»Post für Sie, Herr Doktor«, sagte Loni, Dr. Nordens Sprechstundenhilfe. »Mal keine Reklame.«
Dr. Daniel Norden drehte das Kuvert um. »Jesses, der Mooslechner«, sagte er, »da schlägt mir gleich das Gewissen. Dem hätten wir längst einmal schreiben müssen.«
Aber wann kam er schon zum Schreiben. Die Freizeit war knapp, und seit die beiden Kinder geboren waren, hatte auch seine Frau Fee kaum eine ruhige Stunde. Immer wollten die kleinen Trabanten beschäftigt werden.
Dr. Ferdinand Mooslechner war ein guter Freund seines verstorbenen Vaters gewesen, ein Landarzt vom alten Schrot und Korn. An die siebzig musste er mittlerweile sein. Vielleicht hatte er sich nun doch zur Ruhe gesetzt!
Doch dem war nicht so, wie Daniel Norden dem Brief entnehmen konnte.
Viel Zeit bleibt mir ja nicht zum Schreiben, Daniel, und Dir wird es nicht anders ergehen, aber jetzt muss es mal sein. Ich brauche Deine Hilfe. Du hast mehr Verbindung zu den Spezialisten als ich. Es ist mir nicht oft passiert in meiner langen Praxis, dass ich völlig ratlos war, aber grad beim Matthias Mühlbauer, dessen Pate ich bin, stehe ich vor einem Rätsel.
Dann folgte eine kurze, präzise Schilderung des Falles, die verriet, dass auch der alt gewordene Dr. Mooslechner seine fünf Sinne gut beisammen hatte.
Manchmal kann sich der Bub kaum noch rühren, dann wieder wird es besser, aber es muss etwas unternommen werden, damit ich mich nicht später mal mit einem Schuldbewusstsein herumplagen muss. Meine Praxis ist nicht so modern ausgestattet, dass ich den Matthias gründlichst untersuchen könnte, und alt bin ich halt auch geworden. Ihr jungen Ärzte kennt viel bessere Heilmethoden. Ihr seid mehr auf dem Laufenden, und Du weißt sicher einen Kollegen, der sich mit Matthias gründlich befassen könnte. Er ist störrisch. Man muss es geschickt anfangen bei ihm. Vielleicht könnte ich ihn erst einmal zu Dir schicken. Lass es mich bald wissen. Ich wollte es Dir lieber schreiben, denn beim Telefonieren werde ich dauernd gestört. Es findet sich halt keiner mehr von den Kollegen, die aufs Land gehen wollen, da muss man im Geschirr bleiben, bis man selbst mal in die Grube fällt. Lass bald von Dir hören, mein Junge. Es würde mich freuen, und ich hoffe, dass es Euch gut geht. Deine Frau hätt’ ich auch gern mal kennengelernt. Dein alter Mooslechner.
Ganz warm wurde es Daniel ums Herz. Er sah ihn vor sich mit den buschigen Augenbrauen über den blitzenden Augen, in denen der Schalk saß, dem breiten, wettergegerbten Gesicht, der knorrigen Gestalt.
Er war der richtige Arzt für die Leute auf dem Land. Er redete ihre Sprache, er hatte ein Ohr für alle Leiden und Sorgen, die ein karges Leben mit sich brachten. Und es wurmte ihn, wenn er nicht helfen konnte.
Ja, anschauen musste man sich den Matthias Mühlbauer schon mal, um sich ein Bild von ihm machen zu können. Und am besten würde es in diesem Fall natürlich sein, wenn er sich einer klinischen Untersuchung unterziehen würde, aber wenn er störrisch war, würde es auch nicht einfach sein, ihn dazu zu überreden. Für manche Leute, und gerade die, die auf dem Lande aufgewachsen waren, bedeutete schon das Wort Krankenhaus den Anfang vom Ende.
Daniel nahm sich vor, seinerseits den Dr. Mooslechner anzurufen. Jetzt musste er seine Sprechstunde abhalten.
*
Dr. Mooslechner machte zu dieser Zeit schon Krankenbesuche. Mit seinem alten Auto fuhr er über Land. Einen großen Bezirk hatte er zu betreuen, und er war für alles da, auch wenn eine Bäuerin ein Kind bekam. Die waren meist noch nicht zu bewegen, in die Klinik zu gehen. Sie wollten lieber daheim bleiben und auch vom Wochenbett aus den Haushalt steuern. Und zum Dr. Mooslechner hatten sie mehr Vertrauen, als zu jedem anderen Arzt.
Man sah ihm seine fast siebzig Jahre nicht an. Noch immer schritt er elastisch einher. Viel Bewegung und die gute Landluft hielten ihn frisch.
Und weil er dauernd auf den Beinen war, schlug bei ihm auch das gute Essen nicht an, das er unterwegs vorgesetzt bekam. Hier eine kräftige Brotzeit, da ein deftiges Mittagsmahl, dann auch mal ein Glas Milch und ein Butterbrot. An Appetit mangelte es ihm nicht.
