»So schlimm hat er’s getrieben?« Franzi war fassungslos. »Dann hat er es mit mir auch nicht ehrlich gemeint?«
Der Bauer sah sie bedauernd an. »Wird wohl so sein«, brummte er in sich hinein, dann sprach er wieder etwas lauter. »Lass dich davon nicht unterkriegen, Dirndl. Mein Bruder Xaver hat mir geschrieben, dass du eigentlich dem Korbinian gut warst. Halt dir den, das ist ein rechtschaffener Mann, der seiner Frau immer treu sein wird. Vergiss den Uli.«
»Ich kann nicht Korbinian so vor den Kopf stoßen, wie ich es getan hab’, Bauer, und jetzt wieder zu ihm zurückgehen. Nein, das hat er nicht verdient, und ich bin auch noch gar nicht so weit. Morgen in der Früh’ werd ich mich wieder auf den Weg nach Hause machen. Es war ein Fehler von mir, hierherzukommen. Alles ist dadurch nur noch schlimmer geworden.«
Franzi dachte daran, was sie von Nani in der Almhütte hatte erfahren müssen und was sie von dem Bauern jetzt gehört hatte. Sie schämte sich, dass auch sie auf Uli hereingefallen war.
»Bauer, kann ich mich irgendwo zum Schlafen hinlegen?«, fragte sie. »Ich bin todmüde, und morgen früh muss ich wieder munter sein.«
»Komm mit, ich zeig’ dir die Kammer, in der du schlafen kannst.« Albert Stettner legte den Arm um Franzis Schulter, als er sie hinausführte. Es war zu merken, wie leid sie ihm tat.
Ihr fielen die Augen zu, als sie sich hingelegt hatte, aber im Halbschlaf sah sie nicht Uli vor sich, sondern den kleinen Stepherl.
*
So früh Franzi auch in Brauneck aufgebrochen war, sie kam langsamer vorwärts als am vergangenen Tag. Oft meinte sie, dass ihre Beine sie nicht mehr tragen würden. Sie war zutiefst niedergeschlagen und bitter enttäuscht. Das Bild von dem strahlenden, in sie so verliebten Uli hatte einen deutlichen Riss bekommen. Er war nicht der gewesen, für den sie ihn gehalten hatte. Sie war eines seiner vielen Abenteuer gewesen. Und dafür hatte sie sich von Korbinian getrennt und ihm damit sehr weh getan. Das ging ihr genauso durch den Sinn wie Ulis Vaterschaft. Wie hatte er das nur fertiggebracht, sich nicht zu dem kleinen Stepherl zu bekennen? Und wenn er Nani nicht geheiratet hatte, der Junge musste ihm doch nahgestanden haben. Hatte er nicht gesehen, wie sehr ihn die Mutter vernachlässigte und dass er ganz allein war auf dieser Welt? Fragen über Fragen, die sich Franzi immer wieder stellte und die ihr den Weg durch die Schlucht besonders schwer machten.
Sie wusste, dass sie es nicht schaffen würde, am Abend zu Hause zu sein. Dazu waren schon die gestrigen Strapazen zu groß gewesen. Jetzt bereute sie, nicht einen Tag in Brauneck geblieben zu sein, um sich etwas zu erholen. Am liebsten hätte sie sich auf einen Felsblock gesetzt und wäre sobald nicht wieder aufgestanden.
Als sie die gewaltige Schlucht hinter sich hatte, spürte sie noch die Angst, die dort wieder über sie hergefallen war. Jetzt machte sie noch eine längere Rast. Es war nicht so gutes Wetter wie am Vortag. Statt der brennenden Sonne nieselte es, und alles war grau, sodass sie beim Weitergehen schon Angst hatte, sich zu verirren.
Als die Schutzhütte aus dem Nebel vor ihr auftauchte, wusste sie, was sie brauchte – eine Nacht Schlaf, bevor sie den Rest des Weges hinter sich legte.
Diesmal war nichts aus dem Inneren zu hören. Das machte ihr das Eintreten leichter.
Sie kam in eine verrauchte Wirtsstube und setzte sich an einen Tisch. Es dauerte nicht lange, bis ein Mann mit fuchsrotem Vollbart und Haar zu ihr kam. »Was wünschen die Dame?«, fragte er ironisch.
»Kann ich bei Ihnen übernachten?« Franzi sah den älteren Mann bang an. Er wirkte nicht sehr vertrauenerweckend.
»Natürlich können Sie das. Dazu sind wir doch da. Sind Sie etwa das Madl, das sich hier in der Gegend nach Uli Stettner umsehen wollte?«
»Ja, die bin ich. Ich heiße Franzi.«
»Also doch.« Plötzlich schlug der Wirt mit der Faust auf den Tisch, sodass die noch darauf stehenden leeren Biergläser zu tanzen anfingen. »Meine Nani, die Sennerin, hat mir von Ihnen erzählt. Jetzt bin ich gar nicht so begeistert, dass Sie bei uns übernachten wollen.«
»Warum nicht?«, wagte Franzi zu fragen. Sie war mit ihrem Stuhl ein Stück zur Seite gerückt.
