Die Pfeife war vergessen; ganz aufgeregt setzte er sich wieder, zog sein Taschenmesser heraus und schnitt mit liebevoller Vorsicht das Couvert auf.
»Will nur sehen, was er diesmal Neues weiß,« bemerkte er.
Dann entfaltete er das Blatt und las seinem neuen Freunde folgendes vor:
Schloß Dorincourt.
»Mein lieber Mr. Hobbs. ich schreibe das in großer Eile weil ich ihnen etwas wunderliches zu sagen habe worüber sie sich ser erstaunen würden mein lieber Freund wenn sie es hören, es ist alles ein irtum und ich bin kein Lord und ich mus nie ein Graf werden weil eine Dame da ist die war mit meinem Onkel Bevis ferheirathet der jetz tod ist und sie hat einen kleinen son und der ist Lord Fauntleroy denn so ist es in England das der kleine son von dem eltesten son des Grafen Graf wird wenn alle andern tod sind ich meine wenn sein fater und Großvater tod sind, mein Großvater ist nicht tod aber mein Onkel Bevis und deshalb ist sein son Lord Fauntleroy weil mein fater der jüngste son gewesen ist und meine nahme ist Cedrik Errol ganz wie früher in New York und alles gehört dem andern Knaben, im Anfang habe ich gedagt, ich müsse im auch meinen Pony und meinen wahgen geben aber mein Großvater hat gesagt das müsse ich nicht und meinem Großvater tut es ser leid und ich glaube er hat die Dame gar nicht ser gerne aber filleicht denkt er das herzlieb und ich traurig sein weil ich kein Graf werde ich würde jetz fiel lieber ein Graf werden als im anfang weil dis ein schönes schlos ist und ich alle leute lieb habe und wenn man reich ist kann man so fieles tun. und bin jetz nicht reich weil mein Papa nur der jüngste son ist und der jüngste son ist nie ser reich ich wil deshalb arbeiten lernen damit ich für herzlieb sorgen kann ich habe mit Wilkins gesprochen filleicht kan ich reitknecht werden oder kutscher weil ich die ferde ser lieb habe.
Die Dame hat iren kleinen son in das schlos gebracht und mein Großvater und Mr. Havisham haben mit ir gesprochen ich glaube sie ist ser böse geworden und hat ser laut gesprochen und mein Großvater ist auch ser böse geworden und forher habe ich in nie böse gesehn ich habe gedagt ich will es inen und Dick nur schnel erzälen weil es sie ser tressiren wird. Herzlich grüst
ir alter Freund
Cedrik Errol (nicht Lord Fauntleroy).«
Mr. Hobbs sank in seinen Stuhl zurück, der Brief zitterte in seiner Hand, Federmesser und Couvert glitten an die Erde.
»Da bin ich doch gleich geräuchert worden,« stieß er hervor.
So groß war sein Schreck, daß sein Lieblingsausspruch eine andre Form annahm. Vielleicht war er auch geräuchert in dieser Stunde, kein Mensch kann so etwas wissen.
»Na,« sagte Dick, »da wäre also die ganze Herrlichkeit futsch – nicht?«
»Futsch!« wiederholte Mr. Hobbs mit Grabesstimme. »Und eine abgekartete Geschichte ist's von dem britischen 'ristokratenvolk, den Jungen auszuräubern, weil er ein Amerikaner – das ist meine Meinung. Die Kerls haben einen Haß gegen uns von der Revolution her, und an ihm lassen sie's aus. Hab' ich's Ihnen nicht gesagt, als wir von der Wirtschaft von den Königinnen da drüben lasen? – Der Junge ist da nicht sicher – na, da haben's wir ja. Vermutlich steckt die ganze Regierung dahinter, und 's ist eine Verschwörung, um dem Jungen sein Recht zu nehmen.«
Die Aufregung war groß. Anfangs hatten ihm die veränderten Lebensumstände seines jungen Freundes keineswegs eingeleuchtet, neuerdings hatte er sich mehr mit dem Gedanken befreundet, und nach Empfang von Cedriks Brief hatte sich sogar eine geheime Genugthuung über dessen Standeserhöhung fühlbar gemacht. Ueber Grafen konnte man ja denken, wie man wollte, aber daß der Reichtum seine Vorzüge hat, wird sogar in Amerika anerkannt, und wenn so großer Besitz zu dem Titel gehörte, so war es doch schwer, denselben wieder abzutreten.
»Plündern wollen sie ihn ganz einfach!« rief er, »und wer das Geld hätte, müßte ohne weiteres nach ihm sehen und ihm zu Hilfe kommen.«
Bis tief in die Nacht hinein zog sich diesmal Dicks Besuch hin, und schließlich gab ihm Mr. Hobbs noch das Geleit bis an die Ecke der Straße, wo er dann eine Weile stehen blieb und auf das wehmütige, immer noch vorhandene Plakat: »Zu vermieten« hinstarrte, bis er endlich in tiefer Bekümmernis seine Pfeife zu Ende rauchte.
