Kinderärztin Dr. Martens 66 – Arztroman. Britta Frey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Frey
Издательство: Bookwire
Серия: Kinderärztin Dr. Martens
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740963538
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tion> Kinderärztin Dr. Martens – 66 –

      Caroline von Birk stand am Fenster des Wohnzimmers und beobachtete mit einem schmerzlichen Lächeln ihre beiden Enkelkinder, die draußen unbeschwert herumtollten, Rachel, sieben Jahre, mit langen schwarzen Zöpfen und die fünfjährige Pola, ein kleines zierliches Mädchen mit kurzem schwarzem Lockenhaar.

      Ein Jahr war nun schon vergangen seit jenem schrecklichen Tag. Nicole und ihr Mann Achim waren mit dem Wagen unterwegs gewesen. Ihre Tochter hatte hinter dem Lenkrad gesessen, als ein Lastwagen ausscherte und den Wagen rammte. Während Nicole sofort tot war, wurde Achim mit leichteren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Nach seiner Genesung hatte Achim die Stadt verlassen und seine beiden Mädchen in ihrer Obhut gelassen. Seitdem arbeitete er im Ausland. Hin und wieder kam eine Karte, regelmäßig aber Geld für Unterhalt und Kleidung der Mädchen. Das war alles, was Caroline von Birk von ihrem Schwiegersohn hörte. So war es jedenfalls bis vor zwei Monaten gewesen. Seitdem fehlte jedes Lebenszeichen von ihm.

      Alles hätte für Caroline von Birk viel einfacher und leichter sein können, denn sie hatte noch eine Tochter, Samantha. Aber mit Samantha, das war eine sehr komplizierte Sache.

      Vor über sieben Jahren hatten sich Nicole und Samantha beide in Achim Degersen, einen jungen Mann aus ihrem Freundeskreis, verliebt. Zu­nächst hatte alles danach ausgesehen, als würde aus Samantha und Achim ein Paar. Samantha, die jüngere und stillere ihrer beiden Töchter, war überglücklich. Doch irgendwie hatte es Nicole, die robustere und lebenslustigere, geschafft, daß sich Achim ihr zuwandte und sie schließlich geheiratet hatte. Daraufhin war Samantha von daheim fortgegangen. Sie hatte es Nicole nie verziehen, daß sie ihr den geliebten Mann fortgenommen hatte. Alles Bitten Carolines, Samantha solle doch wieder nach Hause kommen, half nicht. Zwar gab es die ganzen Jahre regelmäßige Lebenszeichen, und sie vergaß auch die verschiedenen Feiertage nicht, doch blieb sie ihrem Elternhaus fern, in dem auch Nicole mit ihrem Mann und den Kindern lebte. Das einzige Mal in gut sieben Jahren war sie zur Beisetzung Nicoles vor einem Jahr gekommen. Doch schon einen Tag später war Samantha wieder abgereist und hatte sich seitdem auch nicht mehr bei der Mutter gemeldet.

      Es machte die ältere Dame traurig, denn gerade jetzt benötigte sie so dringend ihre Tochter. Die Kinder konnten doch nichts dafür, daß zwischen ihrer Mutter und deren Schwester, die sie nur einmal gesehen hatten, Feindschaft bestanden hatte. Unwillkürlich griff sich Caroline an die Brust, denn das schmerzhafte Ziehen wollte einfach nicht aufhören. Meine Tabletten, ich muß unbedingt noch eine Tablette nehmen und mich einen Moment hinlegen, dachte sie und setzte ihr Vorhaben sofort in die Tat um.

      Ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen stürmte ins Zimmer und rief mit heller Stimme: »Omi, Omi, die Pola und ich haben Hunger. Haste noch Plätzchen oder Schokolade für uns?«

      Mit warmer Stimme antwortete sie: »Soso, ihr habt also Hunger auf Plätzchen und Schokolade. Dann hol mal rasch deine kleine Schwester herein, ich werde nachsehen, ob ich noch etwas Süßes für euch im Haus habe.«

      *

      Es war einen Tag später. Während die beiden Mädchen in ihrem Zimmer spielten, setzte Caroline von Birk noch einmal ein Schreiben an ihre Tochter Samantha auf, in dem sie sie bat, doch dringend nach Hause zu kommen. Während eines kleinen Spazierganges, den sie wenig später mit den Enkelkindern unternahm, fragte sie sich, ob sie wohl auf dieses Schreiben eine Antwort erhalten würde.

      Caroline stellte sich diese Frage nicht zu Unrecht, denn schon eine Woche später geschah, wovor sie sich schon lange gefürchtet hatte.

      Rachel spielte mit Pola friedlich im Kinderzimmer. Es war kurz vor dem Abendessen. Plötzlich schreckten beide Mädchen durch heftiges Poltern aus dem Wohnzimmer zusammen.

      »Hat die Omi einen Stuhl umgeworfen, Rachel? Pola hat Angst.«

      »Ist bestimmt was runtergefallen, Pola. Komm mit nach unten, wir fragen die Omi einfach.«

      Als die beiden Mädchen dann die Küche betraten, sahen sie ihre geliebte Omi auf dem Fußboden liegen.

