Der Duft der Aprikosen. Jutta Mattausch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jutta Mattausch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783864102691
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anerkennend. »Haben wir zufällig auch Milch?«

      Rigzin schüttelte den Kopf.

      »Was soll’s. Fangen wir mal an«, schlug ich vor.

      Tundup steuerte nur selten etwas zu unserem Mittagessen bei. Bei ihm zu Hause reichte es gerade für das Nötigste, und es war selbstverständlich, dass wir das Essen mit unserem Freund teilten. Aber dieses Mal überraschte er uns mit einem verknüllten Leinenbeutel, den er aus seinem Mantel zog. Zucker! Weiße süße Kristalle, durch lange Transporte angestaubt, mit Lastwagen in Säcken über die Pässe des Himalaya befördert.

      »Woher ist der? Hast du einen Lastwagen geplündert?« Ich traute Tundup so etwas sofort zu.

      Aber er grinste bloß. Tundup war unser Chef, somit erübrigten sich weitere Nachfragen. »Von Onkel Angchuk, weil ich meine Arbeit gut mache«, erklärte Tundup schließlich bereitwillig. »Was habt ihr denn gedacht … den brauchen wir später zum Tee.«

      Eine Thukpa wollten wir kochen, Nudelsuppe mit Brennnesseln. Zarte junge Brennnesseln wucherten zu der Zeit üppig auf der Wiese, und es dauerte nicht lange, bis wir genug davon gezupft hatten.

      »Steck bloß keine Ziegenköttel mit ein!«, neckte ich Tundup, und er verzog sein Gesicht zu diesem trockenen Grinsen, dieser speziellen Tundup-Mimik, die ich nie ganz durchschaute, und obwohl er mein bester Freund war, verstand ich oft nicht, welche Gedanken und Gefühle sich hinter dieser Fassade verbargen.

      »Wenn schon, die Ziegen haben auch bloß Gras und Brennnesseln gefressen«, erwiderte er.

      Als wir mit unseren vollen Taschen zurückkamen, hatte Rigzin ein Feuerchen entfacht, über dem das Wasser im Topf kochte. Wir kneteten den Teig, zupften ihn auseinander und gaben ihn mit den Brennnesseln, Tomatenstücken, etwas Salz und Chilis in den Topf. Die Suppe schmeckte herrlich und nach dem Essen dösten wir träge in der Sonne, bis Rigzin einen lauten Schrei ausstieß: »Leute, Steinadler! Genau über uns.«

      Ich riss die Augen auf. Tatsächlich. In dem makellos blauen Himmel zogen zwei schwarze Punkte weite gleichmäßige Kreise, und zwar in jener eigentümlichen Ruhe, wie nur starke, selbstbewusste Lebewesen dies taten.

      »Was machen die denn hier?«, rief Tundup. »Sie sollten viel weiter oben in den Bergen sein.« Mit einem Ruck war er auf den Beinen und wies uns an: »Beobachtet sie und pfeift, wenn sie an Höhe verlieren. Habt ihr verstanden?«

      Nervös beobachteten wir die Adler, als ich bemerkte, wie eine Ziege ins Geröll hinaufkletterte. Sie wäre die perfekte Beute! Im Jahr zuvor hatte ein Steinadler eines meiner Schäfchen vom Hang weggeholt.

      Ich begann zu schwitzen und rannte den Hügel hinauf. In meinem Kopf hämmerte es. Wie Vater schimpfen und mich wieder einmal einen Nichtsnutz nennen würde, wenn wir auch dieses Jungtier an einen Adler verlieren würden. Meine bloßen Füße berührten hartes Gestrüpp, bis ich aus der Ferne Pfiffe und Rufe hörte.

      »Hey, Norbu, komm zurück, alles in Ordnung.«

      Ich blieb stehen und schaute nach oben. Nicht ein schwarzer Fleck war in diesem unglaublichen Blau zu sehen.

      »Sie sind doch längst abgedreht.« Tundup lachte, als ich bei meinen Freunden ankam. »Wirst du schnell nervös, Junge!«

      Während ich mich langsam beruhigte, hatte Tundup bereits das Thema gewechselt.

      »Wisst ihr eigentlich, warum ein Adler wegfliegt, wenn du laut pfeifst?« Er kaute an einem frischen Weidenblatt. Da Rigzin und ich ratlos mit den Schultern zuckten, gab er selbst die Antwort: »Weil der Pfiff sein Hinterteil kitzelt. Deshalb zwickt er es zusammen und schießt dadurch automatisch vor. Wie ein Pfeil.«

      Oft bezweifelte ich, dass Tundup seine Worte ernst meinte. Dann schob ich meine Zweifel schnell beiseite. Letztlich wollte ich ihm einfach glauben. Und ihn bewundern. Tundup war klug und mutig. Und er hatte ein feines Gespür für die Gesetze und Launen der Natur. Mein Onkel Angchuk setzte großes Vertrauen in Tundup und erzählte oft, wie sicher seine Tierherde bei ihm aufgehoben sei. Tundup konnte sogar einem Muttertier beim Gebären helfen, griff ohne Scheu in ihr Inneres, um den Nachwuchs in die Welt zu holen. Anschließend rieb er das Neugeborene mit Gras trocken, wickelte es in ein Tuch und trug es behutsam, das blökende Muttertier an der Seite, nach Hause in den Stall.

