Tom antwortete: Sein Gehorsam erlaube nicht, ihm irgend etwas zu verhehlen; dem tyrannischen Orbil würde er aber niemals anders antworten als mit einer Karbatsche, und er hoffte bald im stande zu sein, ihm damit alle seine Grausamkeiten einzutränken.
Herr Alwerth gab dem Jüngling einen sehr scharfen Verweis wegen seiner unanständigen und unehrerbietigen Ausdrücke gegen seinen Lehrer, noch mehr aber wegen seines erklärten Vorsatzes, sich zu rächen. Er bedrohte ihn mit dem gänzlichen Verluste seiner Gunst, wofern er jemals wieder ein ähnliches Wort aus seinem Munde hörte; denn, sagte er: der Freund und die Stütze eines gottlosen Taugenichts wolle er niemals sein. Durch diese und dergleichen Erklärungen drang er dem Tom einige Zeichen der Reue ab, welche dem Burschen aber kein sonderlicher Ernst war, denn er sann wirklich auf eine Wiedervergeltung der schmerzhaften Gunstbezeigungen, welche er von den Händen des Pädagogen genossen hatte. Gleichwohl ward er von Herrn Alwerth dahin gebracht, wegen seiner Rachgier gegen Schwöger sich reuig zu bezeigen, und darauf erlaubte ihm der gute Mann, nachdem er ihm noch einige heilsame Vermahnungen gegeben hatte, weiter zu reden, welches er that, wie folgt.
»In Wahrheit, mein teuerster Herr Vater! ich liebe und verehre Sie mehr als die ganze Welt. Ich weiß, wie unendlich viel ich Ihnen zu verdanken habe, und ich würde mich selbst verabscheuen, wenn ich mein Herz der Undankbarkeit fähig hielte. Könnte das kleine Pferd sprechen, das Sie mir geschenkt haben, gewiß es würde Ihnen erzählen, wie lieb und teuer mir Ihr Geschenk war; denn ich hatte größere Freude daran, es zu füttern, als darauf zu reiten. Ja, gewiß, liebster Herr Vater, es ging mir durchs Herz, daß ich es missen sollte, ich hätt's aus keiner andern Ursache auf der Welt verkauft, als aus der, welche mich dazu nötigte. Sie selbst, liebster Herr Vater, hätten an meiner Stelle ebendasselbe gethan, denn keiner hat noch so innig die Not andrer Menschen gefühlt, als Sie. Was würden Sie fühlen, teuerster Vater, wenn Sie bedächten, daß Sie es selbst verursacht hätten? – Gewiß, gewiß, kein Elend könnte größer sein, als das Ihrige.« – »Als wessen, Kind,« sagte Alwerth, »was willst du damit sagen?« – »O liebster Vater,« antwortete Tom, »Ihr armer Wildmeister ist mit seiner Frau und vielen Kindern, seitdem Sie ihn abgedankt haben, fast vor Mangel und Hunger umgekommen. Ich konnt's nicht aushalten, diese armen Leute so nackt und verhungert zu sehen, und dabei zu wissen, daß ich die Ursache aller ihrer Leiden gewesen bin. – Ich konnt's nicht aushalten, liebster Vater, bei meiner Seele, ich konnt's nicht!« (Hier rieselten ihm die Zähren über die Wangen und er fuhr weiter fort) »Es war, um sie vom völligen Untergange zu retten, daß ich mein teures Geschenk hingab, ungeachtet ich es so unendlich lieb hielt. – Für sie habe ich das Pferd verkauft, und sie haben alles Geld bis auf den letzten Heller bekommen.«
Hier stund Herr Alwerth einige Augenblicke im stillen Nachdenken, und ehe und bevor er sprach, stürzten ihm die Thränen aus den Augen. Endlich ließ er Tom mit einem sanften Verweise von sich, wobei er ihm den Rat gab, wenn es künftig darauf ankäme, jemand aus der Not zu helfen, so solle er sich lieber an ihn wenden, als zu außerordentlichen Mitteln greifen, um es für sich selbst allein zu thun.
Diese Sache war nachher die Materie zu manchen Untersuchungen zwischen Schwöger und Quadrat. Schwöger hielt dafür, es wäre eine offenbare Auflehnung gegen Herrn Alwerth, dessen Absicht gewesen, den Kerl wegen seines Ungehorsams zu bestrafen. Er sagte: in einigen Fällen käme ihm das, was die Welt Barmherzigkeit nenne, vor, als ein Eingriff in den Willen des Allmächtigen, welcher gewisse Personen ausgezeichnet hätte, unglücklich und elend zu sein, und hier wäre auf eben die Art, gegen den Willen des Herrn Alwerth gehandelt worden, und er beschloß, wie gewöhnlich, mit einer herzlichen Empfehlung seines Schulszepters.
Quadrat focht hart dagegen an; vielleicht aus Parteilichkeit gegen Schwöger, oder auch aus Gefälligkeit gegen Herrn Alwerth, welcher das, was Tom gethan hatte, gar sehr zu billigen schien. Was er aber anführte, würde hier, da ich überzeugt bin, daß die meisten meiner Leser viel geschicktere Advokaten für den armen Jones sein müssen, unschicklich und vorlaut sein, zu erzählen. In der That war es nicht schwer, eine Handlung unter die Regel des Rechts zu bringen, die es unmöglich gewesen sein würde aus der Regel des Unrechts herzuleiten.