Elftes Kapitel.
Die Nebenbuhler
Wenige Tage nach dem großen Diner auf Schloß Dorincourt war jedem Zeitungsleser in England die romanhafte Geschichte, welche sich in der Familie des Grafen zutrug, in allen Einzelheiten bekannt. Es war ein höchst brauchbarer Stoff für die Presse. Der kleine Amerikaner, der urplötzlich nach England gebracht worden war, um keinen geringeren Namen als den eines Lord Fauntleroy zu tragen, und der durch seine Schönheit alle Herren gewann, der alte bärbeißige Graf, der so stolz war auf diesen Erben, die schöne Mutter, der nie vergeben worden, daß Kapitän Errol sie geliebt und zu seiner Frau gemacht hatte einerseits, und dann die seltsame Heirat des verstorbenen Lord Fauntleroy und die seltsame Frau, von der niemand etwas wußte und die plötzlich auf dem Schauplatz erschienen war, um die Rechte eines Lord Fauntleroy für ihren Sohn in Anspruch zu nehmen andrerseits, daraus ließen sich die packendsten Feuilletons und sogar Leitartikel mit Leichtigkeit gestalten. Dann tauchte das Gerücht auf, daß der Graf von Dorincourt mit dieser Wendung der Dinge keineswegs einverstanden und fest entschlossen sei, die Ansprüche jener Frau mit Hilfe des Gesetzes zu vernichten, so daß ein großer Sensationsprozeß zu erwarten stehe.
In der Grafschaft selbst hatte man noch nie eine derartige Aufregung erlebt. An Markttagen standen die Leute stundenlang bei einander und berechneten alle Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten des unerhörten Falls; die Pächtersfrauen luden einander auffällig häufig zum Thee ein und tauschten aus, was jede gehört hatte, und teilten einander ihre eignen Ansichten und die von andern Leuten mit. Ueber den Zorn des Grafen waren haarsträubende Geschichten im Umlaufe, und daß er um keinen Preis den neuen Erben anerkennen werde, wußte jedermann, so gut wie, daß er die Mutter desselben tödlich haßte. Am genauesten unterrichtet war natürlich wieder einmal Mrs. Dibble, und die Frequenz ihres Geschäfts steigerte sich in diesen erregten Tagen abermals bedeutend.
»Schief wird's gehen,« meinte sie, »und wenn Sie mich fragen, so sag' ich, 's ist die Strafe dafür, daß er die herzgute junge Kreatur so schlecht behandelt hat und ihr das Kind genommen – in den ist er jetzt ganz vernarrt und hat sein hoffärtiges Herz an ihn gehängt, und deshalb bringt ihn die Geschichte schier um. Und was ihm auch hart eingeht, aber ganz recht geschieht, die Neue da, sie ist keine feine Dame, wie des kleinen Lords Mama. Ein freches, schwarzäugiges Ding ist's, und Mr. Thomas sagt, was ein feiner Diener ist, wird sich von so einer nie nichts sagen lassen, und an dem Tage, wo die Madame ins Haus kommt, packt er seine Siebensachen. Ach du lieber Gott, und der Jung – so verschieden vom kleinen Lord, wie Tag und Nacht. Was aus der Sache noch kommen wird, das weiß kein Mensch: Gott steh' uns bei – keinen Blutstropfen hätt' ich von mir gegeben, wenn Sie mich mit Nadeln gestochen hätten, so kreideweiß bin ich vor Schreck gewesen, wie die Jane mir's erzählt hat.«
Auch im Schloß selbst trat keine Ruhe ein. In der Bibliothek saßen der Graf und Mr. Havisham in endlosen, aufgeregten Beratungen bei einander; im Dienerschaftssaal waren Mr. Thomas und der Haushofmeister zu allen Tageszeiten in ernstem Gespräche zu treffen, dem die andern andächtig lauschten, und im Stalle waltete Wilkins in sehr gedrückter Stimmung seines Amtes, bürstete den braunen Pony noch viel sorgfältiger als je und versicherte dem Kutscher immer wieder, daß er nie einen jungen Herrn reiten gelehrt habe, dem die edle Kunst so »natürlich« gewesen sei, und daß dies ausnahmsweise einer sei, bei dem sich's lohne, hinterdrein zu reiten.
Inmitten all der Bekümmernis und Not blieb nur ein Herz ruhig und unberührt von Sorge, und das war das kleine Herz Lord Fauntleroys, der nun bald kein Lord mehr sein sollte. Als man ihm die Lage der Dinge erstmals auseinandergesetzt hatte, war er sehr bestürzt und bekümmert gewesen, es zeigte sich jedoch bald, daß diesem Gefühle kein gekränkter Ehrgeiz zu Grunde lag.
Auf einem