      Die Erde war noch aufgeheizt von der Sonne, als wir ausschwärmten, um die kostbare Hinterlassenschaft unserer Tiere einzusammeln und zum Trocknen auszulegen. Jeder von uns hatte seinen eigenen Stein, auf den wir unsere Fladen mit der Hand plattdrückten. Die getrockneten Stücke vom Vortag packten wir in unsere Weidenkörbe, wobei wir gut aufpassten, dass keiner einen Fladen vom anderen stibitzte, Freundschaft hin oder her.

      Längst hatten die Schatten sich über den Fluss im Tal gesenkt, als wir uns auf den Heimweg machten. Die Zicklein und Kälber sprangen ungeduldig und in Vorfreude auf die schweren Euter ihrer Mütter umher.

      Mutter und meine große Schwester Yangchen warteten schon, als ich mit dem letzten Tageslicht endlich zu Hause eintraf. Ich war müde und wäre am liebsten gleich ins Haus gegangen, doch musste ich die Jungtiere noch in den Stall bringen. Meine Mutter nahm mir das erste Kalb ab und führte es zu dessen Mutter, die es aufgeregt abschleckte und begrüßte, während ihr Kleines gierig nach dem vollen Euter suchte.

      Als das Kälbchen lange genug getrunken hatte, zog ich es behutsam weg. »Mach eine Pause«, murmelte ich und rieb seine hellbraune Blesse, »und teile bitte deine Milch mit uns.« Ich wiederholte diese Worte, die meine Api schon immer in die weichen Ohren unserer Kälbchen und Zicklein geraunt hatte. »Ein Tier ist ein Lebewesen wie du und ich. Wenn du also seine Hilfe benötigst, mach es dir zum Freund. Nur mit Respekt wirst du ihre Unterstützung bekommen«, hatte Api uns Kinder immer ermahnt.

      Das störrische Kälbchen wollte sich nicht losreißen, und es kostete mich einige Mühe, es von seiner Mutter zu trennen.

      Yangchen knuffte mich freundlich in die Seite und schickte mich mit einer Handbewegung aus dem Stall. Währenddessen ergriff Mutter mit sicherer Hand das Euter und ließ die glänzende fette Milch in den bereitgestellten Lederbeutel fließen. Als der Lederbeutel halb gefüllt war, richtete sie sich auf und schob eine Haarsträhne unter ihr Kopftuch. Sie lächelte.

      »Nunu Norbu, du darfst nun gehen. In der Küche stehen Buttermilch und frisches Brot.«

      Dankbar leerte ich meinen Korb, stapelte die gesammelten Dungfladen auf den sorgsam aufgebauten Haufen und betrat den Hausflur. Dort standen ein paar Säcke mit Stroh, zwei alte Benzinkanister zum Wasserholen, auf dem gestampften Lehmboden lagen Schnüre, Seile und anderer Kleinkram. Unsere gefleckte graue Katze, die auf einem der Strohsäcke gedöst hatte, schrak auf und rannte in den Stall; sie wusste, dass sie von Mutter eine Schüssel Milch bekommen würde. Schließlich fiel mein Blick auf zwei weitere Säcke. Sie waren prall gefüllt mit Äpfeln aus unserem Garten. Das konnte nur bedeuten, meine Api würde auf den Markt nach Leh gehen. Die Äpfel aus unserem Dorf waren in der Hauptstadt begehrt, und immer wenn Api von dort zurückkam, brachte sie Geldscheine und ein Geschenk für mich mit.

      Ich stieg die steile Treppe in den ersten Stock hinauf. Angenehm dunkel und kühl war das Haus, denn es gab nur kleine Fenster, damit im Winter die Kälte und im Sommer die Hitze abgehalten wurden. Mit einem Fußtritt schob ich die schwere knarzende Holztür zur Küche auf.

      Die Küche war der größte und wichtigste Raum des Hauses. Hier kam die Familie zusammen, Gäste wurden empfangen und meine Geschwister machten ihre Schulaufgaben. Außerdem schliefen wir in der Küche, außer im Sommer, wenn wir auf dem Hausdach unser Lager aufschlugen. Der Mittelpunkt des Raums war ein riesiger Ofen aus gebranntem Lehm. Er hatte drei Löcher auf der Deckplatte, über denen gekocht wurde. Durch ein seitliches Loch wurde das Brennmaterial hineingeschoben. Neben dem Herd entlang der Wand war auf Holzregalen das Geschirr aufgestellt: große Kannen für Tee und Chang aus Messing, kunstvoll gehämmert und verziert, Becher und Löffel, ebenfalls aus Messing. Auf der Erde standen drei Tonkrüge zum Aufbewahren von Buttermilch. Bald würde Yangchen einen Teil dieses Hausrats für ihre Aussteuer bekommen.

      Entlang der linken Wand lagen schmale