Neuntes Kapitel.
Enthält eine Geschichte von einer schändlichern Art, mit Schwögers und Quadrats Kommentarien darüber.
Ein Mann, der seiner Weisheit wegen weit berühmter war, als ich es bin, hat schon die Bemerkung gemacht, daß ein Unglück selten allein kommt. Ein Beispiel davon kann man, glaube ich, an solchen Herren sehen, welche das Unglück haben, daß eine von ihren Schelmereien entdeckt wird; denn selten steht die Entdeckung eher still, bis sie alle ans Tageslicht gebracht worden. So ging's mit dem armen Tom, dem nicht sobald der Verkauf seines Pferdes verziehen worden, als es ans Licht kam, daß er einige Zeit vorher eine schöne Bibel verkauft hätte, die ihm Herr Alwerth geschenkt, von welchem Schleichhandel er das Geld auf eben die Art verwendet hatte. Diese Bibel hatte der junge Herr Blifil, ob er schon selbst eine ähnliche hatte, teils aus Ehrfurcht für das Buch, teils aus Freundschaft für Tom erstanden, weil er nicht gern wollte, daß die Bibel für den halben Wert aus der Familie kommen sollte. Er erlegte diesen halben Wert also lieber selbst; denn er war ein sehr kluger Knabe, und so sorgsam für sein Geld, daß er fast jeden Pfennig, den er von Herrn Alwerth erhalten, bedächtlich aufgespart hatte. Einige Leute sind dafür berühmt gewesen, daß sie in keinem andern Buche, als ihrem eignen haben lesen können. Der gute Neffe Blifil hingegen brauchte, seitdem er im Besitz dieser Bibel war, niemals eine andere. Ja man sah ihn viel öfter darin lesen, als vorher in seiner eigenen. Da er nun Herrn Schwöger öfters um die Erklärung schwerer Stellen bat, so bemerkte der Herr Informator unglücklicherweise Toms Namen, der hin und wieder in diesem Buche von seiner kindischen Hand gekritzelt war. Dies veranlaßte eine Untersuchung, welches Blifil nötigte, den ganzen Kaufhandel zu entdecken.
Schwöger war fest entschlossen, ein Verbrechen von dieser Art, welches er ein Sakrilegium nannte, sollte nicht ungestraft hingehen. Er schritt also unmittelbar zur Züchtigung, und nicht zufrieden damit, machte er auch Herrn Alwerth das nächste Mal, als er ihn sprach, mit diesem, wie es ihm vorkam, ungeheuern Verbrechen bekannt. Er zog in den bittersten Ausdrücken auf den Tom los, und verglich ihn mit den Käufern und Verkäufern, welche aus dem Tempel hinausgetrieben worden.
Quadrat betrachtete diesen Handel in einem sehr verschiedenen Lichte. Er könne, sagte er, kein strafwürdigeres Verbrechen darin finden, ob man dies Buch verkaufe oder ein anderes. Bibeln zu verkaufen sei, nach allen göttlichen und weltlichen Gesetzen, völlig erlaubt, und folglich wäre damit gegen keine Regel des Rechts verstoßen. Er sagte zu Schwöger, das große Aufheben über diesen Handel brächte ihm die Geschichte einer sehr christlich-frommen Frau ins Gedächtnis, welche aus bloßer heiliger Andacht einer Dame von ihrer Bekanntschaft Tillotsons Predigten gestohlen hätte.
Ueber dieses Geschichtchen stieg dem Theologen eine gewaltige Menge Blut ins Gesicht, welches ohnedem schon das bleichste war, und er stund auf dem Sprunge, mit großer Hitze und Aerger zu antworten, hätte sich nicht Madame Blifil, welche zugegen war, ins Mittel geschlagen und Frieden erhalten. Diese Dame erklärte sich ausdrücklich für Quadrats Meinung. Sie führte dafür in der That sehr gelehrte Gründe an, und schloß damit, daß sie sagte: wenn Tom dabei ja einen Fehler begangen hätte, so müsse sie gestehen, daß ihr Sohn ihr ebenso schuldig vorkäme, denn sie könne keinen Unterschied unter Käufern und Verkäufern finden, weil beide dergleichen aus dem Tempel getrieben worden wären.
Dadurch, daß Madame Blifil ihre Meinung eröffnet hatte, war dem Streite ein Ende gemacht. Quadrats Triumph hätte fast allein ihm die Worte im Munde erstickt, wenn er welcher bedurft hätte, und Schwöger außerdem, daß er aus bereits erwähnten Ursachen es nicht wagen durfte, etwas der Dame Mißfälliges zu sagen, erstickte fast an seinem Eifer. Was den Herrn Alwerth betrifft, so sagte der, weil der Knabe bereits schon abgestraft worden, so fände er nicht nötig, seine Meinung über die Sache zu sagen, und ob er über den Jüngling böse war oder nicht,