Wie ein Schwur klang es.
Und Ditscha musste sehen, dass sie zur Tür kam. Die dumme Röte war
ihr nun schon wieder zu Kopf gestiegen …
*
Es war Abend. Im urgemütlichen Erker der Wohnstube, Frau Melanies Reich, brannte schon die Lampe. Zwischen grünen und blühenden Pflanzen stand da der zierliche Nähtisch der Hausfrau. In dem bequemen, mit Gobelinstickerei verzierten Lehnstuhl saß die Baronin und hielt den aschblonden Kopf über den Stickrahmen gebeugt.
Melanie Born war noch eine Dame vom alten Schlag – eine, die gelernt hatte, dass es der Frau, egal welchen Standes, nicht wohl ansteht, die Hände müßig in den Schoß zu legen. Darum liebten die Dienstleute ihre Herrin abgöttisch und gehorchten ihr auf den leisesten Wink. Wussten sie doch, dass diese zarten, gepflegten Hände jederzeit mit zugreifen konnten, wenn Not am Mann war. Frau Melanie wusste, was es heißt: ein Vorbild sein. Schwer war es mitunter, das eigene Ich hintanzustellen, aber auch lohnend.
Ihr zu Füßen, auf einem Korbstühlchen, saß Marianne und förderte ihre Häkelarbeit. Aber die kleinen braunen Hände waren heute nicht mit dem gewohnten Eifer bei der Sache.
»Muttchen?«
»Ja, mein Kind?«
Marianne ließ die Arbeit sinken und sah fragend zur Mutter empor. »Muttchen, warum verkehren wir eigentlich nicht mit Herrn von Ellern?«, fragte sie mit etwas unsicherer Stimme.
Eine zarte Röte färbte Frau Melanies Antlitz. »Wie kommst du darauf, Marianne?«
»Ach – nur so … Es fiel mir eben ein!«
»Vater wird seine Gründe haben.«
Marianne seufzte. Den Ton kannte sie. Niemals hätte die Mutter eine Kritik an einer Entscheidung des Vaters laut werden lassen. Aber diesmal gab sich Marianne nicht damit zufrieden.
»Hat Herr von Ellern – ich meine Leonhard von Ellern – Papa beleidigt?«, forschte sie weiter. »Ist es ein Geheimnis, über das man nicht reden darf?«
Frau Melanie seufzte. Wie hartnäckig die Kleine sein konnte – ganz wie der Vater. Behutsam die Worte wägend, erwiderte sie: »Es ist kein Geheimnis, Muck. Papa will nur nicht an diese alte Geschichte erinnert werden, und diesen Wunsch haben wir zu respektieren.«
»Sicher, Muttchen. Ich frage ja auch nicht Papa, sondern dich«, sagte Marianne mit entwaffnender Logik.
Frau Melanie kämpfte mit sich. Sollte sie ihrer angeborenen Wahrheitsliebe nachgeben oder ihrer anerzogenen Abneigung dagegen, irgend etwas ohne Wissen und Zustimmung des Gatten zu sagen oder zu tun? Endlich siegte doch ihre Wahrheitsliebe.
Sie fuhr fort, zu sticken, Stich auf Stich mit Seidengarn auf den vom Rahmen gespannten Batist zu legen. »Herrn von Ellerns Vater hat Papa beleidigt«, antwortete sie. »Er war – etwas zu galant gegen mich, als ich noch mit Papa verlobt war. Als Papa ihn deshalb zur Rede stellte, wurde Maximilian von Ellern handgreiflich. Papa blieb nach dem damals und auch noch heute herrschenden Ehrenkodex nichts anderes übrig, als Herrn von Ellern zu fordern.«
»Ein Duell? Erzähle weiter, Muttchen! Das ist ja riesig spannend.«
Frau Melanie schüttelte mit sanftem Vorwurf den Kopf. »Diese jungenhaften Ausdrücke höre ich gar nicht gern aus deinem Mund, Marianne. Ein Duell ist auch durchaus nicht spannend, sondern ein Ereignis von schwerwiegender Bedeutung.«
Marianne schluckte den Tadel hinunter. »Ja, Muttchen! Verzeih! Aber wie ist es denn ausgegangen? Ich meine das Duell. Wer hat gesiegt?«
»Bei einem Duell gibt es weder Sieger noch Besiegte.«
Frau Melanie war sehr ernst geworden. Die Hand, die die Nadel führte, zitterte leicht. »Dein Vater traf Herrn von Ellern an der Hüfte und verletzte ihn schwer. Herr von Ellern behielt davon ein steifes Hüftgelenk zurück. Dein Vater wurde nur an der Schulter gestreift. Das alles liegt schon fünfundzwanzig Jahre zurück. Herr von Ellern war damals bereits Witwer.«
Mariannes Atem ging schneller. Ja, fünfundzwanzig Jahre! Endlos lang kam ihr diese Zeitspanne vor. Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Aber, Muttchen! Leonhard von Ellern war doch damals erst fünf Jahre alt! Er hat doch mit der ganzen Sache nichts zu tun! Und der alte Herr ist tot. Ich verstehe nicht, warum Papa auch von Leonhard von Ellern nichts wissen will. Verstehst du es, Muttchen?«
»Es steht uns nicht zu, an deinem Vater Kritik zu üben. Vielleicht will er nicht an jenes schreckliche Ereignis erinnert werden. Wie dem auch sei: Du hast seine Einstellung zu respektieren.« Frau Melanie griff wieder nach der Nadel, wie um anzudeuten, dass sie nicht weiter über die Sache zu sprechen gewillt war.
