Kinderärztin Dr. Martens 66 – Arztroman. Britta Frey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Frey
Издательство: Bookwire
Серия: Kinderärztin Dr. Martens
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740963538
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Oma ist ganz schlimm krank. Ich nehme euch erst einmal mit zu mir hinüber. Rachel, du bist ja schon groß. Pack ein paar Sachen und Schlafzeug in eine Tasche, damit wir in meine Wohnung gehen können.«

      »Und unsere Omi? Wir können sie doch nicht allein lassen, wenn sie so krank ist. Ich will erst einmal zu meiner Omi.«

      Rachel wollte eilig das Zimmer verlassen, doch Anni Köhler hielt sie sanft am Arm fest und sagte: »Nun sei mal schön vernünftig, Mädchen. Weißt du, der Doktor hat deine Omi ins Krankenhaus gebracht. Dort muß sie eine Weile bleiben. Ich habe doch schon gesagt, daß ich euch mit zu mir nehme, da könnt ihr in der kommenden Nacht schlafen. Ihr seid noch zu klein, um allein hier im Haus zu bleiben. Jetzt zeigt ihr mir, wo eure Sachen sind, damit ich euch rasch etwas einpacken kann, das geht schneller.«

      »Ich will aber hierbleiben, ich will nicht weg.« Nun begann die kleine Pola zu weinen.

      Tröstend legte Anni Köhler einen Arm um die Fünfjährige und sagte tröstend: »Nicht traurig sein, Schätzchen. Es dauert bestimmt nur ein paar Tage, dann ist eure Omi wieder bei euch zu Hause.«

      Wenige Minuten später verließ Anni Köhler mit den beiden Mädchen das Haus, schloß es ab und ging mit ihnen in ihre Wohnung.

      Als die beiden Mädchen am Abend endlich schliefen, sagte Anni Köhlers Mann: »Wie stellst du dir das vor, Anni? Willst du wirklich die Verantwortung für die Kinder übernehmen? Wer weiß, wie lange Frau von Birk im Krankenhaus bleibt. Mir gefällt es nicht, fremde Kinder im Haus zu haben.«

      »Geh, Kurt, reg dich nicht auf. Es ist doch nur bis morgen früh oder spätestens morgen mittag. Erstens kann man die Kinder nicht sich selbst überlassen, und zweitens haben die armen Dinger schon genug mitgemacht. Man muß doch ein Herz haben. Mich würde interessieren, wo der Vater der beiden Mädchen ist. Außerdem ist da auch noch die Samantha, die jüngere Tochter. Wenn ich nur wüßte, wo sie sich aufhält, dann könnte man ihr Bescheid geben. Wenn die vom Jugend­amt kommen und die Kinder abholen und sie in ein Heim stecken, gefällt mir das auch nicht. Die Mädchen können einem schon leid tun.«

      »Daran können wir nichts ändern. Für heute nacht haben sie ja eine Bleibe. Ich denke, für uns wird es jetzt auch Zeit. Du kannst ja Frau von Birk nach der Anschrift von Samantha fragen, sobald du sie im Krankenhaus besuchen darfst. Jetzt laß uns zu Bett gehen.«

      *

      Gegen Mittag des nächsten Tages ließ der Leiter des Jugendamtes Elke Jünte, eine der Sozialarbeiterinnen, zu sich kommen.

      »Ich habe hier einen Auftrag für Sie, Frau Jünte. Es geht um zwei Kinder, die von ihrer Großmutter betreut werden, die jedoch gestern mit einer Herzgeschichte ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Der einweisende Arzt hat uns davon unterrichtet, daß die Kinder, es handelt sich um zwei Mädchen, für die Nacht bei einer Nachbarin untergekommen sind. Kümmern Sie sich umgehend um die Sache. Wenn inzwischen keine Angehörigen aufgetaucht sind, bringen Sie die Mädchen zunächst ins Kinderheim ›Haus Maria‹. Bis es der Großmutter der Kinder bessergeht, sind sie dort hervorragend untergebracht. Sie sind ja mit diesen Vorgängen vertraut und werden an Ort und Stelle die richtige Entscheidung treffen. Ich verlasse mich ganz auf Sie. Name und Anschrift habe ich hier notiert.«

      Elke Jünte, eine energische junge Frau von zweiunddreißig Jahren, nahm die Notizen entgegen und verließ danach das Jugendamt, um ihren Auftrag auszuführen.

      Es war eine hübsche Gegend am Stadtrand von Celle, in der sich die Siedlung mit den Eigenheimen und Anliegerhäuschen befand, sehr sauber und gepflegt.

