Von den übrigen ägyptischen Priestern, wie sie bis zur Zeit Trajans waren, schildert Plutarch334 mit etwas zu viel Ehrfurcht die Isispriester und deutet ihre Bräuche und Zeremonien nach Kräften sinnbildlich aus. Ihre Abzeichen waren vorzüglich das weisse Linnenkleid und das geschorene Haupt; sie lebten mit einer gewissen Abstinenz und mieden manche Speisen, um nicht fett zu werden, und sonst noch aus allen möglichen symbolischen Gründen; selbst das Meer und das Salz scheuten sie. Ihrem Kultus fehlt bei all der ewig wiederkehrenden Trauer doch völlig die erhabene Würde; ein wildes Klaggeheul, bacchantische Gebärden vertreten dessen Stelle; hier wird ein Esel vom Fels herabgestürzt, dort ein vergoldeter Ochse in einem schwarzen Mantel herumgeführt; ein eigentümliches Lärminstrument, das Sistrum, soll mit seinem Getöse den schlimmen Typhon (das zerstörende Prinzip) abhalten. Manches in diesem Kultus trägt den Stempel später müssiger Erfindung oder Ausdeutung; das Isisbild wird in verschiedenen Farben, bald dunkel, bald hell bekleidet, um Tag, Nacht, Feuer, Wasser, Leben und Tod zu versinnlichen; die Räucherungen sind nach Tageszeiten verschieden, des Morgens Harz, um die Dünste der Nacht zu verscheuchen, des Mittags Myrrhen, des Nachts das aus sechzehn Ingredienzen während beständigen Betens bereitete Kyphi, welches auch in trinkbarer Gestalt dargestellt wurde; ein Specificum, dessen Bestandteile sich alle sinnbildlich auslegen liessen, dessen Wirkung aber narkotisch gewesen sein muss.
Plutarch, der seinen Gegenstand durchaus mit Ernst behandelt, gibt doch zu verstehen, dass auch unter den Ägyptern Menschen vorhanden waren, welchen des Aberglaubens und besonders des Tierkultus zu viel wurde. »Während die Schwachen und Einfältigen«, sagt er, »in eine ganz unbedingte Superstition verfallen, müssen kühnere und trotzigere Menschen auf gottesleugnerische, wilde Gedanken geraten.« – Es wird nun zu erörtern sein, wie vieles von dieser Religion das blühende und später das sinkende Rom sich aneignete und in welchem Sinne.
Abgesehen von der bloss künstlerischen Aneignung, welche namentlich zur Zeit Hadrians eine ganze Anzahl ägyptischer Figuren und Dekorationsformen nach Rom brachte, ist es fast ausschliesslich der Kreis der Isis, welcher seit Jahrhunderten in der griechischen und römischen Religion Aufnahme gefunden hatte.
Isis – die Erde, und zwar das gesegnete Ägypten selber, und Osiris – der befruchtende Nilstrom, sind beide schon von den Ägyptern selbst als allgemeinere Symbole alles Lebens gefasst und so zum Eintritt in den Götterkult anderer Völker ausgerüstet worden. Eine Nebenbedeutung, welche das Götterpaar vielleicht von semitischer Seite erhielt, nämlich als Mond und Sonne, tritt schon zur Zeit Herodots fast in den Hintergrund; die Griechen vereinigen sich, in Isis die Demeter, in Osiris den Dionysos zu erkennen, ohne deshalb die Eigenschaft der Isis als Mondgöttin gänzlich aufzugeben; ja, sie erhält der Reihe nach Anteil an den Geschäften der verschiedensten göttlichen Wesen335, als Göttin der Unterwelt, der Träume, der Entbindung, sogar als Meerbeherrscherin. Seitdem Ägypten durch Alexanders Eroberung in den grossen Umfang griechisch-orientalischen Lebens aufgenommen worden, verbreitet sich der Isisdienst noch weiter in der ganzen griechischen Welt336, und geht endlich auch auf Rom über, wo er seit Sulla, und zwar die ersten hundert Jahre nicht ohne starken öffentlichen Widerstand, auftritt. Isis bei den Römern ist begleitet einerseits wohl von ihrem Gemahl