Es ist ein uralter Eichenhain, der seit vielen Jahren schon überständig ist, aber immer geschont wird um der alten Prachtgestalten willen. Es ist hier nicht einer unter ihnen, den nicht der Blitz gestreift hätte, die Äste winden sich wie Schlangen, in den hohlen Kronen haust der Specht. Zu ihren Füßen haben sich Erdbeerfamilien angesiedelt und nicken hohe Farnwedel. Wie ein beseeltes, silbernes Band gleitet die Ringelnatter über den Moosboden, ein zierliches Reh schreckt auf, das zwischen den mächtigen Wurzelhäuten geruht hat. Gurru, Gurru rufen die Waldtauben einander und ein kleines Brünnlein erfüllt mit seiner einfachen Melodie die Einsamkeit mit lieblichem Leben.
Da ist ein Tisch und eine Bank, gerade dort, wo sich der Hain gegen eine sanftgesenkte Waldwiese öffnet. Nun darf das Kind Erdbeeren suchen, und sie geht eifrig hin und her zwischen den Waldriesen, deren Leben ihre Väter und Großväter geschaut. Ihr Mund steht keinen Augenblick still, sie muß mit allem sprechen, was ihr begegnet. Mit dem kleinen Fröschchen, dem sie sagt, daß es die schönsten Goldaugen habe, und mit den blassen hohen Glockenblumen, die sie küßt und fragt: »Gehörst du auch zu meinem Geburtstag, weil du so dastehst vor des Wurzelweibchens Haus?«
Und da kommt Harro, vor Freude verschüttet sie fast ihr Körbchen. Und so schöne, reife, dunkelrote Beeren sind darin, groß wie kleine Kirschen. Und nun gehen sie noch über die Wiese, wo die vielen Federnelken nicken und glührote Weidenröschen stehen, hoch über des Seelchens Kopf. Wie die Sonne glüht auf dem roten Blumenfeld, und wie die Musikanten schrillen!
»Wir setzen uns ein wenig an den Rain, Harro, dort hören wir, wie das Brünnlein mit sich selbst schwatzt.«
Harro streckt sich der Länge lang ins Gras mit einem Seufzer des Behagens. Das Kind sitzt zwischen hohem nickendem Riedgras neben seinem Korb und spießt eifrig Erdbeeren auf feine Grasstengel. Harro muß den Mund aufmachen, er bekommt die zierlich aufgespießten Beeren hineingesteckt und braucht sich nicht zu rühren.
»Harro, wenn ich deine Frau wäre, so würde ich dir immer Erdbeeren suchen und dir in den Mund stecken.«
Harro ist ein wenig schläfrig, er ist durch die Sonnenglut gegangen und hat vor seiner Studie auch immer in das grellste Licht sehen müssen. Er brummt nur: »Prinzessinnen haben nicht in Ruinen Platz. Wohin mit den Equipagen und den Dienern?«
»Ich brauche doch keine, Kaliban ist da und ich geh mit dir zu Fuß.«
»Durch den Sonnenbrand auf deinen goldenen Schuhen?«
»Nun sollst du einmal gar nichts antworten. Wenn du etwas sagen willst, – sieh, da hab ich eine Erdbeere, die stecke ich dir hinein.«
»Rede los, Seelchen, nimm's aber nicht übel, wenn ich ein bißchen einnicke, seit vier heute morgen steige ich herum und war schon sehr fleißig, und dein Stimmchen hat eine so feine Begleitung in dem Brunnen dort ...«
»Einmal bin ich deine Frau, Harro.«
Er will etwas sagen, bekommt aber sofort eine Erdbeere in den Mund.
»Können wir denn nicht so tun? Dann bin ich groß, und habe ein Silberkleid und du hast einen Saal, in dem du malen kannst. Man kann darin Sonne und Schatten machen, wie man will. Und ich sitze bei dir, wenn du malst, und bin mäuschenstill, und du malst das schönste Bild. Und Kaliban kocht das Essen und ich die süße Speise. Und abends gehen wir auf die Römerwiese und dann kommt die Nacht. Und die Welt schläft ein und es kommt der Mond und sieht, wie sie daliegt und schläft. Dann fährt der liebe Gott übers Land und sieht die Menschen an, wie sie ihre Herzen herausgelegt haben, denn bei Nacht können sie die nicht hüten, und sieht, was sie darin haben. Und wenn er zur Ruine kommt und sieht unsere Herzen, so sagt er: ›Ich muß ihm auf sein Herz einen goldenen Tropfen geben aus dem Himmelsbrunnen und einen Tropfen auf seine Augen, daß er das schönste Bild malen kann.‹ – Dann klagt mein Herz, ach was geb ich nur dem Harro dafür, daß er mir die Lilien auf meinen Geburtstag gestellt hat im Kreis, daß jedermann sehen kann, es ist ein Fest, daß das Seelchen da ist und ist keine Betrübnis dabei! Aber nun meinst du, ich sage dir, was mir der liebe Gott für dich gibt, aber ich will auch ein Geheimnis haben ... nein ... aber wenn es da ist ...«
Da winkt Frau von Hardenstein. – Harro ist heute so verträumt, daß Frau von Hardenstein ihn neckt, er sei von seinem Schläfchen dort am Rain noch gar nicht aufgewacht und gestattet ihm eine Mückenvertreibungszigarre, damit er wieder zu sich kommt. Derweil erinnert sich das Kind plötzlich, daß sie Vaters Brief immer noch nicht zu Ende gelesen hat, er ist heute so lang und sonderbar. So liest sie denn eifrig, während Harro eine sehr nachdenkliche Zigarre raucht.