Auf dem Mühlbauerhof wurde er stets als guter Freund willkommen geheißen. Da machte er auch mal länger Rast, und wenn man ihn in seiner Praxis nicht erreichte, rief man dort an.
Der Mühlbauerhof war der größte und schönste weit und breit. Gutsbesitzer wurden sie auch genannt, aber der Erbe, der Matthias, legte keinen Wert darauf. Er wollte Bauer sein. Er liebte sein Land, die Natur, seine Tiere. Es gab prächtige Pferde und wertvolle Kühe, einen Stier, wie man ihn lange suchen musste, zwei bildschöne Jagdhunde, und Hühner, die noch in einem Freigehege herumlaufen konnten und nicht in Brutmaschinen gesteckt wurden.
Mit seinen Tieren konnte er reden, aber ein Mädchen hatte dafür kaum Verständnis. Tina, Matthias Jugendfreundin hatte es auch in die Großstadt gezogen, und so war er immer noch »einspännig«, wie man hier sagte, und er schien das auch nicht ändern zu wollen, obgleich man es doch gern gesehen hätte, wenn auf dem Mühlbauerhof die Nachfolge gesichert wurde.
Eine unbändige Kraft hatte Matthias immer gehabt, nichts war ihm zu viel geworden, doch seit ein paar Monaten hatte sich das geändert.
Dr. Mooslechner machte sich ernste Sorgen, und er glaubte es Matthias schon lange nicht mehr, wenn er sagte, dass es nur halb so schlimm sei.
Auch seine Mutter war in großer Sorge und gerade heute war sie besonders froh, dass ihr Freund Ferdinand bei ihnen hereinschaute. Er hatte sich immer gekümmert um sie, und nach dem Tode ihres Mannes ganz besonders. Das war auch wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen, ohne Vorankündigung. Der Herzschlag hatte den Mühlbauer-Anton getroffen, mitten unter der Arbeit. So, wie er es sich immer gewünscht hatte, nur viel zu früh war es geschehen.
Das Hannerl, seine Frau, konnte es lange nicht verwinden, und nun machte ihr der Matthias auch noch solchen Kummer.
An diesem Tag hatte er schon arge Schmerzen. Kaum aufstehen konnte er und so ließ er es sich gefallen, dass Dr. Mooslechner ihm eine Spritze gab.
Das half, und gleich wollte Matthias wieder hinaus aufs Feld.
»So geht das nicht, Matthias«, sagte Dr. Mooslechner energisch. »Mit Spritzen allein ist da nichts getan. Du musst dich röntgen lassen.«
»Geh zu, Ferdl«, redete Matthias dagegen, »meinst, dass die Doktoren in der Stadt mehr wissen als du? Wird wohl noch von dem Tritt herkommen, den mir der Stier versetzt hat. Dieser narrische Kerl.«
Ja, das hatte Dr. Mooslechner anfangs auch gedacht, denn so ein Bursche wie Matthias hielt schon etwas aus und er hatte sich da auch bald wieder erholt. Genau wie vorher hatte er gearbeitet, war auf seinem Rex über die Felder geritten und hatte sich um alles gekümmert wie eh und je.
Und jetzt machte er sich auch wieder stark. Gerade zur rechten Zeit, denn nun kam noch Besuch. Einer, mit dem man gewiss nicht gerechnet hatte.
Die Tina Wagner war es, schlank und hübsch anzuschauen in dem grünen Lodenkostüm.
Hannerl Mühlbauer begrüßte sie freundlich, aber doch sehr zurückhaltend. Sie wusste, wie gern ihr Matthias das Mädchen gehabt hatte und wohl auch noch hatte.
»Muss doch mal hereinschauen, wie es euch so geht«, sagte Tina verlegen. »Der Dr. Mooslechner ist auch da. Es wird doch hoffentlich niemand krank sein?«, fragte sie erschrocken.
»Ach geh«, sagte Matthias, »einreden wollen Sie mir was, weil mir das Kreuz a bissel wehtut. Nett, dass man dich mal wieder sieht, Tina. Wie geht es so?«
»So là, là«, erwiderte sie ausweichend, und nun bemerkte Dr. Mooslechners scharfes Auge, dass sie schmaler und blasser war als früher, dass ihre Augen umschattet waren.
»Dem Vater geht es gut?«, fragte er.
»Bestens, den bringen auch die Rangen nicht aus dem Gleichgewicht«, erwiderte Tina.
Ihr Vater war Lehrer, und einer von den ganz guten, die es wussten, mit Kindern und jungen Leuten umzugehen. Sie lernten viel bei ihm, weil er den Unterricht lebendig gestalten konnte. Sie hatten ihn alle gern und allzu viel Kummer bereiteten ihm auch die wildesten Buben nicht.
Sein