Gottesdienst einfach anders. Steffen Kaupp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Steffen Kaupp
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783866871397
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das neue Gottesdiensthaus in Torgau 1544 eingeweiht wurde, skizziert Martin Luther einfach, aber prägnant den künftigen Spielplan desselben: „… auf dass dieses neue Haus dahin gerichtet werde, dass nichts anderes darin geschehe, als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir umgekehrt mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang.“ Christus ansprechend kommen zu lassen – darum geht es beim Gottesdienst-Feiern, dem Namen „Christus“ Raum zu geben und dessen Gegenwart zu feiern. Biblisch drückt sich das so aus: „Warte ruhig, was der Herr tut! Sei gespannt, was er unternimmt (Ps 37,7a)! Oder: „Hört auf zu kämpfen und erkennt: ,Ich allein bin Gott‘“ (Ps 46,11a)!

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      Dies zu beherzigen, würde einen davor bewahren, dass aus aller Experimentierfreudigkeit ein Stress-Experiment wird. Natürlich kann Christus über den Bruder, die Schwester und das, was sie planen und gestalten, in die Mitte treten. Aber mindestens ebenso spannend und verheißungsvoll sind die gottesdienstlichen Freiräume – wie Pausen, Stille, Vor- und Nachklänge, Improvisationen, Lobpreis, handlungsorientierte Selbstbesinnungen, gesprächsorientierte Gruppenbesinnungen. Schade, wenn man hier nicht mehr erwartet.

      Übung: Wo und wie hat Christus bei euren Gottesdienst-Feiern Raum, zu euch zu kommen? Wo und wie kann das Unerwartete geschehen?

      1.3 Grundkoordinaten des Gottesdienst-Feierns

      Wir finden in der Bibel kein Kapitel, das überschrieben ist mit: „Die Lehre vom Gottesdienst“. Wie Menschen ihrem Gott Raum gegeben und ihm wiederum geantwortet haben, ist vielfältig. Steinaltäre, Zelt, Bundeslade, Tempel, Synagoge und Häuser sprechen eine Sprache der Vielfalt. Entsprechend unterschiedlich waren die Praxis und ihre Formen. Genau hier wird es eben eng für alle Arten von Definitionen bezüglich des Gottesdienst-Feierns. „Gottesdienst ist eigentlich …“ – „nie so oder so“ muss man sagen! Für Christen gilt das von Anfang an. Die ersten Christusfreunde feierten auf unterschiedlichste Weise Gottesdienst: im Tempel anders als in der Synagoge. Und daheim in ihren Häusern nochmal anders: Gerade dort stand der Tisch und die Mahlfeier im Mittelpunkt. Das Evangelium wurde nicht nur aus den vorgelesenen Briefen der Apostel gehört – nein, es wurde „verkostet“ (wie es der alte Ignatius schön auf den Begriff brachte). Brot und Wein drangen durch den ganzen Leib. Das Evangelium der Liebe Gottes ging in der Tat durch den Magen. Gottesdienstliche Vielfaltskultur des Neuen Testaments.

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      Aus diesen knappen Beobachtungen ergeben sich nun gewisse Grundkoordinaten für unser Gottesdienst-Feiern heute, die für sich schon anregen, den Gottesdienst einfach anders zu gestalten:

      • Das Feiern von Gottesdiensten ist stets in vielen Formen möglich. Die Favorisierung einer bestimmten Agende mag für einen Kulturkreis oder ein Milieu eine verlässliche Funktion haben – für Menschen aus einem anderen Kulturkreis oder einer anderen Lebenswelt aber muss dies keine „Heimatgefühle“ auslösen. Ganz im Gegenteil!

      • Der eine Gottesdienst als eine Veranstaltungsform für alle zu einer Uhrzeit und unter einem Dach kann nicht die „Mitte der Gemeinde“ sein. Christus selbst ist diese Mitte. Und wenn gottesdienstlich der Name Christus gefeiert wird, dann geschieht dies in verschiedensten Formen. Entsprechend der „Vielnamigkeit“ Christi: Sohn Davids, Erlöser, Friedefürst, Herr, Meister usw. Eine liturgische Gesamtkonzeption einer Gemeinde, die Auskunft darüber gibt, wie wer mit wem wann wo Gottesdienst feiert, könnte diesem Rechnung tragen (siehe Kapitel 10).