»Nun, Prinzeßchen, gute Nachrichten?«
»Ja, und Papa freut sich. Es wäre aber jetzt gar nicht mehr so nötig gewesen.«
Harro sieht sie an und sagt halb mechanisch: »Was wäre nicht so nötig gewesen?«
»Ach, die neue Mutter. Ich habe ja Euch!«
Siebtes Kapitel.
Rosmarie
Schloß und Städtchen haben das Galakleid angelegt. – Alle die kleinen Giebelhäuser, die so schön nebeneinander stehen, daß jedes dem nächsten ein wenig über die Schulter gucken kann, tragen ihren Schmuck, und wenn es nur ein Mooskranz mit einer weißblauen Papierschleife ist. Die ganze schöngewundene Straße entlang, vom Hohenstaufentorturm bis zur Reitbahn, steht eine Doppelreihe junger Fichten, die durch bunte Blumenketten verbunden sind. Die Herbstblumen, die festen Georginen, Sonnblumen und Astern lassen sich schon einiges gefallen. Es gibt sogar eine mit Tannengrün umwundene Ehrenpforte mit einem sehr wohlgemeinten Vers darauf. Die Tochter des Bürgermeisters memoriert laut und ängstlich an einem Gedicht. Mine in der Küche und der kleine Fritz können es längst auswendig, aber Fräulein Klara hat einen harten Kopf, und bei der dritten Strophe bleibt sie stets hängen.
»Die Bergstadt steht im Feierglanze,
Und ihre Wimpel wehn zu Tal ...«
beginnt sie wieder, während Mama ihr schon das festlich weiße Gewand überstreift. Im Schloß fliegen die Lakaien, heute scharlachrot mit Schnallenschuhen: an der Einfahrt in den Turnierhof hängen kostbare Gobelins, und die Waffenhalle, wo bei festlichen Gelegenheiten der Einzug stattfindet, steht offen. Wundervoll ist's für die Braunecker Kinder, da die Näschen hineinzustecken zu den unzähligen Karabinern, alten Schwertern, Degen und Panzern. Das Schönste von allem ist aber ein ausgestopfter Bär, der mit erhobenen Pranken dasteht. Den hat der Fürst einmal in Rußland geschossen, und die Braunecker Kleinen trauen ihm immer noch nicht so ganz, so gefährlich steht er da.
Überall sind Palmenkübel, hohe Vasen mit Rosenzweigen. Eine Atmosphäre der Erwartung liegt auf allem, denn heute kommt die junge Fürstin. Jedes hat irgend etwas zu erwarten oder zu besorgen. Es gibt so manche behaglichen Gewohnheiten, die vielleicht einer jungen Frau nicht ganz gefallen werden. Und wie wird es dem Prinzeßchen gehen, was wird es heute wohl anstellen? Die Nähstube ist durchaus nicht im Zweifel, daß sie irgend etwas verfehlen wird. Die Küche, wo die Männlichkeit das Übergewicht hat, hält dafür, daß es nun nichts mehr verschlage, was sie tue oder nicht, denn mit der ersten Violine sei es doch vorbei. Ob der Ruinengraf immer noch herumgehen werde und den Herrn spielen, ist eine noch aufregendere Frage. Und eben kommt der Thorsteiner über den Hof, als ob es sich von selbst verstehe, daß er bei allem dabei sei. Und elegant! Die Küche plattet sich die Nasen ab an den Fenstern, um ihn zu sehen.
Der Thorsteiner geht unbekümmert vorüber auf die Galerie und klopft am Säulenheim. Er muß das Kind zuvor sehen. Das ist so bitterlich enttäuscht worden. Es wollte doch auch zur Hochzeit. Eine Hochzeit muß doch etwas so Herrliches sein. Auf das man sich so lange freut, wo es Musik gibt und alle Leute froh und schön und festlich find. Und nun will sie Papa nicht dabei, nein, sie soll ruhig in Brauneck bleiben, bis Papa mit der neuen Mama kommt. Das feine Herz des Kindes fühlt, daß ihr Vater sie nicht dabei haben will, denn die neue Mama hat sie sehr freundlich eingeladen.
Und