Decius (249–251) ist überhaupt ein Idealist, mit den Illusionen eines solchen. Seine gewaltige kriegerische Kraft im Dienst einer veredelten Senatsregierung23 zu üben, altrömische Sitte und Religion und durch dieselbe die Macht des römischen Namens aufzufrischen und auf ewig festzustellen – das mochten seine Pläne sein. Damit hing allerdings zusammen, dass er die Christen verfolgte; sechzig Jahre später würde er vielleicht mit demselben Eifer versucht haben, die christliche Aufopferungsfähigkeit auf die Rettung des Reiches hinzulenken.
Dies Ziel seines Lebens zu erreichen, war ihm allerdings nicht beschieden; neben dem Einbruch der Barbaren an allen Grenzen wütete eine Hungersnot und eine Pest, welche im ganzen römischen Leben dauernde Veränderungen müssen hervorgebracht haben, weil ein alterndes Volkstum solche Schläge nicht so überdauert wie ein jugendliches. Der Lohn des Decius war ein glorreicher Untergang im Gotenkriege.
Auch jetzt behauptete der Senat sein Recht; neben dem von den Soldaten erhobenen Gallus ernennt er24 (251) seinen eigenen Kaiser, Hostilian, der indes bald an einer Krankheit starb. Als Gallus die Goten mit Tribut abkaufte, fand sich ein Feldherr bei den Donautruppen, der Mauretanier Aemilian, welcher seinen Soldaten von der »römischen Ehre« sprach25 und im Fall eines Sieges ihnen selbst den Tribut verhiess, der jetzt den Goten bezahlt würde; sie siegten wirklich und erhoben ihn dann zum Kaiser (253). Aber so weit wirkte schon die Denkweise des Decius, dass Aemilian nur der Feldherr des Senates heissen, diesem dagegen die Reichsregierung überlassen wollte26.
Eine empfindliche Lücke in der Historia Augusta hindert uns an jeder bündigen Beurteilung der zunächst folgenden Ereignisse. Aemilian rückt nach Italien; Gallus, der gegen ihn ausgezogen, wird nebst seinem Sohne von den eigenen Truppen ermordet; aber einer seiner Generale, Valerian, aus den Alpen heranrückend, gewinnt auf ganz rätselhafte Weise das Heer des siegreichen Aemilian, welches seinen Kaiser tötet, »weil derselbe ein Soldat, aber kein Regent sei, weil Valerian besser zum Kaisertum passe, oder weil man den Römern einen neuen Bürgerkrieg ersparen müsse«27. Das Wahre schimmert durch; es sind offenbar nicht mehr meuterische Soldatenhaufen, welche hier handeln; das Entscheidende war ohne Zweifel eine Transaktion zwischen den höhern Offizieren der drei Heere. So allein war die Erhebung Valerians (253) möglich, vielleicht desjenigen Römers, der in bürgerlichen Ämtern wie im Kriege vor allen gleichmässig ausgezeichnet war; die Soldaten allein hätten entweder auf ihrem Aemilian beharrt oder einen schönen grossen Mann mit den Talenten eines Unteroffiziers auf den Thron erhoben.
Es nimmt aber die Kaiserwahl fortan überhaupt eine neue Form an. In den fortdauernden Barbarenkriegen seit Alexander Severus muss sich eine ausgezeichnete Generalität gebildet haben, in welcher man sich dem wahren Werte nach kannte und taxierte; Valerian aber erscheint, wenigstens als Kaiser, wie die Seele derselben28. Sein militärischer Briefwechsel, der mit Absicht in der Historia Augusta teilweise gerettet ist, beweist seine genaue Kenntnis der Personen und ihrer Talente und gibt uns eine hohe Idee von dem Manne, der einen Postumus, Claudius Gothicus, Aurelian und Probus erkannte und erhob. Wäre an den Grenzen Friede eingetreten, so hätte der Senat vielleicht im Sinne eines Decius und Aemilian einen regelmässigen Anteil an der Herrschaft ausgeübt; da aber die Einfälle der Barbaren auf allen Grenzen zugleich das Imperium gänzlich zu überwältigen drohten, da das wahre Rom für längere Zeit nicht mehr auf den sieben Hügeln an der Tiber, sondern in den tapfern Lagern römischer Feldherrn war, so musste auch die Staatsmacht mehr und mehr an die Generale kommen. Diese bilden fortan einen geharnischten Senat, der in alle Grenzprovinzen zerstreut ist. Eine kurze Zeit über geht freilich das Reich ganz aus den Fugen, und planlose Soldatenwillkür und provinziale Verzweiflung bekleidet bald da, bald dort den ersten besten mit dem Purpur; sobald aber der erste Stoss vorüber ist, besetzen die Generale den Thron mit einem aus ihrer Mitte. Wie sich da Berechnung und Überlegung mit Ehrgeiz und Gewaltsamkeit im einzelnen Falle abfinden mochten, was für geheime Schwüre den Verein enger verknüpften, lässt sich nur ahnen. Gegen den Senat zeigt man keine Feindschaft, im ganzen sogar Hochachtung, und es tritt später ein Augenblick ein, da der Senat sich der vollständigen Täuschung hingeben konnte, noch einmal der wahre Herr des Reiches geworden zu sein.
