Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: О. Генри
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788075834942
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Und wenn ein rechtes Christkind wäre, so wüßt es, daß ich keine neuen Puppen will, die gar nichts von mir wissen und mich nicht kennen.«

      »Die alten kennen dich wohl?«

      »Wenn ich sie doch abends immer ins Bett lege und nie auf einem Stuhl lasse! Aber vor Weihnachten gehen immer die alten Puppen fort, und es bekommen sie die bösen Kinder, und seh ich sie dann wieder, dann haben sie schmutzige Kleider, und die Lilla, die mit den schönen Locken, die hatte nur noch ein Auge und der Arm hing ihr herunter. Und nun spiel ich nicht mehr mit Puppen.«

      »So verekelt haben sie dir's, armes Seelchen!«

      Aber sie muß weiter an ihrem Faden spinnen. »Und das rechte Christkind, das weiß, was einen freut, das kommt doch nicht zu mir. Deshalb bin ich herausgekommen. Hör, wie der Baum seufzt. Und wenn's ein Christkind gibt, so muß es hierher kommen. Und wenn man einschläft und muß nie mehr zurück und sich auslachen lassen, weil man so ein Dummes ist und die rechten Worte immer nicht sagen kann, die alle andern Kinder gleich wissen, und es käme das Christkind vorbei, und läutete so fein mit seinen Glöckchen... Hörst du's nicht? Seit ich im Wald bin, hör ich's und bin ihm nachgegangen, so weit, so weit, daß ich gar nicht mehr zurück kann, weil es viel zu weit ist. Und wenn ich einschliefe, so käme meine Mutter heraus und holte mich, die liegt in einem silbernen Sarg und hat mein kleines Brüderlein im Arm. Und das darf immer bei ihr liegen, wenn ich lernen muß und wenn ich ganz allein in meinem Bett liege und nur leise weinen darf, daß es keiner hört. Und vielleicht nähme sie mich dann in den andern Arm. Und ich wollt schon bei ihr in dem silbernen Sarg bleiben. Da könnten die lachen; ich hörte nichts mehr, denn es ist eine dicke eiserne Tür über dem silbernen Sarg und ein Siegel darauf, und kein Mensch darf herein.« »Und das Lachen, das tut dem armen Seelchen so weh, wenn es die rechten Worte nicht findet?«

      »Weißt du das denn nicht? Dich lachen sie doch auch alle aus!«

      »Mich! Ja kennst du mich denn?«

      »Du bist der Ruinengraf. Und warum gibst du den Mäusen, den netten kleinen, die sich hinsetzen können wie rechte Leute, und aus den Händchen essen, warum gibst du denen nichts? Mir hast du doch gleich den Apfel gegeben?«

      »So – den Ruinengrafen nennen sie mich! Nicht übel, es ist immer gut, wenn man seinen Namen weiß,« brummt er. »Den Ruinengrafen! Und was für wunderbare Dinge du weißt! In einem silbernen Sarg liegt deine Mutter, du Armes! Und wohin gehörst du nun? Und warum geb ich den Mäusen nichts?«

      »Ich höre manchmal, was sie in der Nähstube reden, die geht in den Lindenbaum, und da hab ich eine Treppe hinauf. Und die Margarete, die dick ist und wie ein Herr ein kleines Bärtchen hat, sagt, es wäre eine Schande, daß du in dem Geklüft wohntest, und du wärest so arm, daß die Mäuse mit verweinten Augen einem entgegenliefen, wenn man an deine Mauer käme.«

      Nun lacht er laut auf, erschütternd und gewaltig dröhnt es aus der mächtigen Brust auf, ein urgermanischer Ton ist das in der verzauberten Waldstille. Das Seelchen erschrickt fast; dann läutet plötzlich ihr feines klingendes Lachen, wie wenn ein Vogel mit seinem Flügel eine Harfensaite berührte, daß die ein weniges klänge.

      »Nein, die haben's zu arg gemacht – und auf die Mäuse will ich achten, daß sie ihr anständiges Futter kriegen.«