Aber vor ihrem inneren Augen erschien das Bild eines schlanken dunkelhaarigen Mannes mit lachenden Augen: Maximilian von Ellern. Vielleicht war sie schuld daran gewesen, dass Karl Ludwig ihn zum Krüppel geschossen hatte? Nein, sie hatte den Charmeur Ellern nicht ermutigt, das gewiss nicht. Aber sie hatte seine Huldigungen auch nicht zurückgewiesen – jedenfalls nicht energisch und unmissverständlich genug. Vielleicht – Frau Melanie wagte den Gedanken kaum zu Ende zu denken – hatte sie sich sogar ein wenig gesonnt in der Wärme dieser bewundernden Blicke? Und wer weiß – wenn die Eltern die Verbindung mit Baron Born nicht so ausdrücklich gewünscht hätten, vielleicht wäre es dann der junge Witwer Maximilian von Ellern gewesen, dem sie die Hand fürs Leben gereicht hätte.
Ach, wozu darüber nachdenken? Es war fast ein Vierteljahrhundert seither vergangen. Der alte Ellern schlief seit sechs Jahren den Ewigen Schlaf in der Ellernschen Familiengruft. Frau Melanie dachte kaum mehr an jene Zeit voller Herzensnot zurück. Warum hatte das Kind all dies Begrabene wieder ans Licht zerren müssen?
*
Mein gutes Muttchen!
Du wirst schon wissen, was Dein ungeratener Sohn von Dir will, noch ehe Du das Kuvert geöffnet hast. Und Du hast recht, Muttchen – recht wie immer! Berlin ist ein teures Pflaster und Dein Egon ein schwaches Menschenkind. Aber lege Deine hübsche Stirn nicht in Sorgenfalten. Gestern, in der elendsten Katzenjammerstimmung, bin ich über mich selbst zu Gericht gesessen und habe das strengste Urteil über mich verhängt. Es lautet: kein Kartenspiel mehr in Zukunft! Es soll wirklich und wahrhaftig das letzte Mal sein, dass ich Dir, mein bestes Muttchen, Kummer bereite. Hilf mir nur noch diesmal aus der Patsche, Muttchen! Ich will mich bessern, so wahr ich ein unnützer Schlingel namens Egon Born bin!
Du hast mir bei meinem letzten Besuch so lieb ins Gewissen geredet. Aber sieh, Muttchen, eine Frau kann sich gar nicht vorstellen, was für Versuchungen ein lebenslustiger junger Mann – und nun gar ein Leutnant! – ausgesetzt ist. Da gibt es Kartenpartien, Zechereien, Bälle, Landpartien – ach, und noch so mancherlei, was uns lockt. Das Leben ist ja so köstlich – und man ist nur einmal jung. Später einmal, wenn ich meinen Abschied genommen und meine Zelte für immer in Bornhagen aufgeschlagen habe, werde ich mich gewiss zu einem Muster aller Tugenden mausern. Dann soll selbst mein gestrenger Herr Papa nichts mehr an mir auszusetzen haben.
Du meinst, ich solle mich an Vater wenden und Dich nicht zu meiner Komplizin machen, wie Du es ausdrückst. Aber sieh, Muttchen, ich weiß ja, dass Papa mir helfen würde. Doch diese Hilfe wäre verpackt in tausend Ermahnungen und Vorwürfen – und ein Heer von Befehlen käme hintendrein. Ist es so unbegreiflich, dass ich mich dem zu entziehen trachte? Papa ist sehr gut, aber auch sehr eigensinnig. Ihn von einer vorgefassten Meinung abzubringen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Vielleicht wäre ich schon längst für immer nach Bornhagen zurückgekehrt, wenn ich nicht wüsste, was mich dort erwartet. Viel Gutes, Muttchen, gewiss, aber auch manches Unerträgliche. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, aber für Papa werde ich ewig der kleine Junge im weißen Röckchen bleiben, dessen Bild auf Deinem Tisch steht. Frag nur die Ditscha. Ich bin sicher, sie empfindet genauso wie ich. Der Muck freilich, Papas Hätschelkind, hat noch nichts davon zu kosten bekommen. Darum fällt es ihm auch leicht, sich unterzuordnen.
Was