      • Entscheidend ist nicht die Form, vielmehr lebt alles davon, dass Christus kommen kann. Es gilt demnach, geistesgegenwärtig zu feiern. Dies heißt nicht, dass der Geist Gottes keine Formen liebt. Formen halten ja in Form! Aber: Verantwortliche und Akteure des Feierns müssen darauf achten, Gefäß zu sein bzw. ein hörendes Herz zu haben – und weniger darauf, wie alles haargenau dem liturgischen Plan entspricht oder wie der Sound mit einem weiteren Equalizer noch optimiert werden kann. Wie in der Musik gilt: Der Mensch spielt den einzigartigen Ton, nicht die Maschine. Dafür ist es notwendig, die eigene Persönlichkeitsstruktur zu kennen, damit die eigene Persönlichkeit segensreich zum Zuge kommen kann – und nicht (unbewusst) zum Hindernis wird.

      • Das Evangelium spricht nicht nur unseren Kopf an. Denn wir alle sind nicht nur Kopf-Menschen, die noch „irgendwie einen Klotz am Hals“ mit sich tragen. Wir haben nicht nur einen Körper – wir sind Körper. Die Verkündigung des Evangeliums fragt nach Tiefe, nach Sinnlichkeit, nach Ganzheit, nach Menschlichkeit.

      • Gottesdienst wird nicht für andere gefeiert. Auch nicht aus missionarischen Gründen. Die jeweils feiernde Gruppe oder Gemeinde gibt Gott so Raum, wie es ihr entspricht. Wir dürfen darauf vertrauen, dass dies auch missionarisch wirkt. In jedem Fall entspricht das Feiern so unseren Ressourcen und Möglichkeiten. Niemand hat ein Feuerwerk für andere zu veranstalten, die in der Regel dann trotzdem nicht erscheinen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass Gott unserem Team die Gaben mitgegeben hat, die es für unser Feiern braucht.

      • Gefeiert wird „Immanuel“, der „Gott mit uns“. Zweckfrei und heilsam. Dieser inneren Ausrichtung nach müsste man die Stühle im Kreis und nicht in Reihen stellen, denn die Reihen fördern eher Hierarchien und eine religiös-kopforientierte Unterweisung.

      Übung: Wo und wie höre ich die Rede vom „einen Gottesdienst“? Welche Motive und Interessen bestimmen diese Diskussion?

      Gottesdienst wird einfach anders, wo wir das, was ihn ausmacht, beherzigen und Christus glauben, dass er kommt, wie er uns zugesagt hat, und selbst unter uns wirkt. Auch wenn wir augenscheinlich verantwortlich sind und agieren, so sind wir letztlich immer noch Empfangende und Beschenkte.

      2 | „Nimm wahr!“

      Ein kleiner Persönlichkeitstest

      Gottesdienst wird einfach anders, wenn wir vor den Spiegel treten und einen ehrlichen Blick hineinwerfen. Es geht darum, nicht unser falsches, sondern „wahres Selbst“ (Thomas Merton) in den Blick zu bekommen. Nicht wofür wir uns halten oder wer wir gern sein würden, zählt hier, sondern allein, wer wir wirklich sind. Dieses Ich ist der Mensch, den Gott ansieht und unendlich liebt. Diesen liebenden Blick Gottes auf mein Ich mit all seinen Fragwürdigkeiten zu meinem Blick auf mich selbst werden zu lassen, ist eine Lebensaufgabe. Gern nehmen wir auch hier die Abkürzung und werden blind gegenüber den eigenen Gaben und Grenzen. Die Querelen in Kirchengemeinderäten, Gottesdienstteams oder die Langweiligkeit unseres Feierns bezeugen die Risiken und Nebenwirkungen dieser Blindheit. Wo aber Menschen ihre Persönlichkeit mit Sonnen- und Schattenseiten kennen und lieben, da steigt die Kommunikations- und Teamfähigkeit – und das Feiern selbst kann zum Abenteuer werden.

      2.1 Menschentypen – Kräfte in uns

      Psychologie und andere Erkenntnisweisen versorgen uns – mehr oder minder wissenschaftlich – mit allerlei typensensiblen Quadrantenmodellen, mit denen wir uns als Person im psychologischen, sozialen oder liturgischen Raum besser verorten und uns zu Anderen und Anderem klarer in Beziehung setzen können. Das macht „Betroffenen“ mit einem Schlag klar, dass sie nicht der Nabel der Welt und der Weisheit letzter Schluss sind, sondern dass es neben ihnen noch andere gibt. Dies fördert die – auch gottesdienstlich nicht irrelevante – Einsicht: Man könnte es so machen … – oder aber auch ganz anders.

      Bekannte psychologische Modelle diesbezüglich sind etwa das ältere Riemann’sche oder das neuere DISG-Modell. Das folgende orientiert sich an solchen Typenmodellen, färbt sie aber religiös ein.

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      Übung: Welchen Polen würdest du diese biblischen Hauptakteure zuordnen? (Unabhängig davon, was du wirklich von ihnen