      »Ich hab dich dann gesehen, wie du mit deinem Knecht gegangen bist, der aussieht wie der Kaliban in dem roten Buch, und du hast mir so leid getan, weil du so arm bist und so groß wie kein anderer, und nicht einmal die kleinen Mäuse bei dir satt kriegen. Aber nun ist's nicht wahr! Die lügen oft.« Wohin mag doch das vermummte Kind gehören, dessen Mutter in dem silbernen Sarg liegt? Nicht in das kleine Städtchen, so weit her kann sie nicht gekommen sein. Ihr Deutsch klingt fremdartig und zuweilen ein wenig stockend, als ob es nicht die Sprache sei, die sie immer spreche. Welch eine Woge des Schicksals mochte das arme Seelchen in das Waldland verschlagen haben? Die Waldleute sind ein wanderlustiges Volk. Kein Haus in dem uralten, noch umwallten Städtchen oder in den heimeligen Dörfern, das nicht ein Glied über See hätte. Sie haben dann allerhand Schicksale, diese Waldleute, kommen zu Geld und Ehre und verlieren auch beides wieder. Aber sie sieht nicht nach dem Menschenschlag aus. Er könnte es jetzt wohl aus ihr herauspressen, wohin sie gehört, aber es ist gar zu schön, in dem verzauberten Wald auf das feine Märchenstimmchen zu hören. Und er sollte doch die feinen Linien kennen, diese langen Lider, es ist wie ein Rätsel, das sich ihm jeden Augenblick lösen kann. Und er wird sie ja sicher nach Hause bringen. Vielleicht tut's den Ihrigen, die so wenig das arme Herz kennen, gut, wenn sie sich ein kleines absorgen. Und über dem keimt in seinem Herzen eine ferne, schwache Hoffnung auf. Vielleicht ist's ein armes Verlassenes unter Fremden, denen nichts an dem Seelchen liegt. Aber gleich schilt er sich einen Träumer. Kinder, die unter allen Umständen an Weihnachten einen neuen Puppensegen – »aus dem Katalog« – über sich ergehen lassen müssen, gehören nicht armen Leuten. Da legt sie ihr eingewickeltes Köpfchen an seine Brust: müde ist sie und so froh, als ob ihr das Reden von ihrem Leid schon einen Stein vom Herzen genommen hätte. So geborgen, als schließe der weiße Ring der Bäume in ihrem feierlichen Schweigen sie ein und beschlösse sie für immer und immer, und vielleicht kommt das Christkind doch.

      Und es fängt der zartgraue Himmel an, sich hinter dem zierlichen Gegitter der Zweige, die so dicht und heimlich stehen, und von denen ein so weiches Licht herabkommt, sacht zu färben. Ein blasses Rosa zuerst. Und wie stehen sie nun gegen den Rosenteppich da, die Äste und Zweige, und das ganze Netzwerk von Kristall und weißem Flaum! Und immer röter und herrlicher wird die Purpurwand, und wunderbare blaue, violette und graue Töne steigen aus dem Weiß auf. Lautlos sehen die beiden in die himmlische Herrlichkeit. Und das Seelchen hält fast den Atem an, denn nun muß es kommen. Woher, weiß es auch. Dort, wo der Weg sich wendet, gerade in die Glut hinein, da hat die schwere Silberlast ein Buchenstämmchen herabgezogen, daß es im Bogen über den Weg hängt. Da durch muß es kommen. O wie der unauslöschliche Kinderglaube aus den grauen Augen leuchtet! Kommt nicht auch das Klingen immer näher? Das braune Tuch ist bedeckt mit Silbersternchen, daß es wohl Aschenbrödels Kleid von der Mutter Grab her sein könnte. Ihre Pupillen weiten sich, daß die graue Iris nur einen schmalen Streifen um die Schwarze bildet, sie gleitet herunter, sie faßt ihn an der Hand und zieht ihn mit sich fort. Da unter den herabhängenden Tannen tief unten ein goldenes Feuer, ein Bogen, wie ein ungeheures, loderndes Flammentor. Die Himmelstür! Weit offen steht sie und gerade auf sie zu führt die gotische Silberhalle, die herrlichste Prachtstraße der Welt. Nun ist's offenbar, darauf haben sie gewartet, die Bäume, die Kräutlein im Silberkranz, das Reh, der Vogel, der immer vorausflog mit dem roten Käpplein. Fest aneinander geschmiegt stehen sie, das Kind legt seine Ärmchen um den herabhängenden Arm des Mannes. Und ein feines goldenes Band schlingt sich von dem einen der zwei Herzen zum andern, ein Band, gewoben aus jenem Gold des Himmelstors. Und über seine Hand, an die sich das Kinderköpfchen schmiegt, fällt plötzlich ein weiches, sanftes Gewoge. Er wendet seine halbgeblendeten Augen, die noch in feurigen Ringen überall das Bild des goldenen Tores hinwerfen, nach ihr. Das Tuch ist abgefallen und um das erhobene, von seliger Erwartung und scheuem Entzücken erleuchtete Angesicht wallt eine Flut von blaßgoldenen Haaren. Und einer der feurigen Ringe legt sich um das Köpfchen, daß es davon umgeben wird und sein Herz ein leiser Schauer trifft, als berühre es der Himmlischen einer. Dann versinkt das Tor, noch ein letztes Gluten am Himmel, das den Wald mit tausend und tausend Rosen behängt – und nun steigen graue Schatten auf; wie Gespenster werden die Bäume; der Eichbaum dort, windet er nicht seine Schlangenarme? Die Stunde, die einzige, ist vorüber.

      Und doch nicht vorüber, denn das Mägdlein, das mit seiner blaßgoldenen Mähne aussieht wie ein aus seiner braunen Hülle geschlüpfter Schmetterling, sagt mit seinem hohen feierlichen Silberstimmchen: »O, bist du nicht froh, daß doch alles wahr ist! Und daß wir das Christkind gesehen haben!«

      »Hast du's gesehen?« fragt er fast scheu.

      »Sein Tor hab ich gesehen und seinen Himmel, und nachher hingen überall rote Kränze. Die haben die Engel heruntergeworfen. Hast du die Rosenkränze, die so brannten und so schön waren, nicht gesehen? Sie hingen doch auf den Bäumen, und der Strauch dort hat sieben goldene Kronen gehabt.«

      »Ich sah sie, und du hattest auch ein Krönlein, Seelchen.«

      »Ich