Osiris, doch viel häufiger von Serapis, als dem Osiris der Unterwelt; von dem hundsköpfigen Anubis (einem Bastard des Osiris, der als Bote zwischen den Göttern und der Unterwelt mit Hermes identifiziert wird); endlich von Horus, gräzisiert Harpokrates, welchen die Isis erst nach dem Tode des Osiris geboren. – Mit der mythologischen Urbedeutung dieser Wesen würde man indes, auch wenn sie unbestritten wäre, nicht ausreichen zur Ermittelung desjenigen Sinnes, welchen die Römer damit verknüpften. Serapis wird neben seiner Bedeutung als Heilgott auch ein Sonnengott337, wie eine ganze Anzahl von Fremdgöttern und selbst von heimischen in diese Bedeutung ausmünden müssen; wiederum benimmt ihm dies keinesweges die Herrschaft über die Seelen in Leben und Tod. In ähnlicher Weise werden Isis und die übrigen einerseits zu Göttern des Heiles im weitern, der Heilung im engern Sinne umgedeutet, ohne deshalb die Beziehung zur Unterwelt zu verlieren. Auf diesem Stadium ist Isis schwer zu scheiden von der dreigestaltigen Unterweltsgöttin Hekate, welche am Himmel als Luna, auf Erden als Diana, in der Unterwelt als Proserpina herrscht. Bei den Elegiendichtern ist sie dagegen die gefürchtete, oft gesühnte Herrin über Liebessachen. Je mehr Lebensbeziehungen ihrer Herrschaft untertan werden, desto weniger wird es möglich, ihr Wesen, wie es die Spätrömer auffassten, unter eine gemeinschaftliche Definition zu bringen; findet man sie doch nach den verschiedensten Metamorphosen sogar als Fortuna, als Tyche wieder338, der rein philosophischen Ausdeutung gar nicht zu gedenken, welche zuletzt in ihr die grosse Allgottheit entdeckte. Auch die Gestalt der Göttin hatte sich längst romanisiert und den bekannten ägyptischen Kopfschmuck abgelegt; das Kostüm der Priesterin scheint dasjenige der alten Göttin verdrängt zu haben; ein Mantel mit Fransen, unter den Brüsten mit der Tunika eigentümlich zusammengeknüpft, und in der Hand das Sistrum – dies sind in Gemälden und Bilderwerken jetzt die bleibenden Kennzeichen.
Der Isisdienst verbreitete sich mit den römischen Waffen bis an die Grenzen des Reiches, in den Niederlanden wie in der Schweiz und in Süddeutschland; er durchdrang auch das Privatleben viel gründlicher und auch früher als der Kultus der grossen semitischen Göttin. Kaiserliche Gunst genoss er erst seit Vespasian, der schon in Alexandrien dem Serapis ausdrückliche Andacht erwies; sein Sohn Domitian baute dann in Rom ein Isium und Serapium, nachdem die beiden Gottheiten sich bisher wenigstens innerhalb der Stadtmauern mit Winkeltempeln begnügt hatten. Später gab es in Rom sogar mehrere nicht unbedeutende Heiligtümer der Göttin. In dem zu Pompei aufgefundenen, sechzehn Jahre vor der Verschüttung bereits restaurierten Isistempel gibt eine geheime Treppe und eine leere Vertiefung hinter dem Piedestal, welches die Bilder trug, sowie ein kleines Nebengebäude mit Souterrain einigen Anlass zu Vermutungen; allein zu grossen und blendenden Phantasmagorien findet man weder den Raum noch die Anstalten genügend, was indes die Phantasie der Archäologen und Dichter nicht gehindert hat, über dieses ziemlich geringe Gebäude bunte Gedanken zutage zu fördern. Die Isispriester, in den grössern Städten zu zahlreichen Kollegien vereinigt (als Pastophoren usw.), genossen noch im ersten Jahrhundert durchgängig einen schlechten Ruf, u. a. als Gelegenheitsmacher bei Liebschaften, zu deren Schutz sich Isis und ihre Tempel, wie oben bemerkt, ebenfalls hatten hergeben müssen. Mit der tiefsten Verachtung behandelt