Ein großer Redner war Matthias nie gewesen und auch jetzt fragte er nur wortkarg, ob sie länger bleiben würde.
»Nein, nur den Tag. Ich habe die Stellung gewechselt.«
Matthias warf ihr einen nachdenklichen Blick zu, aber er sagte nichts.
»Von euch kommt wohl keiner mal in die Stadt?«, fragte Tina. »Jetzt, wo es Herbst ist, könntest du doch auch mal kommen, Matthias. Schöne Konzerte kannst du hören.«
Sie wusste, dass er klassische Musik liebte und erzählte ihm, dass es nächste Woche ein Orgelkonzert geben würde, für das sie Karten hätte.
»Dann könntest du doch mal rüberfahren, Matthias«, sagte Dr. Mooslechner. »Und du könntest mir auch einen Gefallen tun und bei Daniel Norden vorbeischauen. Ich bräuchte ein paar Sorten Tee, den sie auf der ›Insel der Hoffnung‹ selbst zusammenstellen.«
»Das kannst doch auch selbst, Ferdl«, brummte Matthias.
»Nein, den nicht. Den macht der Cornelius wie kein anderer.«
Das war natürlich eine Ausrede, aber eine gute, wie Dr. Mooslechner meinte.
Die Insel der Hoffnung war auch den Mühlbauers ein Begriff, und dagegen hatten sie nichts einzuwenden. Mit Naturheilmitteln konnte man Krankheiten doch besser kurieren als mit all dem Gift, meinten sie. Nur hätte man Matthias nicht vorschlagen dürfen, es doch einmal mit einer Kur zu versuchen. Da hätte er aber heftig widersprochen, weil das seiner Ansicht nach nur etwas für alte Leute wäre
»Ja, das machst, Matthias«, sagte Tina. »Du tust Dr. Mooslechner den Gefallen, und wir gehen mal ins Konzert.«
Nanu, was ist denn mit der Tina, dachte Hannerl. So hat sie doch schon lange nicht geredet.
Dr. Mooslechner lag jetzt noch etwas anderes am Herzen. Er wollte mit Tina sprechen. Und es gelang ihm auch, es so einzurichten, dass sie gemeinsam den Mühlbauerhof verließen.
Wenn es irgend ginge, würde er zum Konzert in die Stadt kommen, hatte Matthias dann doch tatsächlich versprochen.
»Hättest a bissel Zeit für mich?«, fragte Dr. Moosbauer, als er mit Tina zum Wagen ging. »Ich könnte dich heimbringen. Hätt’ etwas mit dir zu reden, Dirndl.«
»Wegen Matthias?«, fragte sie. »Er sieht nicht so frisch aus wie sonst. Was fehlt ihm denn?«
»Das weiß ich nicht. Es könnte etwas mit der Wirbelsäule sein. Ich will es nicht verheimlichen, dass ich mir Sorgen um ihn mache. Er hat manchmal arge Schmerzen. Er muss geröntgt werden, aber man bringt den Dickschädel ja nicht dazu. Vielleicht kannst du ihm gut zureden. Dr. Norden ist der Sohn meines Freundes. Ein guter Arzt. Er weiß bestimmt Rat, und die jungen Ärzte sind doch ein Stückerl weiter als wir hier auf dem Lande.«
»Sagen Sie das nicht, Dr. Mooslechner. So arg viel taugen die Städtischen auch nicht. Manch einer mag ja drunter sein, aber selten genug kommt man an den Richtigen.«
»Hast deine Erfahrung gemacht, Dirndl?«, fragte der alte Arzt.
»Ich habe eine gemacht, ja. Und sie langt mir. Nicht mit einem Arzt.«
»Aber mit einem Mann«, klopfte er auf den Busch.
»Sie haben Röntgenaugen, Dr. Mooslechner«, sagte Tina leise.