      »Omi, Omi, was ist denn passiert? Biste hingefallen?« Mit ängstlicher Stimme rüttelte Rachel an der Schulter der Oma.

      Mühsam öffnete Caroline ihre Augen und flüsterte mit fremder Stimme: »Hol rasch die Frau Köhler von nebenan, Rachel. Bitte, Kind, beeile dich.«

      »Ja, Omi, ich laufe ganz schnell. Pola, du bleibst hier bei der Omi, damit sie sich nicht noch einmal weh tut.«

      Im nächsten Augenblick lief das Mädchen aus dem Haus und hinüber zum Nachbarhaus, wo es heftig an der Haustür klingelte.

      Frau Anni Köhler, eine ältere Frau, öffnete.

      »Ja, Rachel, was ist denn los, warum hast du es denn so eilig?« fragte sie überrascht.

      »Meine Omi, Frau Köhler, komm schnell, meine Omi ist umgefallen und hat sich weh getan. Nun komm doch schon endlich.«

      »Ist ja schon gut, Mädchen. Lauf schon mal rüber, ich hole nur schnell meine Haustürschlüssel und komme sofort nach.«

      Rachel stürmte wieder los, und nur wenige Augenblicke später folgte Anni Köhler dem kleinen Mädchen zum Nachbarhaus.

      Mit einem Blick übersah sie die Situation. Da sie durch Gespräche mit Caroline von Birk wußte, daß diese schon seit längerer Zeit Schwierigkeiten mit dem Herzen hatte, griff sie, ohne lange zu überlegen, zum Telefon und rief den Notarztwagen des Celler Krankenhauses.

      Rachel und die kleine Pola starrten mit ängstlichen Blicken auf ihre noch immer auf dem Boden liegende Omi. Anni Köhler hatte Mitleid mit beiden und sagte: »Hier könnt ihr im Augenblick nichts machen. Geht ruhig in euer Zimmer hinauf, bis der Doktor kommt, ich bleibe so lange bei eurer Omi.«

      Gehorsam gingen beide Mädchen aus der Küche und nach oben ins Kinderzimmer.

      Anni Köhler nahm ein paar Stuhlkissen und schob sie ihrer Nachbarin behutsam unter den Kopf. Da diese mit geschlossenen Augen mühsam nach Atem rang, wartete Anni Köhler voller Sorge auf den Notarztwagen. Es vergingen keine zehn Minuten, bis sich endlich ein Wagen mit eingeschaltetem Martinshorn näherte.

      Kurz darauf schlug die Türglocke an, und ein Arzt, dem zwei Sanitäter mit einer Trage folgten, kam ins Haus, als sie öffnete.

      Während der Arzt Caroline von Birk untersuchte, eine Spritze aufzog und danach noch eine Infusion anlegte, hielt sich Anni Köhler im Hintergrund.

      Erst nachdem die Sanitäter Caroline von Birk auf eine Trage gebettet hatten, fragte sie den Arzt mit belegter Stimme: »Was fehlt Frau von Birk, Herr Doktor? Muß sie ins Krankenhaus?«

      »Sind Sie eine Familienangehörige?« Fragend sah der Arzt sie an.

      »Nein, ich bin nur die Nachbarin. Da sind aber noch die beiden Kinder. Sie sind oben im Kinderzimmer.«

      »Und sonst sind keine Angehörigen da? Wie alt sind denn die Kinder?«

      »Andere Angehörige sind nicht da. Der Vater der Kinder arbeitet im Ausland, die Mutter ist vor einem Jahr gestorben. Die beiden Mädchen sind sieben und fünf Jahre alt. Was ist denn jetzt mit Frau von Birk?«

      »Frau von Birk hat einen schweren Herzanfall erlitten, und ein Aufenthalt im Krankenhaus ist leider unvermeidlich. Die Kinder sind also im Moment völlig allein?«

      »Ja, ich sagte es doch bereits.«

      »Können Sie sich vielleicht heute abend und morgen vormittag um die Kinder kümmern? Wir informieren das Jugendamt, das sich dann vorübergehend der Kinder annehmen wird. Es wird wohl das Beste für die beiden sein, denn es wird einige Zeit dauern, bis Frau von Birk wieder nach Hause kann.«

      Anni Köhler überlegte nicht lange. Für einen Abend und den nächsten Vormittag konnte sie sich schon um die Kinder kümmern. So sagte sie: »Fahren Sie ruhig, Herr Doktor. Ich kümmere mich bis morgen um die Mädchen. Ich nehme sie für die Nacht mit zu mir hinüber und schließe hier alles ab. Für ein oder zwei Nächte wird es schon gehen.«

      »Gut, es ist in Ordnung, Frau Köhler, ich gebe dem Jugendamt Bescheid. Man wird sich dann um die Kinder kümmern, bis die Großmutter wieder gesund ist.«

      Nachdem