      Als Elke bei der vom Amt angegebenen Adresse, einer Familie Köhler, klingelte, öffnete eine ältere Frau die Tür. Freundlich sagte sie: »Guten Tag. Sie wünschen bitte?«

      »Guten Tag, bin ich hier richtig bei der Familie Köhler?«

      »Ja, ich bin Anni Köhler. Was kann ich für Sie tun?«

      »Ich komme vom städtischen Jugendamt, mein Name ist Jünte. Es geht um die Enkelkinder einer Frau von Birk.«

      »Bitte, treten Sie doch ein, Frau Jünte. Im Augenblick spielen die beiden Mädchen hinten im Garten.« Anni Köhler führte die Besucherin in ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer und fragte: »Soll ich die Mädchen sofort holen, Frau Jünte?«

      Elke Jünte schüttelte den Kopf und antwortete: »Das hat noch Zeit, Frau Köhler. Ich möchte mich zuerst ein paar Minuten mit Ihnen allein unterhalten. Es sind da so einige Fragen zu klären. Zuerst wüßte ich gern, ob hier in der Nähe Angehörige von Frau von Birk leben. Ist Ihnen darüber etwas bekannt?«

      Anni Köhler informierte die Beamtin über alles, was sie über die Familie von Birk wußte und schloß mit den Worten: »Wenn es anders gewesen wäre, hätte ich die beiden Mädchen wohl kaum zu mir genommen. Ich würde die Kinder gern weiter betreuen, doch erstens bin ich auch nicht mehr die Jüngste, und dann ist es auch nicht so einfach, die Verantwortung für zwei fremde Kinder zu übernehmen. Mir tun die beiden Mädchen leid. Es ist eine traurige Sache. Aber was kann man da machen? Sobald Frau von Birk Besuch empfangen darf, werde ich sie nach der Anschrift der jüngeren Tochter fragen, damit ich mich dann mit ihr in Verbindung setzen kann. Was wird nun aus den beiden Mädchen?«

      »So wie die Dinge liegen, werde ich sie wohl vorübergehend in einem Kinderheim unterbringen, damit sie versorgt werden. Ich werde mit den Kindern reden und versuchen, es ihnen so behutsam wie möglich beizubringen.«

      Was für reizende Mädchen, mußte Elke Jünte denken, als Rachel und Pola wenige Minuten später zögernd hinter Anni Köhler das Wohnzimmer betraten und sie ängstlich ansahen.

      »Guten Tag, ihr beiden, ich bin Frau Jünte.«

      »Guten Tag, Frau Jünte«, sagte Rachel und reichte Elke ihre Hand. Pola dagegen versteckte ihre Hände hinter ihrem Rücken und wich einen Schritt zurück.

      »Willst du mir nicht auch guten Tag sagen, Kleine? Ich tu dir doch nichts.« Mit einem weichen Lächeln fuhr Elke der Fünfjährigen über den schwarzen Lockenkopf.

      Nun erst streckte die Kleine ihr zögernd eine Hand entgegen und sagte leise: »Guten Tag.«

      »Willst du mir nicht deinen Namen sagen? Ich möchte ihn gern wissen.«

      »Bin doch die Pola, und das ist die Rachel«, sagte die Kleine und zeigte auf ihre größere Schwester.

      »Soso, Rachel und Pola. Das sind aber zwei sehr hübsche Namen. Jetzt setzt euch mal beide hin, ich muß nämlich mit euch reden.« Mit einem aufmunternden Lächeln sah Elke die beiden Mädchen an, die sich gehorsam nebeneinander auf die Couch setzten und sie schweigend ansahen.

      Behutsam begann die junge Beamtin: »Ihr wißt ja beide, daß eure Oma so krank ist, daß man sie ins Krankenhaus bringen mußte. Es ist jetzt so, daß sie eine ganze Weile dort bleiben muß. Es wird auch noch etwas dauern, bis ihr eure Oma besuchen könnt. Versteht ihr mich? Du bist doch schon ein großes und vernünftiges Mädchen, Rachel.«

      »Ich will aber nicht vernünftig sein, ich will zu meiner Omi. Vati ist nicht da, und wir sind sonst ganz allein«, kam es trotzig über Rachels Lippen.

      »Ich weiß, Rachel, und gerade darum bin ich heute gekommen. Ihr seid zwei kleine Mädchen, die nicht allein bleiben können. Ihr könnt aber auch nicht für längere Zeit bei Frau Köhler bleiben. Frau Köhler bekommt selbst Besuch und hat dann für euch keinen Platz mehr. Ich bringe euch heute in ein Haus, wo ganz viele Kinder sind. Ihr werdet dort so lange bleiben, bis eure Oma wieder ganz gesund ist und ihr wieder nach Hause könnt. Es wird euch dort ganz bestimmt sehr gut gefallen. Es ist ein sehr nettes Kinderheim am Rande der Stadt.«

      »Nein.«

      Mit einem Satz sprang Rachel auf und starrte Elke Jünte mit funkelnden Augen an.

      »Ich will in kein Kinderheim, ich gehe nicht in ein Kinderheim. Unsere Omi hat nichts davon gesagt. Ich will mit Pola bei uns zu Hause auf unsere Omi warten. In ein Heim kommen doch nur böse und ungezogene Kinder. Wir haben aber doch nichts Böses getan. Sie können ruhig wieder gehen.