»Weil ich mit niemandem etwas zu tun haben will, der irgendwie zu diesem Halunken Uli gehört hat. Ich, Rupert Wurzinger, hätte diesem Burschen eigenhändig den Hals umdrehen können. Hängt meiner Tochter ein Kind an, will aber dann von dem Balg nichts wissen …« Es folgte ein ellenlanger Fluch, der Uli galt.
»Ihre Tochter hat mir schon alles erzählt«, wollte Franzi den Alten bremsen. Doch das schaffte sie nicht. Er wetterte schon weiter.
»Einen reichen Bauern könnte die Nani heiraten, aber der will mit dem Buben nichts zu tun haben. Alles hat uns dieser Verführer genommen, Nanis und unsere Ehr’, die Hoffnung auf eine gute Heirat meiner Tochter. Recht geschieht ihm, dass er irgendwo abgestürzt ist. Anders kann es ja nicht sein. Er ist schon zu lange vermisst. Selbst mit seinem Tod hat er uns noch Scherereien gemacht. Die Polizei war hier, als könnten wir ihr weiterhelfen, und nun tauchen auch Sie noch auf.«
»Ich mache Ihnen keine Scherereien«, versicherte Franzi. »Beruhigen Sie sich wieder, ich kann nichts für das, was der Uli angestellt hat.«
»Beruhigen, beruhigen!« Rupert Wurzinger lachte hart auf. »Als ob das so leicht wär’, wo das Kind da ist.«
»Es kann nichts für seinen Vater«, versuchte Franzi wieder zu beschwichtigen. »So einen kleinen lieben Kerl muss man doch gernhaben.«
»Den?«, schrie der Wirt heraus. »Niemals. Er ist ein Klumpen an Nanis Bein. Eine alte Jungfer wird sie werden, weil kein Mann sie mit dem Balg mag. Sie ist meine einzige Tochter, Frau hab’ ich schon lang keine.«
Franzi sagte nichts dazu. Eingeschüchtert fragte sie: »Kann ich auch etwas zu essen haben?«
»Mal sehen, was die alte Zenza in der Küche hat.« Der Wirt wandte sich ab. »Bei uns müssen Sie mit allem zufrieden sein.« Er stapfte davon.
Franzi atmete erleichtert auf, als zwei Wanderer die Wirtsstube betraten. Nun würde sie wenigstens mit dem zornigen Alten nicht mehr allein sein. Als er zurückkam, warf er ihr nur einen Blick zu und sagte: »Die Zenza bringt dann was. Sie zeigt Ihnen auch Ihre Kammer.«
Franzi wurde noch leichter ums Herz, als sie hörte, dass die beiden Wanderer auch hier übernachten wollten. Als einziger Gast in der Schutzhütte hätte sie sich gefürchtet.
Es dauerte lange, bis eine alte, verhutzelte Frau mit wirrem Haar kam und ihr Bratkartoffeln mit Speck brachte. Sie lachte, als sei sie nicht mehr ganz klar im Kopf. »So ein schönes Dirndl bei uns hier droben?« Sie schüttelte den Kopf. »Und ganz allein?«
»Lass sie in Ruhe, Zenza«, rief der Wirt. »Schau, dass du in die Kuchel kommst.«
Die Alte zog den Kopf ein und verschwand.
Hier ist alles unheimlich, dachte Franzi. Immer wieder sehnte sie sich nach ihrem Zuhause, nach dem friedlichen Vater und allem, was ihr vertraut war.
Noch bevor es ganz dunkel geworden war, zog sie sich in die Kammer zurück, die ihr Zenza zeigte. Beim Hinausgehen flüsterte die Alte: »Wenn Sie wirklich etwas mit diesem Uli zu tun haben, sollten Sie hier lieber so bald wie möglich verschwinden.«
»Ich gehe gleich morgen in der Frühe«, antwortete Franzi und schloss die Tür. Fast fürchtete sie, vor Angst keinen Schlaf zu finden. Am liebsten wäre sie noch in der Dunkelheit davongelaufen, aber das konnte sie nicht tun. Dazu war ihr hier alles zu fremd. Sie wickelte sich fest in die raue Decke ein und lauschte immer wieder nach unten. Dort war es jetzt sehr laut geworden. Anscheinend waren noch andere Gäste gekommen, und es wurde wild gezecht. Immer wieder war die Stimme des Wirtes herauszuhören.
Erst nach Stunden fielen Franzi vor Übermüdung