Und nachher wandelten die beiden Hand in Hand durch den Park, und er zeigte ihr sämtliche Merkwürdigkeiten, und schließlich führte er sie dahin, wo Mr. Hobbs und Dick sich aufgepflanzt hatten, und stellte ihr die beiden vor.
»Das ist mein alter, ganz alter Freund,« sagte er, »Mr. Hobbs – Miß Herbert – und das ist mein andrer alter Freund, Dick, und ich habe ihnen schon lange erzählt, wie schön du bist, und habe ihnen versprochen, daß sie dich sehen dürften, wenn du zu meinem Geburtstage kommst.«
Miß Herbert reichte beiden in ihrer liebenswürdigen Weise die Hand und plauderte eine Weile mit ihnen, stellte Fragen über Amerika und erkundigte sich, wie ihnen England gefalle, und Cedrik schwieg dazu und sah nur von der Seite mit strahlenden, bewundernden Blicken zu ihr auf und wurde ganz rot vor Freude, als er wahrnahm, daß Mr. Hobbs und Dick sein Entzücken teilten.
»Na, aber,« erklärte Dick nachher mit feierlicher Kennermiene, »das muß ich sagen, so 'was hab' ich noch nicht gesehen. Die – die ist akkurat wie ein Bild – so 'was, hab' ich gedacht, kommt nur in Geschichten vor.«
Jedermann sah ihr nach, wo sie vorüberging, und jedermann sah dem kleinen Lord Fauntleroy nach, und dazu schien die Sonne, die Fahnen flatterten, die Spiele nahmen ihren Verlauf, die Tanzenden flogen unermüdlich dahin, und inmitten der allgemeinen Freude schwamm Seine kleine Herrlichkeit förmlich in einem Meer von Wonne, und die ganze Welt erschien ihm so rosig, als sie nur je einem kleinen Jungen an seinem achten Geburtstag vorgekommen sein kann.
Und noch ein andrer war im innersten Herzen beglückt und glücklich – ein alter Mann, der, wenn er auch sein Lebenlang reich und vornehm gewesen war, doch im rechten Glücklichsein wenig Erfahrung hatte. Vielleicht war's auch, weil er gelernt hatte, gegen andre gut zu sein, daß er plötzlich auf seine alten Tage erfahren hatte, wie es thut, von Herzen froh zu sein. Allerdings hatte er's im Gutsein noch lange nicht so weit gebracht, als Fauntleroy glaubte, aber er hatte mindestens gelernt, etwas lieb zu haben in der Welt, und er hatte sich mehrmals darüber ertappt, daß er die wohlthätigen Dinge, zu denen ihn das arglose Vertrauen seines Enkels moralisch nötigte, eigentlich gar nicht ungern that – und das war immerhin ein Anfang. Ueberdies gefiel ihm seines Sohnes Frau mit jedem Tage besser, und es war keine ganz unwichtige Beobachtung, daß er im Begriff stand, auch sie lieb zu gewinnen. Er hörte gern ihre liebliche Stimme und sah gern in ihr reizendes Gesicht, und wenn er abends in seinem Lehnstuhl saß und sie mit ihrem Jungen am Kamin plauderte, hörte er gern unbemerkt zu und vernahm mit einer gewissen Neugier zärtliche, kluge und fein empfundene Worte, wie er sie vordem nie gehört hatte, und er begriff nun wohl, weshalb der kleine Geselle trotz der armseligen Straße in New York und trotz des Umgangs mit Krämern und Stiefelputzern eine vornehme, ritterliche Natur war, deren sich niemand zu schämen hatte, auch wenn es dem Geschick gefiel, ihn plötzlich wie im Märchen in ein Schloß zu versetzen und ihn zum Erben all der Herrlichkeit zu machen.
Die Sache war ja so einfach, es war ein reines, gutes, edelfühlendes Mutterherz, das ihn umgeben und geleitet hatte, und ihn gelehrt, gute Gedanken zu denken und für andre zu sorgen. Das ist sehr wenig und ist sehr einfach und ist vielleicht höher und besser, als alles andre. Er wußte nichts von Titel und Rang, von vornehmem Leben und vornehmen Sitten, aber er war überall und in jeder Lage liebenswert, weil er wahr und einfach und liebenden Herzens war. Und wer das ist, ist auch ein Königskind.
Und der alte Graf Dorincourt war heute wohl mit ihm zufrieden, wenn er ihn im Park sich unter den Leuten umhertreiben, mit manchen plaudern und jeden Gruß mit seinem kleinen, höflichen Komplimentchen erwidern sah, oder wenn er gegen seine Freunde, Mr. Hobbs und Dick, den aufmerksamen Wirt machte, oder sich leise neben seine Mutter oder Miß Herbert schlich und andächtig ihrer Unterhaltung lauschte. Am meisten befriedigt aber war er, als sie alle miteinander zu dem größten Zelt traten, wo die wohlhabenderen, bedeutenderen Pächter mit ihren Familien saßen und sich an Speisen und Getränk gütlich thaten.