»Nur, wenn’s um die Seel’ geht, Dirndl. Kopf in den Nacken und sich tüchtig schütteln, das hilft, wenn es nicht zu tief sitzt.«
»Es ist vorbei. Wenn der Matthias auf mich hört, helfe ich Ihnen gern.«
»Ihr kennt euch doch von Kindesbeinen an, und solche Freundschaft bricht nie ganz auseinander, Tina«, sagte Dr. Mooslechner sinnend. »Das hält länger als eine Liebelei und du gehörst nicht zu denen, die sich niederwerfen lässt.«
»Geschlaucht hat es mich schon«, gab sie zu. »Aber es ist gut, dass ich beizeiten einen Denkzettel bekommen habe. Ich könnte ja vorher mal mit Dr. Norden sprechen. Er ist sehr bekannt und hat einen guten Namen. Vielleicht fällt mir was ein, wie ich Matthias mit ihm zusammenbringen kann, ohne ihn erst aufsässig zu machen. Das kann er nämlich schon sein.«
»Das weiß ich. Nett, dass du mir helfen willst. Hannerl hat ja nur noch den Buben. Bin sehr froh, dass du grad gekommen bist. Und wenn du mal Hilfe brauchst, weißt du ja, zu wem du kommen kannst.«
Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. »Ein Kind bekomme ich nicht, Dr. Mooslechner. Nein. Das tu ich mir nicht an. Aber die Männer lachen ja nur, wenn man noch seine Grundsätze hat. Da sind sie alle gleich.«
»Nicht alle, Tina«, erwiderte Dr. Mooslechner ernst. »Nein, alle darf man nicht in einen Topf werfen. Einer, der nicht in solchen Topf gehört, ist Matthias.«
»Das weiß ich, er hat es mir nicht vergessen, dass ich damals sagte, ich will auf dem Lande nicht versauern.«
Das war fünf Jahre her. Das Gymnasium hatten sie beide besucht. Jeden Tag waren sie gemeinsam in die Kreisstadt gefahren. Matthias war zwei Klassen höher gewesen als sie, und gewiss nicht einer von den Dümmsten. Aber er war dann lieber auf die Landwirtschaftsschule gegangen, als das Abitur zu machen, und das war gut gewesen, da er dann so nötig auf dem Hof gebraucht wurde.
Tina hatte das Abitur gemacht und eine Sekretärinnenschule besucht. Sie hatte dann auch bald einen guten Posten in einer Fabrik bekommen, sehr gut verdient und Gefallen an dem Leben in München gefunden.
Sie besuchte gern die Oper, Konzerte und sie war auch gern in Gesellschaft junger Leute.
Und dann hatte sie einen neuen Abteilungsleiter bekommen, Robert Carstens, in den sie sich verliebt hatte.
Und ein gutes halbes Jahr schien es auch so, als meine er es ernst mit ihr, wenn er sie auch manchmal prüde oder gar verklemmt nannte.
Fast war sie dann auch bereit gewesen, ihre Grundsätze für ihn aufzugeben, weil sie fest überzeugt war, dass er sie heiraten würde, denn davon redete er auch.
Doch dann kam die Tochter des Fabrikbesitzers aus dem Internat, kein besonders attraktives Mädchen, aber doch mit einem beträchtlichen Vermögen im Rücken, und einem Vater, der seine Tochter gern rasch unter die Haube bringen wollte, weil er selbst eine viel jüngere Frau geheiratet hatte.
Und sehr schnell hatte sich Robert Carstens von Tina getrennt, nüchtern, als wäre nie etwas gewesen. Er hatte Ilona geheiratet und war nun der Juniorchef. Er hatte aber dann auch die Frechheit besessen, Tina zu sagen, dass sie sich doch auch in Zukunft noch treffen könnten.
Da hatte es ihr endgültig gelangt, und sie hatte gekündigt. Eine andere Stellung war rasch gefunden. Sie war überdurchschnittlich intelligent, sprach Französisch und Englisch perfekt, und hatte auch schon eine fundierte Berufserfahrung.
Eigentlich wäre sie gern wieder heimgegangen, aber das verbot ihr der Stolz. Und Matthias sollte ja nicht denken, dass er Lückenbüßer sein solle. Aber sprechen wollte sie schon gern mal mit ihm über alles, wie sie es früher als Kinder getan hatten.
Etwas schwerfällig war er immer gewesen. Alles überlegte er sich genau, und er hatte es sich auch immer wieder überlegt, sie zu fragen, ob sie seine Frau werden wolle. Ein bisschen zu lange hatte er gewartet. Tina hatte gemeint, dass sie für ihn nur die Jugendgespielin sei, und auch jetzt wusste sie noch nicht, dass es bei ihm sehr viel tiefer saß.
Dr. Mooslechner überlegte, ob Matthias’ Leiden wenigstens zum Teil auch seelisch bedingt sein könnte. Man sagte ja, dass solche Schmerzen aus Verspannungen und innerer Abwehr entstehen könnten. Aber er wollte es nun genau wissen, das war er dem Hannerl schuldig.
Als er Tina vor dem Lehrerhaus absetzte, hatten sie viel miteinander geredet und nun hatte er eine Verbündete gefunden.
»Ich mag den Matthias sehr gern«, sagte Tina. »Ich werde mich kümmern, Dr. Mooslechner. Danke, dass Sie mich eingeweiht haben. Wenn er nur nicht gar so ein Dickschädel wäre.«
Aber das war er nun mal. Und hineinschauen in sich, ließ er