kam schnell, Leser lachten oder empörten sich, Kollegen druckten besonders groteske Passagen aus dem Rassengesetz ab, zum Beispiel: in Bahnhöfen und Restaurants muss es fünf Toiletten geben, eine für schwarze Männer, eine für weisse Männer, eine für schwarze Frauen, eine für weisse Frauen und eine für schwarze Kindermädchen mit weissen Kindern. Auf der Redaktion aber erschienen zwei Diplomaten aus Bern und bedauerten, ich hätte die Apartheid wohl falsch verstanden, zudem wurde mir geraten, künftig dem Süden von Afrika fernzubleiben. Allzu kritische Berichte über Südafrika waren wenig gefragt, die Geschäfte gingen vor. Ein gefälliger Polit-Reporter hatte stets ein First Class-Ticket nach Jobu in der Tasche. Ich aber wartete auf Nelson Mandela, stand zehn Jahre später wieder auf dem Flughafen von Jobu, hoffte, die Liste mit den unerwünschten Journalisten hätten die Haie gefressen und ging bei der Passkontrolle zur dunkelsten Beamtin. Sie drückte mir lächelnd den Stempel in den Pass.

      Wenig Glück hatte ich mit dem Schah von Persien. Die Emserwerke, an denen mein Vater beteiligt war, planten am persischen Golf ein riesiges petrochemisches