Die Trinksprüche hatten eben angefangen, und der offizielle Toast auf den Grafen wurde heute mit einer gewissen Wärme aufgenommen, wie sie noch vor wenig Monaten undenkbar gewesen wäre. Dann aber brachte ein wohlbestallter Landmann die Gesundheit Lord Fauntleroys aus, und wenn an der Popularität Seiner kleinen Herrlichkeit auch noch der geringste Zweifel möglich gewesen wäre, so hätten diese endlosen, jubelnden Hurras, das Gläserklirren und Händeklatschen ihn beseitigen müssen. Ja, die Begeisterung war so groß unter den gutherzigen Leuten, daß nicht einmal die Gegenwart der Damen und Herren vom Schloß ihnen den geringsten Zwang auferlegen konnte. Es entstand ein ganzer Tumult und viel gerührte Blicke der Frauen ruhten auf der blühenden Kindergestalt, die zwischen Großvater und Mutter stand, und feuchten Auges flog es von Mund zu Mund: »Gott segne ihn, den herzigen, kleinen Jungen!«
Der kleine Lord Fauntleroy war glückselig. Er lächelte und machte zahllose Verbeugungen und war ganz purpurrot vor Stolz und Freude.
»Thun sie das, weil sie mich gern haben, Herzlieb?« fragte er stürmisch. »Ganz gewiß? Deshalb, Herzlieb, wirklich? O, wie bin ich froh!«
Und dann legte der Graf seine Hand auf des Knaben Schulter und sagte:
»Fauntleroy, du mußt ihnen danken für ihre Freundlichkeit.«
Cedrik sah betroffen zu ihm auf und blickte dann seine Mutter an.
»Muß ich das?« fragte er mit einem Anflug von Schüchternheit, und als sowohl Herzlieb als Miß Herbert ihm lächelnd zunickten, nahm er sein kleines Herz in beide Hände und trat entschlossen einen Schritt vor. Aller Augen richteten sich auf ihn, und er stand da mit seinem schönen, unschuldigen Kindergesicht, das einen rührenden Ausdruck von Tapferkeit trug, und begann, so laut er konnte, zu sprechen, so daß die hohe klare Stimme weithin vernehmbar war.
»Ich danke Ihnen so sehr! und ich hoffe, daß Sie an meinem Geburtstag recht vergnügt sind – weil ich auch so sehr vergnügt bin – und ich – ich freue mich auch sehr, daß ich Graf werden soll – im Anfang, da hab' ich mich nicht so gefreut – und ich – ich habe das Schloß so gern und das Dorf auch – es ist so schön hier – und – und – und wenn ich einmal Graf bin, will ich's versuchen, gerade so ein guter zu werden, wie mein Großvater.«
Unter donnerndem Jubelruf der begeisterten Menge trat er zurück, schob mit einem leisen Seufzer der Erleichterung seine Hand in die des Grafen und schmiegte sich mit einem fragenden Blick, ob er es so recht gemacht habe, an den alten Herrn.
Das wäre eigentlich das Ende meiner Geschichte, allein ich kann mich nicht enthalten, noch von einer höchst eigenartigen Erscheinung zu berichten, und diese ist, daß der stolze Republikaner Mr. Hobbs sich von Alt-Englands »'ristokraten« so angezogen fühlte und es so unmöglich fand, seinen jungen Freund ohne seine Aufsicht heranwachsen zu lassen, daß er den Eckladen in New York verkaufte und in Seiner Herrlichkeit Dorf Erleboro eine gemischte Warenhandlung errichtete, die bald sehr viele Kunden hatte – die Schloßherrschaft inbegriffen – und Mrs. Dibble viel Herzeleid bereitete. Und wenn auch das persönliche Verhältnis zwischen dem Grafen und ihm kein eigentlich intimes zu nennen war, so wurde der wackere Hobbs mit der Zeit doch »'ristokratischer« als Mylord selbst, studierte jeden Morgen die Hofzeitung und verfolgte die Thätigkeit des Oberhauses mit höchstem Interesse. Etwa nach zehn Jahren war's, daß Dick, der seine Studienzeit hinter sich hatte und den Bruder in Kalifornien besuchen wollte, an den würdigen Spezereikrämer die Frage richtete, ob er nicht Lust hätte, auch wieder nach Amerika zurückzukehren.
»Könnt's nicht aushalten dort drüben,« sagte er, bedächtig das Haupt schüttelnd. »Muß in der Nähe von ihm bleiben