Doch es lohnt die Mühe, diese merkwürdigen Übergänge auch im einzelnen zu verfolgen.
Schon unter Valerian hatte der Abfall einzelner Gegenden begonnen, und als er vollends durch völkerrechtswidrige Treulosigkeit in die Gefangenschaft des Sassanidenkönigs Sapor geriet29 (260), indes sein Sohn Gallienus mit dem Kriege gegen die Germanen beschäftigt war, trat die totale Verwirrung ein. Während Rom selbst durch einen Einfall sonst unbekannter Horden bedroht wurde, und der Senat eilends eine Bürgergarde aufstellen musste, fielen allmählich die östlichen Reichslande ab. Zunächst liess sich der Taugenichts und Vatermörder Cyriades von Sapor als römischer Thronprätendent vorschieben, bis sich als Retter des römischen Orientes zuerst Macrian (260) mit seinen Söhnen und mit seinem tapfern Präfekten Ballista erhob. Sapor musste fliehen, sein Harem wurde gefangen; die herrliche Verteidigung von Caesarea in Kappadocien dürfen wir hier nur mit einem Wort erwähnen30. Aber die Zersetzung des Reiches war noch im Wachsen; Feldherrn und höhere Beamte mussten sich fortwährend zu Kaisern erheben, nur um gegen andere Usurpatoren ihr Leben zu retten, welches sie dann doch bald einbüssten. So in Griechenland Valens mit dem Beinamen Thessalonicus und der von Macrian gegen ihn entsandte Piso; so nach einiger Zeit (261) Macrian selbst, als er gegen den damals noch gallienischen Feldherrn der Donaulande, Aureolus, zu Felde zog, welcher als Sieger ebenfalls von Gallienus abgefallen sein muss. An Macrians und seines Hauses Stelle trat im Osten (262) Odenathus, ein reicher Provinziale, dergleichen mehrere in dieser Zeit als Kaiser aufkommen, aber keiner mit so viel Talent und Erfolg wie dieser Patrizier von Palmyra, der von hier aus mit seiner heldenmütigen Gemahlin Zenobia ein grosses orientalisches Reich zu gründen vermochte31. Zenobia, die Enkelin der ägyptischen Ptolemäer, auch der berühmten Kleopatra, mit ihrer bunten Hofhaltung asiatischer Heerführer, herrschte später (267–273) für ihre Söhne bis nach Galatien und nach Ägypten hinein, also in Gegenden, wo früher die Generale des Gallienus geringere Usurpatoren mit Erfolg beseitigt hatten, nämlich im südöstlichen Kleinasien den Seeräuber Trebellian, den die unverbesserlich verwilderten Isaurier zu ihrem Herrn erhoben; in Ägypten aber den frühern Kommandanten von Alexandrien, Aemilianus, welcher, von einem Pöbelauflauf tödlich bedroht, sich zum Kaiser aufgeworfen (262–265), um der Verantwortung bei Gallienus zu entgehen.
In den Donaulanden haben wir Aureolus genannt, welchen Gallienus sogar eine Zeitlang als Herrscher anerkennen musste. Aber schon lange vorher (258) hatten die Donautruppen, um das Land besser gegen die Einfalle zu schützen, den Statthalter Ingenuus erhoben; Gallienus hatte diesen überwunden und furchtbare Strafe über die ganze Gegend verhängt; die nach Rache dürstenden Provinzialen hatten darauf den heldenmütigen Dacier Regillian (260) zum Kaiser gemacht, der von dem dacischen König Decebalus, dem berühmten Feinde Trajans, abstammen wollte; aus Furcht vor abermaliger Bestrafung durch